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Saskia Hölbling: "da-nach", Uraufführung

Bei der Probe: Treibgut wird zur schimmenden Rettungsinsel.

Sie sind erschöpft, nahezu erstarrt, traumatisiert, wovon weiß man nicht genau. Drei Menschen, eine Frau und zwei Männer, treiben im Meer dahin, klammern sich an ein aus Treibgut gebildetes schwankendes Schiff. Versuchen, sich aufzurichten, fallen wieder um, bleiben wie paralysiert liegen, wissen nicht, dass sie zu dritt sind. Allmähich aber kommen sie zu sich, registrieren einander, nehmen Kontakt auf, nicht durch Sprache, aber durch Berührungen, die immer inniger werden.

Die Choreografin Saskia Hölbling probt mit ihrer Compagnie Dans.Kias das neue Stück „da-nach“. „An der Grenze zwischen Dystopie und Utopie“ steht auf der Einladung.
Die Proben beginnen: Ardan Hussain, Leonie Wahl, im Hinergrund: Anna Hein, Jan Jakubal.Und tatsächlich, was  für das Grüppchen irgendwo Gestrandeter ziemlich hoffnungslos beginnt, wenn sie sich (eine Frau und später auch ein Kind gesellen sich dazu) mit sämtlichen Fasern und Muskeln plagen, den schäumenden Wellen (Wolfgang Mitterer hat sie in Töne gefasst) zu trotzen, sich auf der gerüstartigen schwankenden Rettungsinsel (Gudrun Lenk-Wane hat die Bühne und die Kostüme gestaltet) festzuhalten, zu überleben, verliert im Lauf der unsicheren Reise, vor allem nachdem das Kind gefunden und an Bord gehievt wird, jegliche Düsterkeit. Irgendetwas, vielleicht ein altes Leben, vielleicht der gesamte Erdball, oder nur eine private Beziehung, ist zu Ende gegangen, doch ein neues Ufer, sogar ein neues Land möglicherweise, wird erreicht werden. Schon plätschert der kleine Waschtrog samt Besatzung im seichten Meer, wird gleich landen, die Fünf entlassen, damit sie Neues aufbauen können.

Wir geben in dem Stück Anregungen, die Welt von heute zu diskutieren. Aber es muss nicht immer alles so negativ sein. Ich sehe die Zukunft nicht düster. Vielleicht ist es eh gar nicht so schlecht, dass sich etwas ändern muss.

Seit den 1990er Jahren geht die Tänzerin und Choreografin Saskia Hölbling konsequent ihren Weg. Vorgestellt hat sich die damals kaum Dreißigjährige einem größeren Publikum mit der Umsetzung von Literatur in Tanz. Werke von Marguerite Duras inspirierten Hölbling zu ausdrucksstarkem Tanztheater. Dann entdeckte sie den (ihren) Körper als einen „Organismus mit vielen Sinnen, Augen und Tastsinnen.“ Leonie Wahl, Jan Jakubal proben "da-nach".Noch wurden diese „Expositions Corps“ nicht Performance genannt und waren doch nicht mehr Tanz im herkömmlichen Sinn. Ihre Bewegungen (und die ihrer bereits 1995 gegründeten Compagnie „Dans.Kias“) werden nun nicht nur nach äußeren Bildern, auch nicht nach der Beweglichkeit und Nützlichkeit geformt. Innere Räume werden geöffnet, der Tanz entsteht aus innerer Notwendigkeit und den Impulsen von innen. In „secret sight“ (2008) sind die drei sich bewegenden Körper ohne Identität, Materie im Raum aus Licht und Klang. Später ein Sprung: die Körper bleiben da, doch sie werden in die Gegenwart, in die bekannte Umwelt eingebunden. Gudrun Lenk-Wane baut begehbare, betanzbare Skulpturen, in denen sich die Körper bewegen, allein nur im Dialog mit der nachgiebigen Materie („body in a metal structure“, 2012) gemeinsam mit einer Puppe („assemblage humaine“, 2015), oder zu acht, zwei Tänzerinnen, zwei Tänzer und vier kopflose Puppen („corps à corps“ 2016). Darauf folgen die „corps suspendus“, die im Netz hängenden Körper (2017), was Hölbling hier visualisiert, kann sich jede(r) selber denken, so oder auch so.

