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Impulstanz: "Body + Freedom"_Holzinger/Riebeek

Florentina Holziger auf dem Boden © Thomas Lenden

Die Lieblingskinder der Wiener Tanz- und Performanceszene brachten in erweiterter Runde ihre neue Show „Body + Freedom“ im Rahmen von ImPulsTanz zur Uraufführung. Jedenfalls an diesem Abend im Odeon ohne penetrierende Riesendildos, dafür mit Publikumsbeteiligung, Arsch-Lasershow, rosa Luftballons und blutrünstigem Driller-Killer.

Schwül, stickig und rosa ist der erste Eindruck, wenn man den Spielraum betritt. Rosa Licht, Trockeneisschwaden, chillige Musik, Lounge-Feeling. Es ist ja auch schon knapp vor Mitternacht. Drei große Screens, auf der einen präsentiert eine Akteurin ihre Brüste in aufreizender Weise; es ist offenbar eine Liveübertragung von der Hinterbühne. Am Tanzboden liegen schwarze Müllsäcke, klar, dass da Leute darin sein werden. So ist es auch, sie kommen heraus, eine Performerin erklärt etwas zum Abend. Sie weist die Zuseher_innen ein, so zu agieren, als spielten sie das Publikum in einer Realityshow, die gefilmt wird, also seien alle Reaktionen extremer auszuführen. Ein großer Teil der Zuschauer im Odeon ist offenbar schon eingeweiht, denn nicht wenige Leute haben beim „Audience Training“ der vorangegangenen Tage im Leopold Museum teilgenommen. Möglicherweise braucht man Special Skills, um sich angemessen bei Holzinger und Co. zu benehmen. Schwüle Kinoatmosphäre im Odeon. ©  Thomas Lenden

Keine Ahnung, was dort abgegangen ist, aber um alles kann man sich als Publikum auch nicht kümmern.

Es geht hier laut Programmtext um ein „Hybrid aus Bühnenshow und Filmdreh“. Meistens finde ich es eher hinderlich, Programmtexte vor der Vorstellung zu lesen, denn sie schränken ein. Da ich heute früh da war, vertrieb ich mir die Zeit bis zum Beginn dann doch mit der einschlägigen Lektüre. Also erwartete ich folgendes: „In Anspielung auf das aus Pornographie und Journalismus geläufige Gonzo-Genre, in dem der Kameramann selbst Teil des Geschehens ist, starten sie im Dschungel des Theaters den Versuch, die Zuschauer_innen direkt in den Überlebenskampf am Set hineinzuversetzen. Und weiter: „Auf der Suche nach einer abwesenden, aber möglichen Gegenwart laden sie das Publikum zu einer Selbstauswilderung ein“. Große Worte.>

Der Website hatte man schon entnommen, dass die Produktion „Body + Freedom“ ursprünglich 2015 eine Reality-TV-Serie war, die 2015 im Rahmen der Berliner Festspiele mit dem Performancepublikum als Studiopublikum aufgezeichnet wurde. Dann gab es eine Bühnenfassung für das Tanzhaus Zürich, und jetzt wieder eine andere Fassung für ImPulsTanz.

Akrobatik muss auch sein, weil sie es kann. © ThomasLendenAus all dieser Kenntnis ergeben sich hohe Erwartungen. Was gab es also tatsächlich zu sehen? Ein weiterer Akteur übernahm dann die Moderation, aber er versprach sich immer wieder und nannte falsche Namen. Er sorgte eher für Verwirrung, als dass er souverän durch die Show geführt hätte. Dann wurde „Special Guest“ aus dem Publikum geholt, ein junger Franzose, der am Sofa sitzend einen schwulen Anmach-Tanz eines anderen Akteurs über sich ergehen lassen musste. Noch ein „Special Guest“, eine Frau, nahm Teil an einer besonderen „Challenge“, bei der man in einer Plastikkiste hüpfen und rosa Luftballons aufblasen musste, um das Kommando zu befolgen: „Pick someone from the audience to fuck him with the balloon“.

Die „Looserin“, eine Performerin, wurde „bestraft“ und ließ sich abwatschen, eh nicht zu fest. Dann erhielt sie aus einer Fahrradpumpe Luft in den Anus, um den „Fart!“-Befehl auszuführen. Da reagierte das Publikum gespalten. Manche wollten das, andere nicht. Ein anderer Performer verließ sein Hoverboard nicht und filmte mit, was aber eigentlich nicht so gut am Screen zu sehen war, wie es vermutlich sein sollte. Überhaupt gerieten die Leinwände aus dem Focus und waren mehr dekorativer Natur.

Schlussendlich dann das große Kettensägen-Massaker, als der Moderator in rosa Badehose mit der Motorsäge kurzfristig zusammengewachsene „Twins“, Holzinger und eine andere Performerin, auseinander sägen muss. Da durfte das Kunstblut spritzen! Das wäre das dramaturgisch natürliche Ende gewesen, aber es ging noch weiter mit einem Artistischen Seil- und Tuchakt von Holzinger, die sich zirkusreif und rasant in der Luft drehte. Warum? Weil sie es halt kann. … ohne Kunstblut keine Show. © ThomasLenden

Dann war es aus und das Publikum, darunter viele junge Workshop-Teilnehmer_innen, auch aus der Queer-Szene, liebten das Stück. Was ist das denn nun gewesen? Holzinger und Riebeek werden derzeit sehr gehypt als Stars der Performance-Szene, quasi als österreichische Nachkommen der Aktionisten oder im Boot mit Marina Abramovic und dergleichen. Sie machen trashig-poppige Shows mit viel Körpereinsatz und Alltagskultur, pornographisch, mit dieser trendigen Queer-Ästhetik, schwul, grauslich, manchmal kitschig, manchmal interessant. Immer trotzig und rabiat, immer auf Provokationskurs. Das ist gar nicht so einfach heute, wo alles schon da war.

Das Problem dabei ist, dass es nicht wirklich um etwas geht. Alle Risiken, die frühere Performance-Künstler eingegangen sind, bestehen nicht mehr. Ein bisserl Kritik, und ein bisserl ein Thema gibt es schon immer auch, natürlich. Aber sie spielen wie in einer großen Sandkiste mit vielen bunten Schauferln und Küberln, doch es entsteht keine Burg dabei. Und diese Art des Reality-Zeugs läuft sich irgendwann tot, denn wenn Kunst nichts anderes macht als die Wirklichkeit zu verlängern, anstatt utopische Gegenwelten zu kreieren und ganz eigenständige Kunsträume zu schaffen, dann wird es fad.

Florentina Holzinger ist quasi ein Kind von ImPulsTanz, war dort Stipendiatin und ist seit Jahren in verschiedener Form dabei. Ihr großes Ziel, Intendant Karl Regensburger zum Performer zu machen, hat sie noch nicht erreicht. Vielleicht wird das ja noch einmal was. Dann wird sie echt innovativ gewesen sein.

Holzinger / Lange / Machaz / Riebeek / Schiewiller: „Body + Freedom“, Uraufführung am 27.7. Im Odeon, ImPulsTanz 2016.
Weitere Vorstellungen: 29., 30.7. 2016
Audience Training im Leopold Museum: 28.7 .2016