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Ballettabend: Ein schwach brennendes Feuer

„Promethean Fire“ von Paul Taylor mit 16 Tänzer:innen.

Vorwort: Das war bisher unbekannt: Der Beruf der Tanzkritikerin ist gefährlich. Lieber nichts sagen, mit dem Schwamm drüber wischen, den Choreografen streicheln, sonst kommt der Hund ins Spiel. Was der hinterlässt wird zur Waffe, landet im Gesicht der Kritikerin. Also, aufgepasst, Zurückhaltung üben, das Herz lieber zur Mördergrube machen, als sich mit einem Hundswürstel beschmieren zu lassen. Es wurde übrigens vom eigenen Hund des 50 jährigen Angreifers, ohne den auch keine Probe stattfindet, produziert. Es ist kein Geheimnis, der Angreifer war der 50jährige Choreograf Marco Goecke, die Angegriffene die Tanzkritikerin der FAZ, Wiebke Hüster.

Fakten sind unverdächtig, da wird nichts geworfen: Eno Peçi und Fiona McGee sind das Solopaar in Paul Taylors Choreografie. Zu sehen war in der Volksoper je ein Werk zweier Choreografen der amerikanischen Modern, „Promethean Fire“ von Paul Taylor, entstanden 2002 , und „Beaux“, ein Tanzstück für neun Männer von Mark Morris, kreiert 2012. Dazwischen sind an diesem Abend auch zwei Choreografien von Martin Schläpfer zu gleichnamigen Kompositionen von György Ligeti: das Solo „Ramifications“ und „Lontano“, für zwei Trios, je eine Tänzerin mit zwei Tänzern. Dramaturgisch nicht gerade eine aufregende Zusammenstellung, ein Drittel des zweistündigen Abends gehört den beiden Pausen.
„Promethean Fire“ basiert auf Kompositionen für Tasteninstrumente von Johann Sebastian Bach in der Orchestrierung von Leopold Stokowski (1882–1977). Der Beginn mit dem Ohrwurm „Toccata und Fuge in d-moll“ ist ein Glücksgriff und lässt sofort die Bilder aus dem Zeichentrickfilm „Fantasia“ (erste Veröffentlichung 1940) entstehen, in dem Stokowski unter vielen anderen auch die Orchesterfassung der Toccata für Orgel dirigiert. 16 Tänzer:innen, ein Tanzkörper. Die grafische Auflösung der Musik ist besonders eindrucksvoll: Aus den Schattenbildern der Musiker entwickeln sich allmählich abstrakte Zeichnungen, die als tanzende Linien an die Bewegungen der Streicher denken lassen. Für das Kind eine erste Begegnung mit klassischer Musik, bei der es auch etwas zu sehen gab. Durch die Bebilderung ist das Wiedererkennen von im Radio gespielten Werken, wie Paul Dukas „Zauberlehrling“ oder der gesamten 6. Symphonie von Ludwig van Beethoven, ganz einfach geworden. Selbst die selten gespielte Komposition von Modest Mussorgski „Eine Nacht auf dem kahlen Berge“ erkenne ich heute noch, nach dem ersten Takt. Klar, dass auch Paul Taylor (1930–2018) diesen Film gekannt hat und Bach in der Version Stokowskis für sein Ballett gewählt hat. Bachs „Toccata und Fuge“ in abstrakte animierte Bilder umgeetzt. © artofdisney.canalblog.comBachs Musik wird durch die Architektur von „Promethean Fire“ auch sichtbar. Es ist ein dauerndes Fallen und sich wieder Erheben, die 16 Tänzer:innen bewegen sich wie ein einziger Körper, der zerfällt und sich wieder zusammensetzt. In der Mitte gibt es einen feinen Pas de deux, in dem Eno Peçi und Fiona McGee im Detail zeigen, was Taylor uns sage wollte: Haltet zusammen, nur gemeinsam sind wir stark und können auch schwere Zeiten überstehen. Die Kostüme des Designers Santo Loquasto erinnern wieder an den Disney-Film: schwarze Trikots mit feinen silbernen Linien. Richerd Chen See, ehemliger Tänzer in Paul Taylors Company, hat „Promethean Fire“ mit dem Staatsballett einstudiert. Foto: Tom Caravaglia
Mit der Sage von Prometheus, der den Menschen das Feuer gebracht hat, hat das Ballett ebenso wenig zu tun wie mit den Terroranschlägen auf das World Trade Center von 2001. “prometheisches Feuer“ ist ein stehender Ausdruck für große Kraft und Energie und wird gerne Künstlern oder Kunstwerken zugeschrieben. Was Taylors ein Jahr nach den Anschlägen entstandenes Werk mit diesen zu tun hat, erklärt der ehemalige Tänzer in Paul Taylor’s Dance Company Richard Chen See im Interview mit Verena Franke in der Wiener Zeitung.

