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Sternstunden im Osterfestival Tirol

Vom 4. bis 20. April stehen Hall in Tirol und Innsbruck im Banne des traditionellen Osterfestival Tirol. Die künstlerische Leiterin, Hannah Crepaz, hat ein Spitzenprogramm ausgesucht, das thematisch mit den Gegensätzen von Sein und Schein spielt. Künstler und Künstlerinnen aus unterschiedlichen Realitäten, Herkunftsländern und Genres haben sich mit dem Motto auseinandergesetzt.
Anstatt sein_schein könnte man auch die zur Zeit hochaktuellen Begriffe fakt_fake verwenden. Wie auch immer, für Hannah Crepaz und Maria Crepaz, mit ihrem Mann Gerhard († 2021) Gründerin des Osterfestival Tirol, sind die Gegensätze nicht unüberwindbar. Man muss nur zuhören und hinsehen, den Willen haben zu verstehen.
Es fällt wirklich schwer, aus dem Sternstunden-Angebot dies oder das hervorzuheben, doch dass das „Kino der Nacht“, wie der Tiroler Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott den Sternenhimmel nennt, einen Programmpunkt bekommt, ist schon bemerkenswert. Ausgerechnet im romantisch fensterlosen Salzlager tritt Schrott auch als Kenner des Sternenhimmels auf. In aller Welt hat er den nächtlichen Himmel erforscht und auf allen Kantinentinten Sternenhimmel gesammelt. 17 sind es geworden, und sie alle zählen zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit. Wir wissen nicht, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt, doch es gibt wohl kaum einen Menschen, der nicht mit wechselnden Emotionen in den Sternenhimmel geblickt hat. 13.4., Hall, Salzlager.
Auch über das Osterfestival Tirol leuchten die Sterne, doch die Blicke der Besucherinnen sind auf die Bühne gerichtet, wo sich Tanz und Musik, Film und Gespräch abspielen. Der Tanz ist ein fester Bestandteil des Osterfestivals Tirol und fordert diesmal besondere Aufmerksamkeit. In der Choreografie Mellowing von Christos Papadopoulos fordert das berühmte Berliner Ensemble Dance On mit minimalen Verschiebungen die Wahrnehmung heraus. Nicht nur im Körper der Tänzerinnen und Tänzer rufen diese kleinen, kaum wahrnehmbaren Bewegungen tiefgreifende Veränderungen hervor. Auch bei der Beobachtung des Alltags, der Natur und der Politik sollte die Wahrnehmung geschärft werden, um zu wissen, was letztlich daraus entsteht. 12.4., Innsbruck, Congress (Dogana).
Beytna/ Die Einladung. Die Mutter kocht. Der libanesische Choreograf Omar Rajeh hat seine Mutter in die Choreografie eingebaut. Auf der Bühne steht ein langer Tisch, darauf sind Schüsseln und Teller, Gemüse und Obst, die Mutter steht an den Töpfen. Die vier Musiker aus dem Libanon und Palästina machen inzwischen den vier Tänzern der Gruppe Maqamat Appetit. Anani Sanouvi aus Westafrika, der Belgier Koen Augustijnen und der Koreaner Moonsuk Choi sie bringen ihre eigenen Erfahrungen und ihre Tradition zu diesem (Tanz-)Fest mit. Die Kunst trifft auf den Alltag, die Unterschiede verschwimmen, beim Essen entsteht eine Gemeinschaft. Ein Fest mit Tanz und Musik, Text und Filmeinspielungen rund um den Tisch auch für das Publikum. Gründonnerstag, 17.4. Innsbruck, Congress (Dogana).
Eröffnet wird das Festival von zwei italienischen Komponisten, deren Werke unterschiedlicher nicht sein können. Domenico Scarlatti (1685–1757) ist mit seinem meisterhaften 10-stimmigen Stabat Mater zu hören. Due Cori nennt Salvatore Sciarrino (*1947 in Palermo) seine Komposition und bezieht sich damit auf den griechischen Mythos rund um Agamemnon und seine Familie. Die trojanische Seherin Kassandra, die Agamemnon nach Kriegsende als Gefangene und Geliebte mit ins heimatliche Mykene gebracht hat, erzählt von der Unbeständigkeit und auch Unvorhersehbarkeit des Schicksals.
