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Theater.punkt – Samuel Beckett: „Glückliche Tage“

Alexandra Sommerfeld ist Millie im eisernen Gefängnis.

Im langgestreckten, hellen Raum der Galerie Elisabeth & Klaus Thoman inmitten der großformatigen Bilder von Hermann Nitsch inszeniert Sabine Mitterecker / Theater.punkt das 1961 uraufgeführte Drama „Glückliche Tage“ von Samuel Beckett (1906–1989). Quasi als Ausstellung einer Ikone, die es neu zu betrachten gilt. Die Premiere der zweiaktigen Tragikomödie, auch mit mehr als 50 Jahren immer noch in den Spielplähnen der großen Bühnen, ist am 9. Mai mit Begeisterung aufgenommen worden.

Wie Becketts Dramen „Warten auf Godot (1952) und „Endspiel“ (1957) ist auch „Happy Days“ bereits zu Tode interpretiert. Autor Samuel Beckett (1906–1989). © wikipedia, free licenseAuch wenn Beckett die Hauptperson, Winnie, als „eine etwa 50jährige, gut erhaltene Blondine“ beschreibt, sehen die Deuter*innen sie bereits mit beiden Füßen im Grab stehen. Gut, Beckett lässt sie in einem Sandhaufen versinken, bis im Finale nur noch ihr Kopf herausragt. Nicht so Regisseurin Sabine Mitterecker. Sie interpretiert gar nicht, lässt ihre Protagonistin Alexandra Sommerfeld in ein rostiges Gitterwerk (Skulptur von Alexandra Pilz) steigen, das dem Gerüst eines riesigen Reifrocks ähnelt. Darin ist sie festgefroren, bewegt nur den Oberkörper, Kopf und Arme. Damit sie zu Beginn der Vorstellung in ihr Gefängnis hineinkriechen kann, muss die schwere Skulptur von zwei Assistentinnen angehoben werden. Auch am Ende eilen die beiden zierlichen Bühnenarbeiterinnen herbei, um Sommerfeld wieder herauszulassen.

Mitterecker hält sich an die Textpartitur Becketts, inszeniert die Wortkaskaden Winnies samt Willies oft zusammenhanglosen Einwürfen, eindeutig und ironisch, ohne bedeutsame, tragikschwangere Untertöne. Weil Becketts Texte samt Wortspielen und Zitaten so musikalisch sind, gibt sich Sommerfeld selbst die punktgenau aufgezeichneten Regieanweisungen: „Pause. Kopf wieder gerade. Blick nach vorn gerichtet. Faltet die Hände vor der Brust. Schließt die Augen. Lippen bewegen sich zu unhörbarem Gebet, etwa drei Sekunden, …“. Winnie (Alexandra Sommerfeld) will sich gegen die Sonne schützen und glaubt, die Arme nicht mehr senken zu können. Manchmal befolgt sie diese auch, dann wieder werden sie nur rezitiert oder auch nicht gesagt, nur gespielt.
Verbesserung: Rezitiert ist das falsche Wort, Alexandra Sommerfeld rezitiert nicht, nicht die Anweisungen, nicht ihren eigentlich Text, eine unaufhörliche Suada von Banalitäten, Erinnerungen, Rufen nach ihrem Partner, Willie (Günter Rainer), der für sie unsichtbar in weit entfernter Ecke sitzt, in einem Buch liest, auf ihre Fragen nicht antwortet, irgendwelche Sätze, vermutlich Fragmente des Gelesenen, von sich gibt. Sie bringt den Text zum Klingen, schmeckt ihn, umschmeichelt ihn, wirft ihn von sich, um ihn wieder zu inhalieren. Sie kommuniziert mit dem Publikum, wendet sich mit Blicken und Untertönen direkt an das Publikum, spricht also nicht wirklich ins Leere. Manchmal wird sie leise, murmelt, Die Pistole, die Winnie spielerisch gegen den für sie unsichtbaren Willie richtet, gehört zu Ihren Habseligkeiten, die sie in einem Beutel mit sich führt, fürsorglich aus- und einpackt. für mich im nicht gerade akkustikfreundlichen Galerieraum Unverständliches, in sich hinein. Da wird die Komödie kurz zur Tragödie.

