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ImPulsTanz, De Keersmaeker: „Verklärte Nacht“

Getanzte Emotion: Samantha Van Wissen. © Anne Van Aerschot

Großer Jubel im Volkstheater, wo Samantha van Wissen und Boštjan den Pas de deux „Verklärte Nacht“ von Anne Teresa De Keersmaeker tanzen. Romantik in kaltem Licht: Musik Arnold Schönberg nach einem Gedicht von Richard Dehmel. Die Produktion von Rosas (De Keersmaekers Ensemble) fällt im Grund genommen aus dem Rahmen des ImPulsTanz Festivals, das gerne dem Anti-Tanz frönt. „Verklärte Nacht“ ist reiner Tanz, schwebend, fließend, narrativ, expressiv, emotional und erotisch. Hinreißend.

Schon vor mehr als 20 Jahren hat Anne Teresa De Keersmaeker Poesie, Musik und Tanz gemeinsam auf die Bühne gebracht. Damals mit einem großen Ensemble und plastischem Bühnenbild, eben jenen Wald im Mondlicht, den Richard Dehmel in seinem etwas schwülstigem Gedicht „Verklärte Nacht“ beschreibt. Als Arnold Schönberg noch nicht seine Leidenschaft für die Dodekaphonie (Zwölftontechnik) entdeckt hat, waren ihm Dehmels Verse Inspiration für ein Streichsextett gleichen Titels (op. 4), von dem er 15 Jahre nach der (vom Publikum gar nicht geschätzten) Uraufführung, 1902, eine Fassung für Streichorchester erstellt hat, 1943 hat er sie überarbeitet. Begeheren und Zögern (Van Wissen, Antončič) © Anne Van Aerschot

Diese Fassung, gespielt von New York Philharmonic unter Pierre Boulez, verwendet DeKeersmaeker für ihre Choreografie, die 2014 bei der Ruhrtriennale uraufgeführt worden ist. Sie ist nicht die erste, die zu Schönbergs Musik tanzen lässt, von Antony Tudor (1942!) bis Jiří Kylián (1986) gibt es ungezählte Choreografien. Schönberg war das recht.

Affektsturm im nächstlichen Wals en © Anne Van AerschotNicht nur der ausdrucksvolle, im Fallen und Aufrichten, im Springen und sich nach hinten Durchstrecken gleichermaßen klar erzählende Tanz der Samantha van Wissen (in der zweiten Vorstellung tanzt Cynthia Loemij, die die Rolle bereits beim Osterfestival Tirol 2016 in Innsbruck ebenso perfekt verkörpert hat), sondern vor allem die volle Konzentration der Choreografin auf die Gefühle (Sehnsucht und Zweifel, Begehren und Befangenheit, Liebe und Scham) der Frau, die sich auf ein Kind freut, das sie von einem anderen hat (interpretiert von Nordine Benchdorf, der anfangs kurz auftritt) zugleich aber bangt, dass sie nun verlassen wird. Der Titel sagt es schon, Dehmel, Schönberg und Keersmaeker sind sich einig: Am Ende ist alles klar, verklärt eben, der Mond scheint auf den dunklen Wald.Alles wird gut, der Mann verzeiht, der Mond verklärt die Nacht  © Anne VanA erschot

Das Gedicht muss man nicht kennen, um dem Drama zu folgen und den Tanz zu genießen. Die hochmusikalische Choreografie De Keersmaekers und deren einfühlsame Interpretation durch die Tänzerinnen lassen ohne Worte verstehen und erleben.

Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas: „Verklärte Nacht“, Tänzer_innen: Samantha van Wissen / Cynthia Loemij, Boštjan Antončič, Nordine Benchdorf. 24. Und 26. Juli 2016, im Rahmen von ImPulsTanz im Volkstheater.