Ergänzt werden diesen beiden Hauptwerke des Abends, über dem die Bitte Da Pacem / Gib Frieden steht, durch die Choralmusik Mit geschlossenem Mund von Wolfgang Rihm († 2024) und die Madrigale / Tränen des Hl. Petrus, die letzte Komposition von Orlando di Lasso († 1594). Beschlossen wird dieses Konzert aus Meisterwerken von Klangforum & Schola Heidelberg und dem ensemble aisthesi unter der Leitung von Walter Nußbaum mit der Motette Da Pacem Domine von Cipriano de Rore († 1565). Das wird ein so schöner und musikalisch spannender Abend, dass ich mir eine Aufzeichnung davon wünschte. 4. April, Hall, Salzlager.
Spannend wird auch die Tanzperformance der Hungry Sharks am Sonntag, 6.4. In Destination FCKD tanzen die NPC rund um die Säulen des Salzlagers, verstecken sich dahinter und tauchen plötzlich wieder auf. FCKD, das ist ein Konsonantenskelett, dem ein u und ein e fehlt, dann ergibt sich ein Wort, das vor allem von der Jugend im Internet verwendet und verstanden wird. Die wichtigere Abkürzung ist NPC, die von den energiegeladenen, emotionalen jungen Tänzerinnen unter dem Choreografen Valentin Alfery getanzt und (doch) gespielt werden, weil sie Non Playable Characters / Nicht Spieler-Figuren darstellen. Diese künstlichen Identitäten werden auf Spieleplattformen verwendet, um die von den Spielenden bewegten Figuren zu ergänzen. Sie verhalten sich in vordefinierten Schleifen, wiederholen ihre Bewegungen, ändern die Richtung, machen (eingebaute) Fehler, manche können von den Spielenden (Handelnden) bewegt werden. Alfery nennt seine Choreografie Destination FCKD und zeigt uns hinter dem Vergnügen der Beobachtung der NPC auf der Bühne, dass auch der Algorithmus Menschen benötigt, die ihn schreiben. 6.4., Hall, Salzlager.
Jetzt doch noch ein kurzer Blick auf ein Konzertprogramm, das Bilder für die Ohren kreiert. Waves / Wellen heißt der Abend mit Musik aus dem Klangkosmos von Beat Furrer (` 1954) und einer Uraufführung der Deutschen Komponistin Sarah Nemtsov (* 1980). Sowohl Akusmata, für acht Stimmen und acht Instrumente von Furrer, als auch from shore to shore / Von Küste zu Küste, ein Auftrag des Ensembles für Neue Musik Phace an Nemtsov, die sich am Roman Waves von Virginia Woolf orientiert, lassen das Publikum in neue Räume eintauchen, umhüllen es mit Wellen von warmen Winden und lauem Wasser, entheben es dem individuellen Alltag und fügen es zu einer Gemeinschaft des Hörens. Schöne Neue Musik. 16.4., Hall, Salzlager.
Wenn die Osterglocken verklungen sind und das Festival zu Ende geht, wird es ganz still. Die Compagnie LeineRoebana (Andre Leine und Harijono Roebana) widmet sich der Stille, die mitunter auch sehr laut sein kann. Silenzio zeigt mit sieben Tänzerinnen und Tänzern im Dialog mit der Musik von Arvo Pärt (* 1935), Josquin Desprez († 1521) und Sofia Gubaidulina (* 1931). Auch in diesem Stück über die Stille paaren sich die Gegensätze, Alte und Neue Musik, das Ruhige und das Lebhafte. Ostersonntag, 20.4., Innsbruck, Congress (Dogana).
sein_schein: Osterfestival Tirol 2025, Innsbruck, Hall in Tirol, 4. bis 20. April 2025
Alte Musik, Neue Musik, Tanz, Film, Vortrag, Lesung, Film, Liturgie.
Das genau Programm im Internet.