Winnie lebt vom schrillen Weckton, der sie morgens aus dem Schlaf weckt bis zum abendlichen Schrillen der Klingel, das ihr endlich erlaubt, sich dem Schlaf hinzugeben. Stimmt, wir warten alle auf dieses Zeichen, das uns endlich den ewigen Schlaf erlaubt, wahrhaben wollen wir es jedoch nicht. Das Beckett 1960 bereits an den Tod gedacht hat, wage ich zu bezweifeln, war er doch eben erst 50 geworden. Dass der Welt jeglicher Sinn fehlt, kann nach zwei Weltkriegen nicht verneint werden. Jedenfalls scheint mir, dass auch Sommerfeld als Winnie weniger an den Tod denkt als an das Leben. Sie bleibt optimistisch, auch wenn sie damit nicht weiterkommt, immer am selben Platz steht, dieselben Handlungen vornimmt (ihre Sieben Sachen hängen in einem Beutel am Gitter, vor allem Kosmetikzeug und ein alter Revolver, mit dem sie einmal in Richtung Willie zielt, Günter Rainer ist Willie, Winnies unsichtbarer Ehemann.diesen auch beschimpft, dann wieder umgirrt). Ein Sonnenschirm aus durchsichtigem Kunststoff hängt an der anderen Seite, einmal wird er aufgespannt, sie kann die hochgehobenen Arme nicht mehr senken, immer Dasselbe muss es sein. Das beruhigt, Wiederholung ist alles, das Leben ein Ritual, in dem als Mantra der Satz „Wieder ein himmlischer Tag“ oder auch „Das wird wieder ein glücklicher Tag werden / gewesen sein“. Damit sie sich bewegen könnte „muss etwas in der Welt geschehen“, aber es geschieht nichts, außer dass ein Paar vorbeikommt und sie begafft in ihrem Gefängnis. Winnie sieht sie, erzählt dem Publikum, was sie reden: „Was hat das alles zu bedeuten?“ Beckett, so scheint mir, macht sich weniger über Winnie lustig, („pralle nackte Arme und Schultern, tief ausgeschnittenes Mieder, vollbusig…“ sieht er sie; Sommerfeld steckt im fliederfarbenen Seidenkleid, vollbusig und prall) als über das p. t. Publikum, das bei der New Yorker Uraufführung weniger konsterniert war als die Kritiker.

Mitterecker hat den Text, meiner Erinnerung nach, ein wenig gekürzt, konzentriert sich gemeinsam mit Sommerfeld ganz auf Melodie und Rhythmus von Becketts Dichtung. Winnie (A. Sommerfeld) kommt nicht vom Fleck, doch sie bleibt guten Mutes. Jeder Tag ist ein himmlischer.Alexandra Sommerfeld klagt nicht, spricht keinen hochtrabenden Theatertext, sondern erzählt, schaut ins Publikum, als ob sie uns zuzwinkern würde. Immer wieder muss ich über sie lachen, doch Sommerfeld legt es nicht auf Komik an, es ist Beckett, der ihr das Komische in den Mund legt. Im zweiten Akt ist die Sonne gesunken, Winnie ist das Lächeln vergangen, das erwünschte immer Gleiche ist zur Last geworden, aus ihrem Gefängnis kann sie nicht mehr heraus. Die Katastrophe findet nicht statt, Winnie bleibt erstarrt stehen, bis das Gitterwerk entfernt wird, der Applaus von den Übereiligen gestartet wird.
Günter Rainer ist der perfekte Kontrapart der unaufhörlich Schwätzenden Winnie. Interesselos sitzt er auf seinem Sessel in der Ecke, fächelt sich mit dem Buch Luft zu (Beckett wünscht sich einen heißen Sommertag, der Sandhaufen steht offenbar in der Wüste, die Welt ist leer; der Galerieraum in helles Licht getaucht, das Publikum füllt ihn, sitzt recht nahe an der Protagonistin.), wirft seine sinnlosen Sätze ein, deutlich und gleichmütig. Das letzte Flüstern von Winnies Namen lässt keinerlei Erotik oder Gier anklingen. Vielleicht Liebe?

Ich fühle mich dieser Winnie sehr verwandt. Was mache ich denn den ganzen Tag? Ruth White (1914–1969) spielte bei der Uraufführung in New York die Winnie. Im Bild mit einer Emmy. © californiauser001 / wikipedia, Free licenseZwar nicht in einen stählernen Reifrock eingeschmiedet, doch herumhetzend, warte ich, auf dass die Nacht eingeläutet wird, die kurze von einigen Stunden, oder die endgültige, ewige. Stecken wir nicht alle irgendwie fest und machen trotzdem weiter? Statt Absurdität und Todesdrohung, statt Grenzsituation und Endspiel, zeigen Mitterecker und Sommerfeld eine Frau, mit der ich mich identifizieren kann. Keine lächerliche, verachtenswerte Figur steht da festgemauert im Raum, sondern eine Frau, die weiß, dass ihre Schönheit allmählich verblüht, deren Brüste bald schlaff werden, und die dennoch nicht aufgibt. Weil das Leben weiter gehen muss, dazu sind wir da. Geschminkt oder völlig nackt.

Theater. punkt: „Glückliche Tage / Happy days“ von Samuel Beckett in der Übersetzung von Erika und Elmar Tophoven. Mit Alexandra Sommerfeld und Günter Rainer. Inszenierung: Sabine Mitterecker; Klangregie: Wolfgang Musil; Ausstattung und Skulptur: Alexandra Pilz; Dramaturgie: Uwe Mattheiß. Premiere: 9. Mai 2019, Galerie Elisabeth & Klaus Thoman (1010, Sailerstätte 7).
Weitere Aufführungstermine: 11., 14., 17., 18., 23. und 24. Mai 2019.
Fotos: © THEATER.punkt. Die Hauptdarstellerin agiert in der aktuellen Ausstellung vor dem Bild "Das letzte Abendmahl", 1983, von Hermann Nitsch. © Galerie Thoman.