
Messerscharfes Körper-Poème

Wer glaubte, dass die Bandbreite an Genres, die ImPulsTanz 2025 anbot, kurz vor Festival-Ende bereits ausgeschöpft war, irrte sich gewaltig: Mit I have such a terrible voice konnte man im Rahmen der Nachwuchsreihe [8tension] ein veritables Happening erleben.
Bereits während des Einlasses bewegt sich Gui B. B in wilden Gesten über die Bühnenfläche. Diese ist ein mit weißem Klebeband abgesteckte, fast die ganze Länge des WUK Projektraums einnehmende rechteckige Fläche. Voll mit Dingen, die im Laufe der folgenden 90 Minuten kurz bespielt, verstellt, an- und ausgezogen und auch sonst wie malträtiert werden. Steht doch im Zentrum der Performance nichts weniger als der Schmerz. Den hat die in Tiohtiá:ke/Mooniyang (Montréal) lebende Performerin auch am Vortrag einmal mehr real empfunden, erzählt sie dem nun vollzähligen Publikum, das in einem L dicht an der Bühne sitzt. Sie hat sich verletzt – woran, erfährt man nicht im Detail. Doch die sich schon auf den ersten Blick offenbarenden Möglichkeiten der Selbstverletzung sind mannigfach. Auf zwei Podien, Boden und einer Art Matratzenlager findet man unzählige, teilweise gefüllte Gläser, Glasobjekte (Genevieve Grenier), ebenfalls voll mit Wasser oder neongrüner Flüssigkeit, mehrere im Bühnenraum verteilte buntgerahmte Billigbrillen, High Heels mit scharfzackigen Messern statt Stöckeln, Seile, metallene Handschuhe (Ritter oder Iron Man?), Blätter mit Texten, die Gui B.B teils für ihre kurzen Monologe aus dem beständig anwachsenden Chaos zieht, und vieles mehr.
Die Performerin ist vorerst in Fetzen gekleidet: beiges T-Shirt und brauner Wamst, Nylon-Strumpfhose, darüber ebenfalls in Fetzen gerissene weiter Strümpfe, verschiedene Schuhe, am einen hängt ein Art Plastik-Penis, an dem sie hie und da zieht, um das Bein zurechtzubiegen. Knallrote falsche Haarsträhnen kleben dank Gafferband am langen, kargen rötlichen Echthaar. Die Monster sind in deiner Wohnung, die Monster sind in dir – über fast 20 Minuten hinweg ruft Gui B.B ihren Monstern nach, ehe sie sich zuerst entkleidet, die Falschhaarsträhnen abreißt, dann mit einem nassen weißen Hemd aus der Moppauswringmaschine be- und von da an mehrfach neu aus- und bekleidet. Da ein Babybauch aus Plastik, dort die messerscharfen High Heels, mit denen sie das kleine Podium entlang stakst, stolpert, dann auf dem Boden kriecht. Ein Handbohrer als Zahnbürste, ein Penisschoner, ein weißes Handtäschchen, das sie aus einer schwarzen Tonne mit Wasser zieht, eine Latexgesichtsmaske, ein auf den Kopf gebundenes Horn zum eigenen Kehlgesang, eine Edelstahlkette, die er zuerst im Raum schwingt und dann um den eigenen Unterarm schlingt, ein T-Shirt mit nackten Brüsten, am Ende ein heller Hoodie über dem sonst nackten Körper … Die dramaturgische Konstante der als konsequenter Chaos-Trip komponierten Performance bildet eine autobiografische Erfahrung: das Erscheinen eines Schuldeneintreibers an der Wohnungstür der Künstlerin, die sich nicht anders zu helfen weiß, als sich zu verstecken.Unter dem Bett tauchen sie dann auf, die Geister der Angst und die Monster des Verlassenseins. Von „chronischen Lügen“ und „kaputten Freundschaften“ erzähle das Stück, heißt es im Begleittext der kanadischen Künstlerin Emma-Kate Guimond, aber auch von der „Erotik der Schuld“.
Gui B.B geht in den schonungslosen Textpassagen ihres von Jas Mroue musikalisch nicht weniger exzessiv live begleiteten Solos, mehr noch aber in ihrem anspielungsreichen anarchischen Körpergedicht auf Ängste und Traumata ein.Wie mit Schuld(en) und Verlangen umgehen, wenn das eine das andere bedingt, oder verhindert. Der ausgebrochene Zahn: immer noch ein klaffendes Loch im Mund.
Die verschobene Gendertransition angesichts eines „,verschuldeten‘ Lebens“. Wohin mit der Wucht des Eros, der den Körper erfasst, um ihn danach als einsame feuchte Masse auszuspeien: Gui B.B macht Schmerzerfahrungen in Körper, Gesten, Bewegungen und Gesängen entlang einer dramaturgischen Linien, die sich als mit unzähligen Symbolen angehäufter Parcours manifestiert, sicht- und fühlbar. Ihr Bühnen-Alter-Ego ist verletzlich, ja zerbrechlich, dann wieder ein rülpsendes, spuckendes, kreischendes Wesen, gegen Ende hin nackt und doch nicht befreit von den nun großteils umgeworfenen, abgenützten und ausgespienen Artefakten eines Überlebenskampfes zwischen Identitätssuche und Selbstverlust.
Am Ende von I have such a terrible voice reibt sich Gui B.B die Augen mit grüner Seife ein, wirft sein Haar noch einmal in eine der Wasserlacken am Boden; schriller Gesang klingt noch nach, wenn er schon nicht mehr sichtbar ist. Ob er schließlich während der Standing Ovations noch als Bühnenfigur oder sie selbst weint, auch das bleibt offen an diesem überbordenden Abend der radikalen Verausgabung als existenziellem Gegenentwurf.
Gui B.B: I have such a horrible voice, 5., 6. + 7.8.2025, Impulstanz [8:tension] im WUK Konzept, Entwicklung und Performance: Gui B.B; Sound: Jad Mroue; Glasobjekt: Genevieve Grenier
Fotos: Maude Archambault, Farah Mirzayeva