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Christine Gaigg / 2ndnature: „De Sacre“, Oberlaa

Pussy Riot meets Nijinsky – eine beeindruckende Arbeit.

Mit „DeSacre“ verschränkt Christine Gaigg Vaslav Nijinsky mit Pussy Riot, den russischen Protestpunkerinnen. „DeSacre! Pussy Riot meets Vaslav Nijinsky“ wirkt, obwohl für einen Kirchenraum konzipiert, auch auf der Freiluftbühne in Oberlaa, und ist auch nach sieben Jahren genau so frisch und interessant wie damals. Damals, das war ein Jubiläumsjahr, die Uraufführung des Balletts „Le Sacre du printemps“, komponiert von Igor Strawinsky, choreografiert von Vasvav Nijinsky, wurde gefeiert. 100 Jahre war sie alt und immer noch lebendig.

Wie sich die Bilder gleichen: Aus Tänzerinnen werden Protestpunkerinnen.In diesem Jubiläumsjahr ließ es sich kaum ein Choreograf nehmen, eine neue Choreografie zu Strawinskys Musik zu schaffen, oder eine alte weder aufzuwärmen. Christine Gaigg hat damals die spannendste, klügste Auseinandersetzung mit dem als „skandalumwitterten“ Ereignis, und das war diese Uraufführung in jedem Fall, gezeigt. Die Choreografin hat sich bereits im Jahr 2000 mit dem „Sacre“ beschäftigt. „Sacre Material“ nannte sie damals die Choreografie für drei Tänzerinnen, die anlässlich des Festivals tanz2000.at in den Sofiensälen Premiere hatte. Das Presseecho war begeisternd.
In „De Sacre“ veranschaulicht Gaigg den Zusammenhang zwischen Politik und Kunst, oder die Wirkungen von Kunst auf die Politik oder, vice versa, der Politik auf die Kunst. Ein Jahr vor dem Kunst-Jubiläum waren vier Mitglieder der russischen Protest-Performerinnen Pussy Riot während ihres Auftritts, „Punk-Gebet“ genannt, in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale verhaftet worden sind.Demutsgesten sind auch in Nijinskys Ballett "Le sacre du printemps" zu sehen.
Bei der Analyse des kurzen Mitschnitts auf YouTube war Gaigg aufgefallen, dass Nijinsky und die Protestpunkerinnen die gleichen Bewegungen verwenden. In den verbindenden Texten (Christine Gaigg und Erich Klein) wird das genau erklärt: Stampfende Füße, offene Hände, Demutsgebärden. Die Tänzer*innen (vier Frauen, drei Männer als Sicherheitspersonal) spielen Szene für Szene nach. Begonnen aber wird die Abend mit den stampfenden Füßen des zur rhythmischen, immer von Neuem aufwühlenden, Musik Strawinskys von Nijinsky choreografierten Balletts. Dass sich damals vor allem die Compagnie über diese Choreografie empörte, ist klar. Waren doch die Damen gewohnt, als zarte Elfen zu schweben, die Männer hatten gelernt, sie zu stützen und zu heben.Demutsgesten, fast original. Aus der Rekonstruktion von Nijinskys Ballett auf Youtube.
Immer wieder verschneidet die Choreografin die Vergangenheit mit der Gegenwart und zeigt, wie sich die ästhetischen Gebärden den politischen gleichen. Die Tänzer*innen, gerade noch der Musik Strawinskys folgend, setzen sich die bunten Strickmasken, das Markenzeichen von Pussy Ryot, auf und sind in der Christ-Erlöser-Kathedrale, die unter Stalin gesprengt wurde, danach ein Schwimmbad war und unter Boris Jelzin wieder aufgebaut worden ist. Dazwischen gibt es erklärende Texte und Kommentare und auch Fragen, die sich das Publikum selbst beantworten muss. Der Skandal im Zuschauerraum bei der Uraufführung von Ein Wächter führt eine Performerin ab. Wie das analsysierte Video zeigt, braucht er keine Gewalt, sie geht freiweillig aus der Kirche. „Das Frühlingsopfer“ bezog sich, wenn nicht überhaupt vom Chef der Ballets Russes, Sergej Diagilew inszeniert, auf die Musik; der Tanz blieb eher unbeachtet, nur die Tänzer*innen haben den jungen Choreografen, der ihnen so ungewohnt Neues zugemutet hat, verflucht. Der Skandal in der erst 2000 wieder eingeweihten Erlöser-Kathedrale war, wie Gaiggs Anlayse zeigt, gar keiner. Die orthodoxe Kirche und die Machthaber in Russland und die bigotte Gesellschaft im Westen, die vermutlich nichts von dem kurzen „Punk-Gebet“ gesehen hatte, haben ihn gemacht. Skandalös ist lediglich die Verhaftung der vier keineswegs blasphemisch agierenden jungen Frauen. Christine Gaigg ist es gelungen, die Originalbesetzung der Uraufführung im April 2013 in der Josephskapelle in der Hofburg, Fotografiert bei der Uraufführung in der Josephskapelle / Hofburg. von eSeLeinem politischen Ort also, wieder auf die Bühne zu bringen. Die Vorstellung hat sich, wie so viele Auftritte auf den Sommerbühnen, durch besondere Leichtigkeit von den Abenden in Kirchenräumen unterschieden. Auch Christine Gaigg und Erich Klein waren locker, wendeten sich direkt ans Publikum, vor allem Gaigg machte mit ihren Texten vieles klar, sodass auch ein unvorbereitetes Publikum seine Freude an diesem großartigen Konzept und der perfekten Arbeit aller Beteiligten haben konnte. Dass der kräftige Applaus in der Abendluft zerflattert, haben Enthusiastinnen durch Jubelrufe wettgemacht.

Christine Gaigg / 2ndnature: „DeSacre! Pussy Riot meets Vaslav Nijinsky“. Konzept und Inszenierung: Christine Gaigg. Tanz: Alexander Deutinger, Radek Hewelt, Marta Navaridas, Petr Ochvat, Anna Propoková, Eva-Maria Schaller, Veronika Zott. Text und Vortrag: Christine Gaigg, Erich Klein. Kostüme: Dorothea Nicolai. Im Rahmen des Kultursommers Wien auf der Donauinsel und Oberlaa am 13. / 15. Augsut 2020 gezeigt.
Alle Fotos stammen von der Uraufführung in der Josephskapelle, © eSeL.at.