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Mei Hong Lin / Walter Haupt: „Marie Antoinette“

Die angebetete Königin (Kayla May Corbin)

Als furiose Schau zeigt die Linzer Ballettchefin und Choreografin Marie Antoinette als Frau, die von den Wellen des Lebens hoch hinauf getragen und tief hinunter getaucht wird. Der expressive Tanz der Compagnie TANZLIN.Z wird von der dramatischen Musik Walter Haupts getragen. Marc Reibel hat die Uraufführung des Tanzstücks am 30. März im Linzer Musiktheater dirigiert. Das Bruckner Orchester Linz hat mit der Interpretation des vielschichtigen Klangkosmos wieder einmal seine Qualität bewiesen. Etwas erschöpft vom imposanten Werk aus Tanz und Klang hat das Premierenpublikum dennoch Begeisterung gezeigt.

Marie Antoinette, entthronte und zum Tod durch die Guillotine verurteilte Königin von Frankreich, erinnert sich an ihr Leben, das nicht nur von Schönheit geprägt war. Andressa Miyazato, Marie Antoinette zur Zeit der Revolution. Sämtliche Bilder © Dieter Wuschanksi Andressa Miyazato ist diese gebrochene Frau, die zugleich nach vorn auf den Tod und nach hinten auf Reichtum, Freud und Leid blickt. Für die aus Brasilien stammende Tänzerin ist Marie Antoinette am Rande des Wahnsinns, sie fügt sich nicht in ihr Schicksal und kämpft mit irrem Blick und wild bewegten Armen dagegen an. Im Hintergrund funkelt ein überdimensionaler Diamant und erinnert an die sogenannte „Halsbandaffäre“, ein höfisches Intrigenspiel, in dem Marie Antinette das Opfer war. Die Szene wechselt, wir befinden uns in Versailles, das noch im Kindesalter verheiratete Paar, Ludwig, später der XVI. und Marie Antoinette begegnen einander. Jetzt ist die 14järige Tochter Maria Theresias eine öffentliche Figur, doch Choreografin Mei Hong Lin interessiert sich mehr für den Körper und das Bewusstsein der privaten Frau. Deshalb sind auch drei Verkörperungen der österreichischen Prinzessin, die zur französischen Königin geworden ist und eine einzige Aufgabe hatte: den Thronfolger zu gebären (bis zum Erfolg ist es ein langer, harter Weg), die einander die Erinnerung übergeben, auf der Bühne. Núria Giménez Villarroya ist die blutjunge in Frankreich mit Freude und Verehrung aufgenommene Österreicherin; Kayla May Corbin ist die Königin von Frankreich und Miyazato spielt die von der Revolution gefressene 38jährige.Am Hof von Versailles: Das aussdrucksstarke Ensemble.

In einer raschen Szenenfolge, unterstützt von der stets wechselnden Musik, atonal und tonal, chaotisch und geordnet, Streicherteppichen, Trompetenklängen und Schlagzeugrhythmen (Haupt setzt allein 56 Schlaginstrumente ein), wird die privaten Marie Antoinette gezeigt, ihre Entfremdung vom König, der mehr an der Jagd als am Ehe- und Familienleben interessiert war, ihre Verliebtheit in den schwedischen Botschafter Axel von Fersen und ihr Ruhepol, der Musterbauernhof „Trianon“ im abgelegenen Teil des Gartens von Versailles. Längst hat sich das Volk und bald auch der Adel von ihr abgewandt, statt Bewunderung und Verehrung schlagen ihr Hass und Diffamierung entgegen. Der schleimige Kardinal (Andrea Schuler) umgirrt die Königin (Kayla May Corbin.Auf der Flucht wird das Königspaar gefangen genommen. Man braucht nur geringe Geschichtskenntnisse, um zu wissen, wie das Drama endet.

Gekonnt setzt Lin das athletische und exakt arbeitende Ensemble ein. Dirk Hofacker steckt es in stilisierte und auch ironisierte Kostüme und setzt ihm weiße Perücken wie Hüte auf. Nur die Solisten (Ludwig XVI. als König: Valerio Lurato, entmachtet: Jonatan Salgado Romero; Graf von Fersen: Yu-Teng Huang, Joseph II.: Hodei Iriarte Kaperotxipi und Kardinal Louis de Rohan: der Italiener Andrea Schuler) sind im an das 18. Jahrhundert erinnernde Kostüm; der Rest der Compagnie trägt Designerkostüme, frech und witzig. Hofacker hat mit einfachen Mitteln auch das üppige in allen Schattierungen glänzende Bühnenbild gestaltet, eine goldene Sonne, in Erinnerung an den Großvater Ludwigs XVI. im Prunksaal von Versailles aufgehängt und einen hell leuchtenden Wald im Refugium Trianon gestaltet.Das Schicksal hat sich gewendet, die Bühne wird düster.

So tragisch und auch mitleiderregend die Geschichte der Marie Antoinette von Mei Hong Lin dargestellt wird (und auch tatsächlich ist), so ist dieses große Tanztheater auch ein Schau-Vergnügen. Der ausdrucksstarke Tanz mit oft satirisch überzeichneten Bewegungen und fließendem Szenenwechsel verschmilzt mit der ungewöhnlichen, nahezu narrativen und wirkungsvollen (wiewohl den Ohren schmeichelnden) Musik Walter Haupts, dem glänzenden Bühnenbild und dem subtilen Lichtwechsel zu einer prächtigen Show, die das Publikum beindrucken und auch unterhalten kann.

PS: Choreografie ist, wie die Leitung des Orchesters, noch immer eine Männerdomäne, auch im zeitgenössischen Tanz kann man erfolgreiche Choreografinnen an einer Hand abzählen. Ich zitiere die in Europa lebende amerikanische Tanzjournalistin Jessica Teague und ihre Studie „Dancing around the issue: a study on the gender imbalance among professional choreographers working in the fields of classical and contemporary dance“:

… Dass sich Frauen von den männlich dominierten Netzwerken – schwule Zirkel inklusive – ausgeschlossen fühlen, wird von Choreografinnen als weiterer Grund für mangelnde Entwicklungs- und Aufführungschancen angeführt.

In dieser Studie sagt eine Tänzerin:

Wenn du mit der Erfahrung aufwächst, dass 99 Prozent aller Choreografen, die dir begegnen, Männer sind ... dann lernst du irgendwann einfach, das Wort ‹Choreograf› als eine männliche Berufsbezeichnung anzusehen.

Mei Hong Lin, Direktorin von TANZLIN.Z ist eine der rühmlichen Ausnahmen, mutig und einfallsreich.

Mei Hong Lin / Walter Haupt: „Marie Antoinette“, Tanzstück von Mei Hong Lin, Musik von Walter Haupt. Choreografie und Inszenierung: Mei Hong Lin; Musikalische Leitung: Marc Reibel, Bühne und Kostüme: Dirk Hofacker; Lichtdesign: Johann Hofbauer; Leitung der OÖ Tanzakademie: Ilja van den Bosch; Dramaturgie: Katharina John; Mit der OÖ Tanzakademie am Landestheater Linz, Linzer Bürgerinnen und Bürger; Bruckner Orchester. Uraufführung: 30. März 2019, Musiktheater Linz.
Nächste Vorstellungen: 3., 6., 10. April 2019