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Stefan Slupetzky: „Im Netz des Lemming“, Roman

Stefan Slupetzky mit seinen Kollegen vom Trio Lepschi. © Julia Maetzl

Der Lemming, schon lange kein Polizist mehr, sondern Nachtwächter im Schönbrunner Tiergarten, verfängt sich diesmal selbst im Netz, im weltweiten Netz. Auch wenn er sich gar nicht damit auskennt, bekommt er die schwärzesten Seiten dieser Krake zu spüren. In der Straßenbahn bietet er Mario, dem Schulkollegen seines Sohnes Benjamin, ein Zuckerl an, ein Freund von Recht und Ordnung missdeutet diese Geste. Und der Lemming wird öffentlich gebrandmarkt.

Der Lemming gerät ins "Internetz" und verliert seine Arbeit im Tiergarten. © free licenseMario stürzt unverhofft aus der Straßenbahn und wirft sich auf die U-Bahn-Gleise. Der Mörder und Kinderschänder ist bereits identifiziert, die selbst ernannten Hüter der öffentlichen Ordnung lauern bereits vor dem Computer. Für den Lemming gilt keine Unschuldsvermutung. Er wird zum Freiwild im Netz. Wenn die Hasspostings im Internet wuchern, fragt kaum jemand nach Fakten. Lemming entgeht nur durch einen Glücksfall der Verhaftung, doch seinen Job ist er los. Und sein alter Freund aus Polizeitagen, Polivka, ebenso. Die beiden können sich nicht mehr in der Öffentlichkeit zeigen, doch sie werden herausfinden, warum sich der kleine Mario, Sohn des menschenfreundlichen und toleranten Filmregisseurs Kurt Rampersberg, auf die U-Bahn-Gleise gestürzt hat und wer dafür verantwortlich ist. Brandstifter zünden dem Lemming das Haus an. Arcimboldo hat um 1566 seine Sicht von "Feuer und Krieg" gemalt. © free license

Schnell erfahren sie, dass auch andere, die Beiselwirtin Giulia Girelli etwa, oder der Mathelehrer Zotti, mit falschen Beschuldigungen öffenich bloß gestellt werden. Der Lemming lernt,Nick wie die sozialen Medien und Foren funktionieren und muss sich von all denen, die er und Polivka in Laufe ihrer Suche nach den Menschen oder eher Unmenschen, die sich hinter Nicknamen verbergen, lange Reden über die Schlechtigkeiten in diesem Land anhören. Der Autor nimmt seine Figuren in Geiselhaft und lässt seiner Verbitterung über die Zustände freien Lauf. Mit manchen dieser Tiraden und Predigten kann ich schon einverstanden sein, doch mitunter schießen die mit Logorrhö Infizierten übers Ziel hinaus. Sogar das Binnen-I kriegt seinen Teil ab und wird angeklagt.

Der Autor ganz seriös. © Julia MaetzlDer liebenswerte, naive Lemming tritt diesmal etwas in den Hintergrund. Schließlich will er ja unsichtbar sein, damit er nicht auf der Straße angepöbelt wird. Dafür muss er sich sogar einen falschen Bart umhängen. Zu mehr an Humor aber reicht es diesmal nicht. Doch der Showdown, wenn Polivka und der Lemming hilflos an der Außenwand eines Büroturms in einer Gondel hängen und vom Wind geschaukelt werden, darf wieder geschmunzelt werden. Über das, wozu die Menschen (Mitbürger*innen) fähig sind, kann man sich nur wundern. Dass Stefan Slupetzkys nicht fantasiert,"Im Netz des Lemming", Cover. © Piper Verlag könnte täglich in den Zeitungen und deren öffentlichen Foren nachgelesen werden, falls einem vor nichts graust.

Zum Trost sollte man sich die Lieder des Trio Lepschi anhören, dem Stefan Slupetzky angehört. Der Vollständigkeit halber: Stefan Slupetzky (Texte, Gesang, Säge, Posaune), Martin Zrost (Komposition, Arrangement, Gesang, Gitarre, Klarinetten), Michael Kunz (Komposition, Arrangement, Gesang, Gitarre, Nasenflöte).

Stefan Slupetzky: „Im Netz des Lemming“, Haymon 2020. 200 S. € 19,90. Auch als e-Book erhältlich.
Die nächsten Termine des Trio Lepschi im Jänner 2020: 16.1., Sargfabrik; 24.1., Buchhandlung Orlando mit Präsentation des neuen Romans.