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Alonzo King LINES Ballet: "Biophony / Sand"

"Sand" von Alonzo King.© Chris Hardy

Zum ersten Mal zu Gast im Festspielhaus St. Pölten: das Alonzo King LINES Ballet. Die Compagnie aus San Francisco des afroamerikanischen Choreografen zeigt die beiden Ballette „Biophony“ und „Sand“, beide Stücke beschäftigen sich mit der Natur und dem Menschen. In „Sand“, uraufgeführt 2016, dient der Sand als Metapher für menschliche Beziehungen; in „Biophony“, Kings jüngster Schöpfung, bewegt sich das Ensemble inmitten der Klänge des Erdballs.

"Biophony": Anmut und Akrobatik © Quinn B WhartonEine Grille zirpt, ein Elefant trompetet, allmählich füllt sich die leere Bühne mit Tänzern und Tänzerinnen. Sie bewegen sich selbstvergessen in einem Klanguniversum. Im Urwald quietscht und quakt, kreischt und knarzt es; in der Tundra heulen die Wölfe, die Wale singen ihr melancholisches Lied, die Wellen schlagen an den Strand, ein Gewitter braust mit plätschernden Regenschnüren herab; die Affen kreischen und keckern. Der Zuschauerraum weitet sich, ich schwebe in den Wolken. Die Illusionen entstehen auch durch das plastische Lichtdesign von Axel Morgenthaler.

Die Natur wird nicht nachgeahmt, auch wenn ich eine Hyäne kriechen sehe und einen Flamingo stolz auf einem Bein balancieren.Die Tänzer verschmelzen mit dem Klang, sind eins mit der Natur, in der selten absolute Stille herrscht. Die Zeit bleibt stehen, auch das Publikum befindet sich, abgehoben und fern des Alltags, in einem anderen Kosmos aus Klängen, Licht und bewegten Körpern. Fantastisch. "Biophony" im Klangraum des Universums. © R. J. Muna

Zu danken ist das nicht nur dem bestens aufeinander eingespielten und trainierten LINES Ballet und ihrem Meister Alonzo King, sondern vor allem dem Naturkünstler Bernie Krause und dem Komponisten Richard Blackford. Krause ist seit mehr als vierzig Jahren mit Mikrofonen unterwegs, die speziell für die Naturaufnahmen entwickelt worden sind. In seinen akustischen Archiven hat er ganze Ökosysteme archiviert.
"Biophony" Getanzte Unter-Wasser-Klänge. © Quinn B. WhartonEr selbst nennt diese kollektiven Klänge – von den Regenwäldern von Borneo bis zu einem Wasserloch in Kenia, von der Alaska-Tundra bis zu einer Wiese hoch in der Sierra Nevada – Biophonie, eine Symphonie aus von der Natur, Wind, Wetter, Meer und Fauna hervorgebrachten Klängen. Richard Blackford hat den Biosound zu einer Symphonie arrangiert, Alonzo King fügt den Menschen hinzu.

Mit 30 Jahren hat Alonzo King 1982 sein LINES Ballet gegründet, das durch seine persönliche Tanzsprache, die nur noch hie und da flüchtig an die Technik des klassischen Balletts erinnert, schnell Weltrum erlangt hat. In „Biophony“ bewegen sich die Tänzer*innen so präzise wie akrobatisch, so anmutig wie konzentriert und entwickeln in Solis und Gruppenauftritten einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann.

Für das zweite an diesem Abend im Festspielhaus St. Pölten gezeigte Stück, „Sand“, liefern die beiden Jazzmusiker Jason Moran, piano, und Charles Lloyd, saxophone, die Musik. "Sand", Sand als Metapher für Beiehungen. ©  Chris HardyDie Tänzer*innen bewegen sich einzeln, manchmal zu zweit, oft auch in der Gruppe, synchron und beschwingt, über die Bühne. Ein Vorhang aus dünnen Fäden im Hintergrund, golden oder silbern beleuchtet, erinnert an rieselnden Sand. Sand ist für King eine Metapher für den Menschen, für dessen Beziehungen und, schon zu biblischen Zeiten, ein Symbol für die Vergänglichkeit der Zeit und allen Lebens. Die Damen tragen erdfarbene Bodys, später sind sie ganz in Weiß; die Herren bewegen sich in schwingendenden Röcken oder dunklen Hosen, der Oberkörper bleibt unbedeckt und zeigt ein faszinierendes Muskelspielt. Bevor ein letztes Papier im Lichtkegel auseinanderdriftet und wieder zusammenfindet, sind alle elf Tänzer*innen gemeinsam auf der Bühne, bilden in ihren schwarzen und weißen Kostümen überaus ansprechendes, bewegtes geometrisches Bild.

"Sand" mit schönen Gruppenbildern. © Chris Hardy Schamlos drängte sich die Musik in den Vordergrund. Als Livekonzert würden mir die beiden Jazzgrößen schon gefallen, Moran mit seiner phänomenalen Klaviertechnik und Lloyd, der die Töne auf dem Saxophon oft mehr haucht als bläst (mit seinem aktuellen Quartett war er im Sommer 2017 im Wiener Porgy and Bess umjubelter Gast), doch von der Konserve wirkt das Spiel zu penetrant, der Ton ist viel zu laut, der Tanz geht unter. So schnell kann ich mich von der Biosymphonie nicht lösen. „Sand“ hätte als erstes Stück des Abends sicher mehr Aufmerksamkeit von mir bekommen.

Der Besuch des Alonzo King LINES Ballet ist erst der zweite überhaupt in Österreich. Die künstlerische Leiterin des Festspielhauses St. Pölten, Brigitte Fürle, hat mit dem Gastspiel der zur Zeit durch Europa tourenden Compagnie dem tanzaffinen Publikum wieder einmal ein außergewöhnliches Geschenk gemacht.

Alonzo King LINES Ballet: „Biophony / Sand“, 24. Februar 2018, Festspielhaus St. Pölten.
Choreografie Alonzo King; Musik und Sounddesign für „Biophony“ Bernie Krause, Richard Blackford / für „Sand“ Charles Lloyd, Jason Moran. Lichtdesign Axel Morgenthaler; Kostüme Robert Rosenwasser; Bühne für „Sand“ Christopher Haas.