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ImPulsTanz – Chouinard: Körper neuNeugemischt

Magnificat: Meine Seele preiset den Herrn.

Die kanadische Compagnie Marie Chouinard bringt 20 Jahre nach der ImPulsTanz-Premiere bODY_rEMIX/gOLDBERG_vARIATIONS, von neuem durchgemischt, als Sternstunde des ImPulsTanzFestival‘25 auf die Bühne des Volkstheaters. BodyremixRemix ist eine gekürzte Version des Welterfolgs von 2005 zu musikalischen Variationen der Variationen von Louis Dufort und Teilen der Originalkomposition von J. S. Bach, nämlich den Goldbergvariationen. Von Bach ist auch die Musik zur erst im Mai 2025 uraufgeführten Choreografie Magnificat, die dem reRemix vorangestellt ist.

„Magnificat“: Zum gesungenen ein getanztes Terzett. J.S. Bach hat den lateinischen Text des christlichen Preisliedes auf Gott, das von der Mutter Jesu, Maria, gesungen wird, als Kantate vertont. Pauken und Trompeten, Solostimmen und ein fünfstimmiger Chor sollen fromme Seelen erheben. Die 13 Tänzerinnen der Compagnie Chouinard sind nicht so fromm, wie der Text (aus dem Lukas-Evangelium) verlangt. Alle 13 (Frauen wie Männer) trippeln und springen anmutig mit nacktem Oberkörper. Jede Einzelne scheint einem Kunstwerk entstiegen. Gestreckte Glieder, gedehnte Hälse, wie auf Gemälden von El Greco. Augen und Arme zum Himmel gestreckt: Nicht nur im Mnaierismus wurde Verzückung so dargestellt. In extremis gebogene Rücken lassen an gotische Madonnen denken, gewölbte Bäuchlein an Vater und Sohn Lucas Cranach. Der Evangelist Lukas, der von Marias Jubelgesang berichtet, erzählt auch von „Marias Heimsuchung“. So wird der Besuch Marias bei ihrer Verwandten Elisabeth, die schwanger war, genannt. Zwei gleichaltrige Frauen, eine mit Kind im Uterus, das riecht nach Neid. Doch Maria hat keinen Grund, der Engel hat ihr bereits prophezeit, dass sie einen Sohn gebären wird. Sie verrät Elisabeth das Geheimnis nicht, doch sie stimmt den Jubelgesang an: "Meine Seele preiset den Herrn" Halleluja! 
Der chor sing, das Ensemble tanzt: "Magnificat"Natürlich kennen die Tänzerinnen den Text und tanzen daher fröhlich, fegen gemeinsam über die Bühne, bilden Duos und Trios, die wunderbare Carol Prieur sticht als Solistin heraus.
Auch wenn die Tänzerinnen statt eines Hutes eine goldene Gloriole tragen, um zu beten sind sie nicht kommen, eher um zu tanzen. Das tun sie mit Lust und Leidenschaft, mit zum Himmel gerichtetem Blick und auch mit einem neckischen Schnippen der Finger und einem schrägen Blick aus den Augenwinkeln. Dieses Magnificat ist ein Jubelgesang, getanzt von fröhlichen Springteufelinnen, die quieken, singen und lachen. Rose Gagno. Ekstase, wie aus dem Blderbuch des Manierismus.Ein himmlisches Vergnügen, gestört nur durch ein übereifriges Publikum, das Begeisterung kundtun möchte, doch Ignoranz bezeugt. Es wird von einer schrumpfenden, jedoch lautstarken Gruppe nach jeder Arie, jeder Chorstrophe, jedem Terzett geklatscht, als würde diese getanzte, gejauchzte, tirilierte Hymne an das Leben aus Zirkusakten bestehen würde. Chouinards Magnificat dauert 35 Minuten, da können doch die Hände stillgehalten werden.