Es geht um Resilienz, um die Wiederherstellung nach einer Katastrophe. Nun gut, ich werde Ihnen die Entstehungsgeschichte erzählen: Von unseren New Yorker Studios aus sah man direkt zum World Trade Center. Am 11. September 2001 konnten wir sehen, wie die Katastrophe passierte. Aufgrund der Ereignisse hatte Taylor das Gefühl, dass es nun ein Stück braucht, das alle Tänzer vereinigt. Üblich war das in der 16-köpfigen Kompagnie nicht, denn meist waren einige als Zweitbesetzung gecastet. Es gibt ja immer wieder Verletzungen. Aber wegen des Timings und der Genesis glauben die Leute, es sei Taylors Antwort auf 9/11. Wenn Taylor festgelegt hätte, dass es eine Performance über 9/11 wäre, dann hätte sich das Publikum darauf konzentriert, etwa die Terroristen oder ähnliche Anhaltspunkte zu suchen.

Einander an den Händen haltend, geben sich die aufgewühlten Tänzer:innen gegenseitig Halt. Hochgehoben wird Fiona McGee.Der unaufhörliche Fluss von Menschenketten, Menschentürmen, Vereinigung und Trennung, gereckten Fäusten, zum Himmel gehobenen Armen endet, barfuß getanzt, in hoffnungsfroher Gemeinschaft. Der Höhepunkt des Abends ist bereits zu Beginn vergeben.

Umrahmt von den beiden Einaktern der amerikanischen Choreografen sind zwei Kreationen Martin Schläpfers zu sehen. „Ramifications“ (Verzweigungen), ein intensives Solo zu György Ligetis gleichnamiger Komposition für Streichorchester, interpretiert von Sonia Dvořák. Sonia Dvořák tanzt das eindrucksvolle Solo in Martin Schläpfers „Ramifications“, zur gleichnamigen Musik von György Ligeti.Die Uraufführung mit der Tänzerin Marlucia do Amaral hat 2005 im Staatstheater Mainz stattgefunden. „Lontano“ zu Ligetis Komposition für großes Orchester, 2009 für das national Ballet, Het Muziektheater Amsterdam kreiert, wird wie Dvořaks Solo von den Damen auf Spitze getanzt. Ketevan Papava und Claudine Schoch müssen jedoch auch auf dem flachen Fuß gehen, begleitet werden sie von den Ersten Solotänzern Masayu Kimoto, Marcos Menha, Brendan Saye und dem Solotänzer Arne Vandervelde. Ausdruckslos bewegen sich die sechs Tanzenden im Trio oder Pas de deux in den grafisch gemusterten Trikots von Keso Dekker wie Maschinenwesen aus den ersten Tagen humanoider Roboter. Choreograf Martin Schläpfer feiert die Neueinstudierung seiner Stücke als Premiere und lässt sich samt dem Team beklatschen. Nicht nur Schläpfers Choreografien, sondern selbstverständlich auch die beiden Kreationen von Paul Taylor und Mark Morris, der mit „Beaux“ den Abend abschließt, sind Neueinstudierungen.
Marc Morris lässt die Schönlinge tanzen.„Beaux“ von Mark Morris, wie Taylor ein herausragender Vertreter der amerikanischen Moderne, ist ein Ballett für neun Männer, jeder ein sich selbst bewundernder Narziss, die sich miteinander konkurrierend präsentieren und auf Bewunderung warten. Im vergangenen Jahrhundert war der Ausdruck „ein Beau“ (aus dem Französischen: Feschak) für einen oberflächlichen, nur auf seine Wirkung bedachten jungen, oft auch wohlhabenden, Mann auch in Wien eine gängige Bezeichnung. Der „Playboy“ löste den Beau ab. Das Ballett der Schönlinge, Dandys oder auch Bobos, die sich benehmen wie Schulbuben im Pausenhof, beschreibt der Tanzkritiker Alastair Macaulay als „die fröhlichste Neuinterpretation von Männlichkeit, die das Ballett seit Jahrzehnten gesehen hat“. Nur in der Gruppe sind sie stark, Beaus neigen zur Bandenbildung. In der aktuellen Aufführung ist weder Fröhlichkeit noch Männlichkeit zu sehen. Die neun Tänzer in pastellfarbenen Trikots, deren sanftes Farbenspiel sich im Bühnenbild wiederholt, plagen sich redlich auf unterschiedlichem Niveau. Wenn Männer auch den Frauenpart tanzen, sich heben lassen oder weiche Armhebungen und Arabesken zeigen sollen, werden Trainingsrückstände schmerzhaft sichtbar. Witz und Esprit indes bleiben unsichtbar. „Beaux“ von Mark Morris anzusetzen, kann nur ein Irrtum sein. Auch wenn die Tänzer die Rolle der Tänzerin übernehmen, bleibt der Witz schal. Zsolt Török, Hanno Opperman
So erscheint dieser gemischte Abend unter dem Titel des Eröffnungsstückes, „Promethean Fire“, in der Erinnerung als eher flaue Unterhaltung, als Abend mit zwei Pausen, doch ohne Ecken und Kanten. Falls tatsächlich eine Erinnerung haften bleibt.
Merken sollte man sich den Namen des Dirigenten, der mit der musikalischen Leitung des Abends sein Debüt an der Volksoper gegeben hat: Jean-Michaēl Lavoie. Der Kanadier ist in Wien kein Unbekannter, seit gut zehn Jahren arbeitet er immer wieder mit dem Klangforum Wien zusammen. Die unterschiedlichen Musikstücke, von Bach bis Ligeti, vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, meistert er gemeinsam mit dem Volksopernorchester zur vollsten Zufriedenheit.

