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László Seregi / Léo Delibes: „Sylvia“ in Budapest

Remmidemmi im Cabaret.

Mtit fröhlichem Engagement zeigt das Ensemble der Budapester Oper die komische Version des Balletts „Sylvia“, geschaffen 1972 vom ungarischen Ballettmeister und Choreografen László Seregi (1929–2012) zur romantischen Musik von Léo Delibes. Die köstliche Choreografie hat nichts von ihrem Charme verloren, davon kann sich das Publikum auch im Mai 2019 überzeugen. Die Vorstellungen finden, während das Opernhaus renoviert wird, im schon vor einigen Jahren renovierten Erkel-Theater statt.

László Seregi ist mit der Adaption von „Sylvia“ – er lässt sein Ballettensemble das Schäferspiel „Sylvia“ proben, die Musik Delibes bleibt unberührt – ein Meisterstück gelungen. Der quicklebendige Amor turnt im Ballettsaal. Einfallsreich und mit Witz hat Seregi eine stringente Dramaturgie entwickelt, in der sich die beiden Ebenen des Librettos, die Liebeleien, Eifersüchteleien und Intrigen im Ballettsaal und das gleiche Spiel von verschmähter, verbotener und erfüllter Liebe im mythologischen Plot der Originalchoreografie, nahtlos rmischen.

Man muss die Handlung der Originalchoreografie von Louis Mérante (1876), orientiert am Schäfergedicht „Aminta“ von Torquato Tasso (1544–1595), nicht unbedingt kennen, so klar choreografiert Seregi seinen ganz eigenen Plot. Wer aber das in Paris 1876 uraufgeführte Ballett kennt, orientiert sich ein wenig schneller. Seregi wollte einerseits den Ballettalltag, den er als Tänzer und späterer Ballettmeister in Budapest nur allzu gut kannte, auf der Bühne zeigen und diesen andererseits mit der mythologischen Geschichte parallel setzen. Die kleine Ballerina ist zugleich Sylvia.Das ist ihm vollauf gelungen. Mit einem Sprühregen an Pointen entwirft er die Szenen im Ballettsaal und in der fernen Welt der Götter, Nymphen und Faune. Typengerecht und mit sanfter Ironie charakgerisiert er die Personen, sodass das Ensemble im Ballettsaal nahezu unmerkbar (wäre da nicht der Kostümwechsel) in die Rollen gleiten, die geprobt werden. Das Publikm darf sich nicht nur am Tanz erfreuen, sondern auch an den vielen Einfällen, mit denen Seregi es ergötzt. Eine dieser Ideen wird mir lange in Erinnerungen bleiben (sicher nicht die allein): Der Anbeter Sylvias, Aminta, ist von ihrem Pfeil verletzt und stirbt (scheinbar), Amor beschließt ihn zu heilen. Dafür erscheint er bei Seregi als Faun mit Zylinderhut, zaubert Amynta wieder zum Leben und verwandlelt sich flugs in einen Zentauren (vorne Faun, hinten Pferd). Die Jüngerinnen der Diana haben ihre Freude mit dem Doppelwesen, auf dessen Rücken die Ballerinen voltigieren, und das selbst mit vier Beinen einen Tango tanzt. Der Zentaur, ein fröhliches Doppelwesen. Zum Glück muss das halbe Pferd nicht wiehern, der halbe Faun nicht singen. Seregi ist niemals derb oder primitiv, zeigt Esprit und nicht Klamauk.

Er unterhält also sein Publikum aufs allerbeste, ohne dabei, der Musik folgend, auf Pas de deux und tänzerische Bravourstücke, akrobatische Einlagen zu verzichten. Niemals verrät er die zauberhaften Melodien, belässt den Noten von Léo Delibes den Vorrang. Dirigent András Déri bringt sie zum Klingen.

Frappierend ist auch der fließende Szenen- und Kostümwechsel, Die Prima Ballerina ist zugleich Diana, Göttin der Jagd und des Mondes.einen Augenblick nur benötigt die gesamte Compagnie, um sich von Faunen und sich wiegenden Tempeldamen in eine Cancan tanzende Truppe zu verwandeln. Ehe man sich‘s versieht, ist das große Hochzeitsfinale in Gang. Die Herren winken mit ihren Girardihüten, die Damen zeigen ihre Beine und die Solist*innen dürfen noch einmal ihre Pirouettes, Arabesques und Jetés zeigen.

