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„Thick Time“, Kentridge-Werkschau in Salzburg

"O Sentimental Machine", Videostill. Istanbul Biennale, 2015

Wenn es bei den Salzburger Festspielen 2017 einen Regenten gibt, dann ist es der südafrikanische Künstler William Kentridge. Durch die Salzburger Innenstadt zu spazieren und dem gut proportionierten, freundlichen Herrn nicht zu begegnen, ist fast unmöglich. Zumindest auf das „Wozzek“–Plakat stößt man allerorten. Die Oper von Alban Berg wird von Kentridge inszeniert. Zwischen den Proben hat er sich der Ausstellung seines Œvres im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg und im angeschlossenen Rupertinum am Max-Reinhardt-Platz gewidmet. Er weiß, wie die Videowände und Lautsprecher aufgestellt werden müssen, wo die Zeichnungen und Druckgrafiken hängen und die Filme präsentiert werden sollen. „Thick Time“ bietet einen eindrucksvollen Blick auf das umfangreiche, magische, aufrüttelnde und auch humorvolle Werk des heute 62jährigen.

Über Kentridge, den Wien bereits 1998 kennen lernen durfte, als er mit seiner von Puppen vor Animationsfilmen gespielten gekürzten Version von Claudio Monteverdis Opera lirica „Il ritorno d’Ulysse in patria“ bei den Wiener Festwochen gastierte, gibt es so viel zu erzählen, dass ich nicht weiß, wo ich den Anfang und wann das Ende finden soll. Niemand soll sich langweilen, schließlich kann sich jede selbst im Internet umschauen, oder im reich bebilderten, mit klugen Aufsätzen aufwartenden Ausstellungs-Katalog blättern und die Neugier fürs Erste durch den Besuch der bilokal aufgeteilten Ausstellung von Grafiken, Filmen, Theater- und Opernmodellen und den typischen Animationsfilmen über William Kentridge informieren. More Sweetly Play The Dance. Ausstellungsansicht. EYE Filmmuseum, Amsterdam, 2015. Courtesy William Kentridge, Marian Goodman Gallery, Goldman Gallery and Lia Rumma Gallery. Foto: © Studio Hans Wilschut.

in seinen Animationsfilmen und in den Inszenierungen legt der Künstler, der 40 Jahre Apartheid miterlebt hat, den Finger mit leichter Hand in tiefe Wunden: Machtmissbrauch, Unterdrückung und Revolution, das Verhältnis von Tätern und Opfern, die Sehnsucht nach Freiheit sind die von Kentridge in allen Medien behandelten Themen. Doch interessiert sich der Künstler auch für Tanz und Theater, schließlich hat er an der berühmten École Internationale de Théâtre Jacques Lecoq in Paris Pantomime und Schauspiel studiert. Das Studium kommt ihm jetzt bei seinen Reden und Vorlesungen zugute, wo er auf unnachahmliche Art zu fesseln weiß. Zum Schauspieler fühlte er sich dann doch nicht berufen, ebenso wenig, wie er sich seinen ursprünglichen Berufswunsch, Anwalt wie sein Vater zu werden, erfüllen wollte. Für beides, so stellt er fest, hatte er kein Talent. Ein Glück für die Kunstwelt, dass William im liberalen jüdischen Elternhaus in Johannesburg zu nichts gezwungen worden ist.

The Refusal of Time, in Zusammenarbeit mi Philip Miller, Catherine  Meyburgh und Peter Galison 2012. Fünfkanal-Videoprojektion (Farbe, Ton), Megaphone, Beatmungsgerät. Filmstill. Courtesy William Kentridge, Marian Goodman Gallery, Goodman Gallery and Lia Rumma Gallery.Die faszinierenden Animationsfilme entstehen in einem langwierigen und komplizierten Prozess. Kentridge zeichnet, radiert, löscht, zeichnet drüber, löscht vielleicht wieder. Der Verlauf der Radierungen und Neuzeichnungen hinterlässt seine Spuren, die nicht eliminiert werden. Es entsteht quasi ein neuzeitliches Palimpsest. Bis zum Ende einer Szene wird jede Zeichnung mitgefilmt. Diese Zeugen des Prozesses werden als eigenständige Kunstwerke gemeinsam mit den fertigen Filmen (bei denen über die animierten Zeichnungen auch der Film mit den Tänzerinnen und Darstellern kopiert wird) gezeigt. Gerne zeigt sich auch der Künstler selbst in seinen Filmen und Videos.

In der 8-Kanal-Video Installation mit vier Megaphonen, „More Sweetly Play The Dance“, einem aufwühlenden Danse macabre, ist Kentridges Methode sehr gut zu sehen. Man muss sich schon eine Sitzgelegenheit suchen, um sich auch mit inhaltlichen Aussagen dieser 15 Minuten dauernden Prozession von Mächtigen und Unterdrückten, von fröhlichen Musikanten und sich dahinschleppenden Todkranken, von Kämpfern und Tänzern, Kämpferinnen und Tänzerinnen, auseinanderzusetzen. Die meisten der handelnden Personen sind mit Kohle gezeichnet, einige aber im Studio aufgenommen. Notes Towards a Opera Model Opera. Ausstellungsansicht Marian Goldman Gallery ,New York. Courtesy William Kentridge,Marian Goddman Gallery, Foddman Gallery and Lia Rumma Gallery. Zum Beispiel die Tänzerin und Choreografin Dada Masilo, die immer wieder mit Kentridge zusammen arbeitet. Sie trägt einen gelben Rock und erhellt für eine Weile den düsteren Totentanz.

