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Du siehst mich, du siehst mich nicht

Tiran Willemse

„Schwarze Milch“, blackmilk, titelt Tiran Willemse  seine Performance, die er bereits in einer früheren Fassung, blackmilk (melancholia), bei ImPulsTanz vorgestellt hatte. So widersprüchlich der Titel, so facettenreich ist auch sein daraus weiterentwickeltes Solo, das der in Südafrika geborene, in Europa lebende Künstler nun im NEST vorgestellt hat.

Dunkel beginnt blackmilk. Die schwarze Guckkastenbühne des neuen Spielorts der Wiener Staatsoper wird nur durch zwei zarte Lichtquellen von oben erhellt. Dunkel ist auch Tiran Willemse gekleidet. Ganz in Schwarz und barfuß betritt er den Bühnenraum, um im ersten Teil seiner in unterschiedliche, lose miteinander verbundene Sequenzen untersteilte Choreografie mit dem im Programmtext angekündigten Tanz der Arme, Hände und Finger der südafrikanischen „Trompoppies“, tanzender Trommlerinnen (Majoretten), zu beginnen. Auf der Soundebene des in Wien lebenden Klangkünstlers Manuel Riegler, der wenige Tage zuvor auch für die Musik bei Latente verantwortlich zeichnete, fühlt man sich in eine mit Wasser gefüllte Höhle versetzt, in der sich das Ringen um ein Außen, eine „Welt da draußen“ erzählt.
Tiran Willemse im stets wachsenden Licht. „There’s such a lot of world to see“, heißt es so auch in Henry Mancinis Moon River (1961), dessen Text Willemse bei seinem Auftritt spricht, während er, noch im Dunkel, an die linke vordere Ecke der Bühne geht. Von hier aus beginnt er bei stetig wachsendem Licht seine Arme kraftvoll nach vorne zu strecken, die Finger wild tanzen zu lassen, die Faust zu ballen. Auf, zu, nie ganz, immer an der Grenze zu Assoziationen eines Kampfes gegen die Dunkelheit. Bald reißt er die Arme weiter hoch, setzt zum Boxkampf an, lässt den Oberkörper fallen, greift wieder weit aus. Eine Armlänge Freiheit, die die tanzenden Gliedmaßen des nun in eine Wippbewegung übergehenden Körpers erzählen. So wie zu Beginn das Bild des an ein Ufer schlagenden Wassers auftaucht, erinnert der stetig stärker wippende Körper an ritualisierte Bewegungen, zu denen sich auch das Auflegen der Hände an beiden Seiten des Kopfes des Tänzer reiht. Tiran Willemse, eine Bühnenfigur mit vielen Facetten.  Ein Moment der Ruhe, der nur kurz anhält. Dann ändern sich der Tonus der Performance, wird aus dem kreisenden geschlechtslosen Körper eine hysterisch anmutende neue Person, die versucht, Socken und Turnschuhe anzuziehen. Willemse verzerrt das Gesicht zur Fratze, schreit, versucht, „weibliche“ Gesten auch sich herauszupressen – der Programmtext verweist auf „weiße feminine Starlets“ – ehe er beginnt, den „Spielraum“ seines assoziationsreichen Bühnenfigur laufend, minutenlang kreisend, um eine weitere Facette zu erweitern. Wieder erscheint eine neue Figur, übernimmt der Tänzer zu Kanye Wests Runaway (2010), in dem „Baby“ dazu aufgefordert wird, so schnell wie möglich davonzulaufen – „Run away fast as you can“ – „maskuline“ Gesten, ehe es zuletzt heißt: „This ist not my life“ und Willemse all die Figuren, Klischees und Affekte, die er in rund 60 Minuten erscheinen ließ, wieder aus seinem Körper verabschiedet und dazu einlädt, sich von Zuschreibungen zu verabschieden: „Now you can see me.“ Während der Bühnenraum erneut in Dunkelheit versinkt, hat sich an dessen Rückwand ein weißes Lichtfenster eröffnet, zuerst zart, dann immer kräftiger leuchtend, in dem sich Willemse noch einmal zeigt, wenn auch nur als winziger Ausschnitt, Kopf ohne Körper. Du kannst mich sehen – du kannst mich nicht sehen – du kannst mich sehen … Damit endet blackmilk, in dem sich Dunkelheit und Licht mit einem Repertoire an ikonischen „Geschlechter“-Gesten paaren, um diese letztlich wieder im Dunkel aufzulösen.
„Er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz“, heißt es in Paul Celans Todesfuge (1948): So kunstvoll der Tanz der Bilder ist, die Willemse in blackmilk aus dem titelgebenden Schwarz in das Licht holt, so klischeebeladen ist er über weite Strecken. In Hinblick auf deren dramaturgische Konzeption kann es Willemses geplanter Trilogie nicht schaden, das  „Repertoire an Repräsentationen“, so das Programmheft, bei der Weiterarbeit nicht allzu offensichtlich lesbar zu belassen und sich noch stärker in die zitierten „Grauzonen“ einzulassen.

Tiran Willemse: blackmilk, ImpulsTanz im NEST, 8. + 10.8.2025
Konzept, künstlerische Leitung und Performance: Tiran Willemse;
Licht: Fudetani Ryoya; Musik: Manuel Riegler; Kostüme: LML Studio Berlin
Fotos: © Pietro Pertora