„BodyremixRemix“: Die 2005 neu gemischten Körper werden 2025 noch neuer gegmischt. (David Rancourt, Lucie Mongrain)Rauchpause, Ärgernis vergessen, neue Körper werden die Bühne erobern. Im Sprung von frommer Kantate zu den profanen Variationen beweisen die Tänzerinnen der Compagnie Chouinard, wie wandlungsfähig sie sind. Die verzückt gen Himmel blickenden Jungfrauen unter ihrem goldenen Heiligenschein sein  heiligmäßigen Jungfrauen sind abgelöst worden. Die Tänzerinnen sind dieselben, doch die Körper haben sich gewandelt.  Im Turnen an der Sprossenwand zeigen die Tänzerinnen ihre Gelenkigkeit. (Kirsten Andersen, Carla Maruca)Nun sind es mechanisierte, mit Erweiterungen ausgestattete fremdartige Körper, die das Publikum jetzt zu sehen bekommt. Der Kontrast könnte nicht schärfer sein. Und, oh Freude, es gibt keine Strophen, daher keinen lästigen Zwischenapplaus.
Mit Spitzenschuhen an (auch männlichen) Füßen und Händen, beruft sich Chouinard diesmal auf das klassische Ballett, daher gibt es auch kurze Übungen an der Stange. Zum Schmunzeln. Akrobaik und Balletttanz, in Marie Chouinards Choreografien hat alles Platz.Doch auch wenn aus dem Mund wachsende Trinkröhren, an den Podex geschraubte Rollsessel und Tanz mit metallenen Gehhilfen auch komisch wirkt, so sind diese durch Hilfsmittel und Auswüchse veränderten Körper doch erschreckend. Wie werden die Menschen in 50, in 100 Jahren aussehen. Metallene Auswüchse werden sie wohl nicht haben, das wäre zu umständlich, die Bedienungshilfen werden unsichtbar sein. Beim Anblick dieser virtuosen, hinreißenden Compagnie aus Montreal steigen krause Vorstellungen auf. Wird die Urenkelin einen Chip unter der Haut oder gar hinter Stirn tragen, über den sie gesteuert wird? IDer Fokus der Choreografin Marie Chouinard ist immer auf den tanzenden Körper gerichtet. Werden die Menschen, festgewachsen auf ihren Rollern und Rädern gezogen und geschoben, auch gegen ihren Willen. Schluss mit den Albträumen. Die Tänzerinnen sind wagemutig und einfallsreich, ihre Körper bekommen neue Dimensionen, noch erzählen sie nichts von Schmerz und Leid, auf dem Rollbrett über die Bühne zu sausen, mit den angewachsenen Stühlen auf Rollen einen Pas de deux zu tanzen, das scheint Freude und Genuss zu bereiten. Dem Publikum auf jeden Fall.  Zum guten Schluss sind die Tänzerinnen verschwunden, wie vom Wind weggeblasen. Eine Letzte steht wie vergessen in der Bühnenmitte. Sie wartet auf das Seil, das sich aus dem Bühnenhimmel schlängelt. Ein Himmelstaxi, das sie emporhebt, ihren Körper, federleicht, schweben lässt. Entschweben lässt. Jetzt darf, jetzt muss kräftig applaudiert werden.
Eine Sternstunde des heurigen ImPulsTanzFestival.

Compagnie Marie Chouinard: Magnificat & BodyremixRemix, 2., 3., 4., August 2025, ImPulsTanz im Volkstheater.
Magnificat
Choreografie: Marie Chouinard: Musik: Johann Sebastian Bachs Magnificat
Performance: Michael Baboolal, Adrian W.S Wozu der menschliche Körper fähig ist: Carol Prieur.. Batt, Paige Culley, Valeria Galluccio, Luigi Luna, Rose Gagnol, Carol Prieur, Celeste Robbins, Clémentine Schindler, Jérôme Zerges, Justin Calvadores, Ana Van Tendeloo und Sophie Qin
Kostüme, Licht und Bühnenbild: Marie Chouinard 
BodyremixRemix
Choreografie und künstlerische Leitung: Marie Chouinard; Performance: siehe Magnificat
Musik: Louis Duforts Variations on the Variations, Johann Sebastian Bachs Goldberg Variations 5, 6 & 8 und Glenn Goulds A State of Wonder: The Complete Goldberg Variations (1955 & 1981)
Licht, Bühnenbild, Requisiten und Kostümelemente: Marie Chouinard
Kostüme: Liz Vandal
Fotos: © Sylvie Ann Paré, Marie Chouinard