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„Das ist Ballett!“ 50 Fragen, 50 Antworten

Dorothee Gelhard gibt 50 Antworten.

Die Tanzwissenschafterin Dorothee Gelhard möchte mit den 50 Antworten auf 50 Fragen das Interesse an Ballett und Tanz und das Verständnis dafür wecken. Teils banal und trivial, teils fundiert und ernsthaft wandert sie durch die Ballettgeschichte bis sie bei Tanz und Performance landet. Camille Deschiens hat Fragen und Antworten in zarten Farben illustriert und zugleich die Nummern der 50 Kapitel mit dem Pinsel eingefügt. Wenn dürre Worte es nicht können, die Aquarelle von Deschiens vermitteln die Poesie, die dieser so schwierigen, geliebten und flüchtigen Kunst innewohnt.

Tanz kommt zwar immer wieder auch ohne Musik aus, doch eigentlich sind Tanz und Musik eng verschwistert. Beide Kunstformen wenden sich weniger ans Gehirn als an das Herz, das Sonnengeflecht, die Empfindung oder, weDie Illustratorin Camille Deschiens bei der Arbeit. © privatnn man will, an die Seele. Tanz oder Ballett kann auch von den Zuschauer:innen gespürt werden, ohne dass die eine Ahnung von Nijinskiy oder den Ballets Russes, von Pina Bausch oder Marco Goecke haben. Das Verstehen, das tiefere Eintauchen in die Welt des Balletts, des Tanztheaters oder der Performance (einen Begriff, den es in dieser Enge, für körperorientiertes Theater, nur im Deutschen gibt. Der englische Begriff Performance ist viel weiter gefasst und bedeutet, was die Bühne betrifft, schlicht Aufführung) erhöht natürlich den Genuss eines Ballettabends.
Gelhard springt munter herum zwischen historischen Fakten, der Nennung von für Ballett und Tanz wichtiger Personen, Anekdoten und Erklärung von Fachausdrücken. Das ist amüsant zu lesen, auch wenn es für das ballettaffine Publikum wenig Neues zu bieten hat. Gelhard langweilt nicht mit wissenschaftlichenm Kauderwelsch, sondern antwortet auf die mitunter recht lustigen Fragen – „Warum gibt es so häufig Vögel im Ballett?“, „Wo sind Fanny Elßlers Ballettschuhe?“ – im angenehmen Plauderton, sodass diese fein illustrierte Band aus der Reihe „Das ist“ nicht nur Kindern, die sich als Prinzessinnen im Tutu oder Prinzen im Silberwams auf der Bühne sehen wollen, zu empfehlen ist. Fanny Eßlers rote Stieflelettten, die sie angehabt hat, wenn sie die "Cracovienne" tanzte, werden im Österreichischen Theatrermuseum aufbewahrt. Foto:  UMJ / N. LackneAuch Erwachsene, die die Welt des Balletts bisher nur am Rand berührt haben, etwa weil in jedem Opernabonnement auch ein Ballettabend inkludiert ist, können tiefer eintauchen und einen Vorgeschmack auf das aufwühlende oder beglückende Erlebnis einer Tanzvorführung erhalten.
Das Namensregister im Anhang lässt intensives Name-dropping zu: Der kubanische Tänzer Carlos Acosta (sein Leben ist im Tanzfilm „Yuli“ erzählt worden) macht den Anfang, der englische Tänzer und Choreograf Peter Wright (seine Fassungen der Handlungsballette „Nussknacker“ und „Giselle“ sind im Repertoire vieler großer Ballettcompagnien) bildet das Schlusslicht. Achtung: Die Hinweiszahlen betreffen die Kapitelnummern und die sind von der Grafikerin kunstvoll in den mit Pinsel und Farbe festgehaltenen Tanz integriert. Die leicht zu übersehenden Ziffern im Text beziehen sich auf die reichhaltige Bibliografie, die von der Autorin sicher studiert worden ist. Buchillustration von Camille Deschiens. Auf die letzte Frage, bevor Gelhard ein paar überraschende Zahlen rund um den Tanz und die Tänzerinnen und Tänzer auflistet, antwortet sie mit einem flammenden Plädoyer für die Jugendkraft des gut 400 Jahre alten Balletts. „Ist das Ballett heute noch zeitgemäß?“ „Natürlich ist das Ballett zeitgemäß! Wer sich öffnet, wird dem Zauber des klassischen Tanzes auch heute noch erliegen.“ Einen ersten Einblick in diesen Zauber vermittelt das optisch schöne Werk mit den 50 Antworten auf die subjektiv ausgewählten 50 Fragen. Schon durch diese einer Interviewsituation nachempfundene Gestaltung ist klar, dass sich Gelhard an ein möglichst großes Publikum wendet, Ballettferne sollen Lust bekommen, Ballettnahe werden manch Neues erfahren. Aufgeblättert: Frage 4. "Was hat Ballett mit Geometrie zu tun?, illustriert von Camille Deschiens. Dass die genannten Tänzerinnen, Tänzer und Choreografen nahezu willkürlich, auf jeden Fall nach persönlicher Vorliebe ausgewählt sind, sollte kein Problem sein. „Das ist Ballett!“ ist kein Lexikon und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Erfreulich ist, dass es auch eine Frage nach den Choreografinnen gibt. Immerhin war die Schwester des Tanzgottes Vaslav Nijinskiy, Bronislawa Nijinska, eine damals berühmte, deren Choreografien nicht durchwegs geliebt worden sind. Zeitgenössische Choreografinnen – viele sind es noch nicht, aber die, die sich trauen, sind erfolgreich –, die sich mehr dem Tanztheater widmen, berufen sich auf das klassische Ballett. Ohne die strenge Ausbildung im klassischen Ballett gibt es kein Tanztheater und auch keine Performance. Buchcover: "Das ist Ballett! " © Henschel VerlagNatalia Horecna, Anne Teresa de Keersmaeker oder Maguy Marin seien als Beispiele für alle genannt, deren Choreografien auch von großen klassischen Compagnien aufgeführt werden. Die reiche Vielfalt der zeitgenössischen Choreografen, die dem klassischen Ballett neues Leben einhauchen, könnte ein eigenes Buch füllen. Vermutlich wäre dieses schon am Erscheinungsdatum überholt, weil ein neuer Stern am Balletthimmel aufgetaucht ist.
Dorothee Gelhard lehrt an der Universität Regensburg Komparatistik, also vergleichende Literaturwissenschaft. Sie hat sich jedoch als Schwerpunkt der Vorlesungen und Seminare die Tanzwissenschaft gewählt. Vielleicht animieren sie die Fragen ihre Student:innen zu weiteren 50 Antworten auf alle Fragen, die noch offen sind.

Dorothee Gelhard & Camille Deschiens: „Das ist Ballett!“, 50 Fragen – 50 Antworten“, Henschel 2021,, 192 Seiten. € 26,80.