Man kann sich viele Stücke von mir auch vergnüglich ansehen. Ich meine nicht, dass sie zum Lachen sind, aber das Vergnügen an den Körpern und ihren Bewegungen, daran dass in gewissen Momenten klar wird, da ist nichts Zufälliges, da gibt es eine gewollte Struktur, die Körper wissen, was sie tun und riskieren gleichermaßen. .

Probenbild: Wird es für die auf dem Meer Ausgesetzten eine Zukunft geben=Daraus entwickelt sich eine Trilogie, deren 2. Teil sich mit der an Dingen und Nahrung und Unterhaltung und Junk und Unsinn übervollen (westlichen) Welt beschäftigt: „things“ mit Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl, Anna Hein; Musik: Wolfgang Mitterer (2018). Saskia Hölbling im Schaffensrausch: „da nach“, der dritte Teil folgt genau 12 Monate später mit demselben Team und dem 9jährigen Performer Oskar Mitterer.

Ich bin keine Pessimistin, deshalb ist das neue Stück auch keine reine Dystopie, ich denke aber, dass nicht mehr lang so weiter geht, so wie wir leben, das ist doch klar. Danach aber wird es etwas anderes, etwas Neues geben. Ob es dann besser wird, weiß ich nicht und ein Rezept dafür kann ich auch nicht anbieten.Nähe und Wärme geben Hoffnung. Oskar Mitterer, Jan Jakubal; Leonie Wahl, Anna Hein mit Ardan Hussain bei der Probe.

Was in den Werken Hölblings, ob mit oder ohne narrativen Subtext, immer wieder beeindruckt, ist die Qualität ihrer Tänzer*innen. In „da-nach“ ist die Körperspannung auch in der Zuschauerin physisch spürbar. Die vier Tänzer*innen (Anna Hein, Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl), aber auch der junge Oskar Mitterer, sind tatsächlich auf einem schwankenden Schiff, klettern über die Gestänge, Choreografin Saskia Hölbling. © Dans.Kias.atrollen sich darunter ein, benutzen einen anderen Körper als Aufstiegshilfe, balancieren, gehen auf Luftpolstern über das (nicht vorhandene) Wasser und scheren sich nicht um Druckstellen und blaue Flecken. Auch bei der Probe wird nicht angedeutet oder geschummelt, mit voller Energie und Konzentration sind sie alle bei der Arbeit.

Für mich ist ein Stück immer dann besonders reich, wenn ich einem gewissen Narrativ folgen kann, das muss nicht chronologisch, kann auch assoziativ sein. Wenn es mich visuell und intellektuell herausfordert, mich strukturell, plastisch und mit meinen Sinnen packt. Ich möchte als Zuschauerin für mich etwas entdecken können und vor allem auch physisches Knowhow sehen

Schon bei der Probe im kleinen Raum, ohne Bühnenlicht ,stelle ich fest, dass Saskia Hölblings Voraussetzungen alle erfüllt werden. "da-nach" hat mich schon da-vor gepackt.

Saskia Hölbling / Dans.Kias“: „da-nach“, Uraufführung am 1. März 2019, Semper Depot (umbenannt in Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste). Weitere Vorstellung bis 6. März 2019. Tickets: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.
Regie, Choreografie: Saskia Hölbling. Tanz, Choreografie: Anna Hein, Ardan Hussain, Jan Jakubal, Leonie Wahl und Oskar Mitterer. Musik, Komposition: Wolfgang Mitterer; Assistenz Musik: Moritz Cizek. Kostüm, Bühne: Gudrun Lenk-Wane. Licht: Reto Schubiger.
Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein.: 1. bis 6. März 2019.
Probenbilder : © Anna Stöcher.