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Ballade einer atemlosen Gegenwart

Adam Russell-Jones tanzt für seine Generation.

Der lang anhaltende Applaus am Ende der Vorstellung machte es mehr als deutlich: Hier tanzt einer für seine Generation. Und für seine Zeit. Gegen die Gegenwart und all ihre Überforderungen, die sich in Körper, Sound, Raum einschreiben: Adam Russell-Jones war mit Release the Hounds zum ersten Mal bei ImPulsTanz zu Gast.

Adam Russell-Jones zeigt  in der Reihe [8:tension] die Perofrmance „Release the Hounds“.Im Rahmen der ImPulsTanz-Reihe [8tension] gastierte Adam Russell-Jones an zwei Abenden im Wiener Schauspielhaus und versetzte das Publikum dabei von der ersten Sekunde an in spürbare kollektive Spannung. Release the Hounds ist eine choreografische Inkarnation all der Überforderungen, denn wir uns aktuell täglich stellen. Der junge britische Choreograf verbindet seine persönlichen Erfahrungen dabei mit zwei ikonische Referenzen aus Literatur und Film: Rave von Rainald Goetz (2020) und Sidney Pollacks They Shoot Horses Don’t They? (1969).
Russell-Jones beginnt seine rund 45-minütige Performance auch gleich mit einem Kampf gegen die Wand. Dabei steht keine „Erkundung“ derselben im Zentrum, kein Anschmiegen, Berühren, Streifen, sondern der beharrliche Versuch des Sich-dagegen-Stemmens. Ob mit Kopf, Schulter, Füßen oder Hintern – Russell-Jones kämpft sich die gesamte Bühnenrückwand von links nach rechts entlang. Das Licht, das seinen Weg dabei begleitet, wechselt von Weiß zu Gelb. Wenn er das rechte Ende der grob geweißelten Ziegelwand erreicht hat, geht in der linken Hälfte das Licht aus. Schmerz, Kampf und Verzweiflung prägen von „Release the Hounds“.
Im gelb gedimmten Schein beginnt die zweite Station dieses Tanzes einer Gegenwart, die – das machen Licht (Emilio Cordero), vor allem aber Sound und Choreografie deutlich – aus kaum mehr als existenziellen Splittern besteht. Und die sind meistens schmerzhaft. Schneiden Wunden, reißen Wunden auf, wollen nicht und nicht heilen.
Moritz Haas’ liefert mit seiner durchgehend anstrengenden, Zitat auf Zitat reihenden Klanglandschaften, die aus Generationen und Genres übergreifenden Fragmenten aus Film, Club und Werbung zusammengesetzt ist, den adäquaten Sound für dieses Solo. Ruhelos, atemlos auch er, voll irritierender Hinweise und kunstvoll gesteuerter Glitches, die Russell-Jones keinen Moment lang aus ihrem Sog entlassen. Im gelben Licht des zweiten Teils versucht sich der Tänzer in verzweifelt, fast krampfhaft wirkenden Berührungen. Er umarmt, umklammert seinen Nacken, Rücken und macht dabei deutlich, wie wenig all das noch dazu dienen kann, tatsächlich so etwas wie einen Moment der Ruhe zu finden.
Adam Russell-Jones im Kampf gegen die Wand.Im letzten Drittel des Abends, den Russell-Jones nach dem Ablegen seiner mit „Crazy about Disco Nights“ beschrifteten weißen Sportweste und weißen Jeans nur noch in einer glitzernden schwarzen Wollhose bestreitet, streckt er Mal um Mal seine Arme und Finger weit nach vorne, während er sich in immer neuen Verrenkungen weiterbewegt. Scheint uns, die Zuseher:innen, erreichen zu wollen; doch die Finger sind nicht mehr zum Greifen da, nie zum Greifen nah. Die gespreizten Finger und die stark hervortretenden Rippen des Tänzers ergeben in der Perspektive des:der Zuschauenden eine Art Gitternetz, das sich mit dem sich verdichtenden Netz an Konnotationen und Bildern, die sich im Verlauf des Solos eröffnen, konsequent zu einem kraftvollen Finale verbindet. Musik aus. Doch der Tanz, der von Beginn an bereits zum Kampf geronnen ist, geht weiter. Der letzte Moment: Stille, auch Ruhe im Körper. Adam Russell-Jones führt einen Finger zum Mund und setzt zum ersten Laut an: „Shush.“ Adam Russell-Jones verbindet seine Erfahrungen mit Sdney Pollacks Film Pollacks „They Shoot Horses Don’t They?“.
Adam Russell-Jones ist eine Erscheinung. Ausgebildet an der Royal Ballet School in London und mehrere Jahre lang Ensemblemitglied des Stuttgarter Balletts, des Nederlands Dans Theater und zuletzt des Staatsballetts Hannover, arbeitet der englische Tänzer und Choreograf seit 2022 freischaffend. Von Berlin aus, wo er aktuell lebt und wo Release the Hounds im Jänner dieses Jahres seine Uraufführung im Rahmen der Tanztage Berlin feierte, entwickelt er seit zwei Jahren eigene Stücke und tourt international – am 8. November wird Release the Hounds im Londoner South Park Center zu sehen sein.
Release the Hounds ist, dem Titel entsprechend, nichts weniger als ein Ausbruch, eine choreografierte Bilderflut, die Schmerz, Kampf und Verzweiflung mit sich führt. Der kurze Text, den das Begleitblatt zu diesem Abend liefert, ist selbst Zitat. So ruft der Moderator der Tanz-„Show“ in Pollacks They Shoot Horses, Don’t They?: „Here they are again, folks! These wonderful, wonderful kids! Still struggling! Still hoping! As the clock of fate ticks away, the dance of destiny continues! The marathon goes on, and on, and on! How long can they last?“
Ich denke an „gush“, den Begriff, Adam Russell-Jones bannt da Publikum mit seinem kraftvollen Solo.. den ich Tage zuvor kennen lernen durfte. Auch an diesem Abend ist sie zu spüren, die Flut an Gegenwärtigkeit und Zeitgenossenschaft, der man schwer entkommen kann. Wie in Gush is great endet so auch Russell-Jones mit einem trügerischen Stillstand. Nicht im Fallen, sondern im Stehen. Nicht im Black, sondern im Arbeitslicht. „Shush“, eine letzte, in der Erschöpfung angelangte Verweigerung weiterzumachen. „Here comes the body“ hat es kurz zuvor noch in einem der Sound-Schnipsel geheißen. Er ist da. Still struggling. Still hoping. Still raving.

Adam Russell-Jones: Release the Hounds, 3. + 5.8.2025, ImPulsTanz / [8:tension]   im Schauspielhaus,
Choreografie und Performance: Adam Russell-Jones; Sound: Moritz Haas;
Licht: Emilio Cordero; künstlerische Beratung: Eugene Yiu Nam Cheung; dramaturgische Beratung: Mateusz Szymanówka
Fotos: © Lukas Städler, Mayra Wallraff