Die Rollen:
Amor / ein junger Tänzer: Der geflügelte Cherubino segelt auf einer Wolke herab, mischt sich unter Menschen und Götter; mit Eleganz spannt er den Bogen und schießt seine Pfeile ab, damit jeder Topf seinen Deckel findet. WennDer Erste Solotänzer (Amyntas) und die Ballerina (Sylvia) im schönen Pas de deux die Pizzicati erklingen, tanzt er allerliebst auf Spitze und schwingt elegant wie die Ballerina seine Arme. Während der Vorstellung habe ich mir eine Besetzung in Wien überlegt und würde für den Amor Scott McKenzie wählen, der kann nämlich auch allerliebst in Spitzenschuhen tanzen. In Budapest war Boris Myasnikov das schlemische Bübchen.
Sylvia / eine junge Solotänzerin: Eine junge Tänzerin, zierlich und schüchtern, die alle Männer, auch die, die erst welche werden, bezaubert. Tatiana Melnik hat in Budapest getanzt / Natascha Mair wäre in Wien die richtige Tänzerin für diese Doppelrolle.
Amyntas (Aminta) / Erster Solotänzer: Ein schlanker, kräftiger Tänzer, der in die Ballerina verliebt ist. Gergö Armin Balázsi macht im Erkel Színház gute Figur; in Wien (und im Konjunktiv) natürlich Jakob Feyferlik.
Diana / Erste Solistin: Eine Wucht, ein Star, eine Diva, Hanna Glawari (aus der lustigen Witwe). Amor legt die Flügel ab und ist ein junger Tänzer.Sie ist hinter jedem männlichen Wesen her, hat es aber vor allem auf den Ballettmeister abgesehen hat. Die junge Tänzerin wird aus Eifersucht mit Verachtung behandelt. Wie eine Königin beweget sie ich im Wald, als Starballerina schreitet sie das kleine Treppchen im Ballettsaal hinunter, als hätte sie zwölf Oscars auf einmal gewonnen; wenn sie es für nötig hält, verteilt sie blitzschnell klatschende Ohrfeigen (sowohl der Ballettmeister (Orion) wie auch die kleine Ballerina bekommen das an der eigenen Wange zu spüren). Diana Kosyreva ist diese glamouröse Figur, eine energiegeladene, selbstsichere Tänzerin, die mit Bravour eine alternde Diva spielt. Ich würde in Wien Ketevan Papava aussuchen, deren Bühnenpräsenz ebenso umwerfend ist.
Orion / Tanzmeister: Die Rolle des Bösen ist bei allen Bühnenstücken die größte Herausforderung und nicht nur bei den Darstellern, sondern auch beim Publikum beliebt. Orion wird vom Tanzmeister verkörpert. Beide halten sich für unwiderstehlich. Ein Irrtum.Als Tanzmeister (oder Chefchoreograf, wie Seregi es auch war) ist er streng und mit der Dauerbelästigung der Tänzerin bereits mit einem Bein im Gerichtssaal, als Orion, der Sylvia raubt und in seine Höhle schleppt, darf er Hörner tragen und doch kein Teufel sein, sondern ein tollpatschiger Teufel mit Hörndeln, der sich hinter den wackelnden Faungestalten am Bühnenprotal versteckt und so auffällig unauffällig umherschleicht, dass sich die Bäume des Waldes vor Lachen biegen. Zóltan Oláh tanzt und spielt den Bösen in der Komödie mit Verve und großem Vergnügen. In Wien ist Géraud Wielick mein idealer Orion. Er hat genügend Komik im Kopf, ausgiebig Gefühl im Bauch, und jede Menge Energie in den Beinen.

Doch in Wien tanzt eine andere Sylvia, Die Prima Ballerina kann endlich den Tanzmeister einfangen. Als Diana ist ihr ein Liebesverbot auferlegt. ernsthaft und in Anlehnung an das Original in der Choreografie von Manuel Legris. Budapest ist jedoh nicht gar so weit: Ohne große Anstrengung haben wir ein reiches Programm in einem Tag erledigt: Hinreise, Genuss der großartigen, erheiternden Vorstellung, Schlemmen im historischen Ambiente der Konditorei Hauer mit Dobostorte und Tokay, und schließlich die Heimfahrt. Am Sonntag, 19. Mai findet für heuer die letzte vergnügliche Matinee statt.

Laszlo Seregi: „Sylvia“, Musik von Léo Delibes. Musikalische Beratung: Tamás Pál; Bühnenbild: Gábor Forray; Kostüme: Tivadar Márk. Gesehen am 11. Mai 2019, Ungarisches Staatsballett im Erkel Theater.
Weitere Vorstellungen in dieser Saison: 17. und 19. Mai 2019. In der kommenden Saison: ab 14. März 2020.
Fotos: © Attila Nagy, Zsófia Pályi.