„Promethean Fire“, ein Abend mit Werken von Paul Taylor, Martin Schläpfer und Mark Morris. Jean Michaël Lavoie dirigiert das Volksopernorchester. Premiere: 11.2. 2023, Wiener Staatsballett in der Volksoper.
„Promethean Fire“, Musik von Johann Sebastian Bach in der Orchestrierung von Leopold Stokowski. Choreografie: Paul Taylor, Bühne & Kostüme: Santo Loquasto. Licht: Jennifer Tipton. Einstudierung: Richard Chen See. Tanz: Fiona McGee und Eno Peçi sowie weitere 14 Tänzer:innen des Wiener Staatsballetts.
„Lontano“ , Musik von György Ligeti. Choreografie. Martin Schläpfer. Bühne & Kostüme: Keso Dekker. Licht: Stefan Bolliger. Einstudierung: Julie Thirault. Tanz: Ketevan Papava, Claudine Schoch, die Ersten Solotänzern Masayu Kimoto, Marcos Menha, Brendan Saye und der Solotänzer Arne Vandervelde.
„Ramifications“, Musik: György Ligeti. Choreografie: Martin Schläpfer. Bühne und Kostüm: Thomas Ziegler. Licht: Stefan Bolliger. Einstudierung: Louisa Rachedi. Tanz: Sonia Dvořák
„Beaux“, Musik von Bohuslav Martinú. Choreografie: Mark Morris. Bühne & Kostüme: Isaac Mizrahi. Licht: Michael Chybowski. Einstudierung: Elisa Clark. Tanz: Neun Tänzer des Wiener Staatsballetts
Nächste Vorstellungen: 17., 21., 25.2., 12., 20.3. 2023.
Fotos: © Wiener Staatsballett / Ashley Taylor
Anmerkung: Der oben angedeutete Skandal im Foyer des Opernhauses Hannover wird in den Printmedien genüsslich ausgebreitet. Ausschnitt aus Marco Goeckes Choreografie „Fly Paper Bird“ mit dem Wiener Staatsballett.Doch der physische Angriff auf die Tanzkritikerin Wiebke Hüster durch Marco Goecke hat mit dem schlechten Benehmen und der Unbeherrschtheit des Choreografen zu tun und ist intolerabel. Was jedoch niemanden hindern soll, Ärger und Verachtung auf sein Werk zu übertragen, das würden auch die Tänzer:innen nicht verdienen.  „Fly Paper Bird“, für das Wiener Staatsballett geschaffen, bleibt eine großartiges Tanzstück. Am 3., 10.  und 13. April i2023 ist es gemeinsam mit „Marsch, Walzer Polka“ von Martin Schläpfer und „Symphonie in C“ von Georges Balanchine unter dem Übertitel „Im Siebten Himmel“ noch einmal in der Staatsoper zu sehen.