Was noch? Katrin Kahlefeld und ihr Team aus der Presseabteilung des Museums der Moderne wissen es: „Im Auditorium am Mönchsberg führt ein Klassiker von William Kentridge, die bekannten seiner aus Kohlezeichnungen bestehenden Filme 10 Drawings for Projection (1989–2011) inhaltlich in die für sein Schaffen relevante Thematik ein. Auf der großen Ausstellungsebene [4] werden dann sieben raumgreifende Multimedia-Installationen gezeigt. Die Arbeiten 7 Fragments for Georges Méliès, Day for Night und Journey to the Moon (2003), eine Hommage an den französischen Pionier des Stummfilms, stellen im zentralen Raum die Arbeitsweise des Künstlers vor.Right Into Her Arms (Direkt in ihre Arme), 2016. Miniatur-Theatermodell mit Bildprpjektionen, Zeichnungen und Requisiten, Holz, Stahl, Karton, Fundpapier und -objekte, High Definition Video, software und Schaltkreis. Ausstellungsansicht. Courtesy William Kentridge, Marian Goddman Gallery, Goodman Gallery and Lia Rumma Glallery. Auch zwei seiner jüngsten Installationen sind zu sehen: Notes Towards a Model Opera (2015) über die Kulturrevolution in China und O Sentimental Machine (2015), produziert für die Istanbul Biennale, über das türkische Exil des russischen Revolutionärs Leo Trotzki. In Second-hand Reading (2013) führt Kentridge eine frühe Form von Film als Daumenkino auf. Gezeigt wird auch The Refusal of Time, die spektakuläre, auf der documenta 13 (2012) in Kassel gefeierte Arbeit über Zeit als Form politischer und gesellschaftlicher Herrschaft.“ William Kentridge bei der Ausstellungseröffnung in Melbourne, 2012. Fotografiert von  Peter Campbell. © Widimedia, gemeinfrei.

Und im Rupertinum? "Die Ausstellungssektion im Rupertinum ist Kentridges Auseinandersetzung mit dem Theater und der Oper gewidmet, die projektweise Raum für Raum erschlossen wird. Eine Installation aus schwarzen Papierfiguren, vom Künstler vor Ort entwickelt, führt durch das Atrium und zu den beiden Ausstellungsebenen. Es wird eine Fülle von Exponaten gezeigt, darunter Plakate, Zeichnungen, Entwürfe, Modelle und Kostüme, die seit den späten 1970er-Jahren für seine wichtigsten Produktionen entstanden sind. Der erste Raum ist frühen Inszenierungen von Kentridge in Zusammenarbeit mit der Junction Avenue Theatre Company in Johannesburg gewidmet, insbesondere Sophiatown (1986–1989), einem Stück über das Apartheidsystem. Weitere Höhepunkte sind seine Inszenierungen „Il ritorno d’Ulisse in patria“ und „Preparing the Flute ( mit einem Purzelbaum schlagenden Nashorn und vielen flatternden Vögeln für 2004–2005 für La Monnaie in Brüssel hergestellt) sowie „Die Nase“ von Dmitri Schostakowitsch (2010 für die Metropolitan Opera in New York), von der das Originalbühnenbild gezeigt wird. Streets of the City (Straßen in der Stadt) , 2009. Gewebter Bildteppich mit Stickerei, Kettfaden: Polyester. Hergestellt von Stephens Tapestry Studio Diepsloot,Johannesburg. Courtesy William Kentridge, Marian Goddman Gallery, Goddman Gallery and Lia Rumma Gallery. Die Entwürfe zu Alban Bergs „Lulu“, 2015 für die De Nationale Opera und die Metropolitan Opera in New York produziert, knüpfen die Verbindung zur aktuellen Inszenierung von Bergs „Wozzeck“. Das kinetische Minitheater Right Into Her Arms (2016) wird in dieser Ausstellung zum ersten Mal präsentiert. Der neuen Wozzeck-Inszenierung ist ebenfalls ein eigener Raum gewidmet und in der Franz-West-Lounge des Rupertinum steht dem Künstler ein Studio zur Verfügung, das zeitweise für das Publikum öffentlich zugänglich ist. William Kentridges letzten Arbeitsschritten an seiner Inszenierung, die am 8. August 2017 Premiere feiert, kann dort nachgespürt werden."

Ganz profan: Der RJ braust nicht einmal zweieinhalb Stunden von Wien nach Salzburg. Mitsamt Menü im Rupertinum Restaurant und Jause im Café Bazar ist der Ausstellungsbesuch locker in einem Tag zu machen. Ein Erlebnis ist garantiert.

William Kentridge: „Thick Time“, Installationen und Inszenierungen. Museum der Moderne, Mönchsberg, Salzburg und im Rupertinum, Max-Reinhardt-Platz, Salzburg. Bis 5. November 2017.
Kuratorin: Sabine Breitwieser, Direktorin; mit Tina Teufel, Assistenz-Kuratorin. Beratende Kuratorin für den Bereich Theater: Denise Wendel-Poray, Paris. Ausstellungsarchitektur: Sabine Theunissen. Katalog Cover,  Hirmer Verlag, München
Eine Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Whitechapel Gallery, London, dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk, und The Whitworth, Manchester, kuratiert von Iwona Blazwick und Sabine Breitwieser.
Katalog zur Ausstellung:
William Kentridge: „Thick Time“. Installationen und Inszenierungen.
Hg. von Iwona Blazwick und Sabine Breitwieser. Mit Texten von Homi K. Bhabha, Iwona Blazwick, Sabine Breitwieser, Michael Juul Holm, William Kentridge, Joseph Leo Koerner und Denise Wendel-Pora. Hirmer 2017. 256 S., 315 Abb. € 41,10. im Museums-Shop € 35.