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Unusual Beings: Tanz gibt jedem Körper einen Raum

Unusal Beings: Joseph, Futurelove, Maartje. © Corinne Eckenstein

Nach sieben Spielzeiten als künstlerische Leiterin des Dschungel Wien, Theaterhaus für junges Publikum kann sich die Schauspielerin, Regisseurin und Choreografin Corinne Eckenstein wieder ganz ihren eigenen Projekten widmen. Auch mit ihrer neuen Gruppe, Unusual Beings, bleibt sie dem Dschungel, dem sie seit dessen Gründung 2004 als Impulsgeberin und Regisseurin angehört, treu. Am 6. Oktober wird Premiere gefeiert: In „ KINGX & QWEENS“ zeigt die Tänzerin Maartje Pasman gemeinsam mit den Tänzern Futurelove Sibanda und Joseph Tebandeke die vielfältigen Möglichkeiten von Tanz und vermitteln auch einen Blick auf ihre Persönlichkeit.

Joseph, Futurelove und Maartje: Wer braucht die Krücken, für wen sind sie Accessoire? © C. EckensteinNeue Sichtweisen sind verlangt, wenn Maartje ihre Krone aufsetzt, Joseph und Futurelove erkennen, dass sie Könige sind. Drei unterschiedliche Körper mit verschiedenen Vorfahren und Herkunftsländern sowie divergierenden Ausbildungswege und Tanzstile. Aus dieser Mischung aus Differenzen, Kontrasten und scheinbaren Unvereinbarkeiten einheitliche 70 Minuten Tanz für ein junges Publikum ab 12 zu schaffen, hat sich Eckenstein zur Aufgabe gemacht. „In diesem Fall denke ich weniger choreografisch als dramaturgisch. Ohne ihre Talente zu verbergen oder sich zu verbiegen, müssen alle drei auf einer Linie tanzen und auch verständlich machen, worum es geht.“
Drei bewegte Tanzkörper, sechs blaue Kanister, bunte Polster und Decken, ein silbrig schimmerndes Objekt vor der blauen Wand, das mit seinen verlängerbaren, wie Spieße aufragenden Stangen als Treffpunkt, Turngerät und Blickfang dient, Musik und Videoeinspielungen samt sparsam gesetztem Text werden zu einer Performance, die Vergnügen macht und auch zum Nachdenken anregt, über Herkunft und Unterdrückung, Freundschaft, Empathie und Selbstbewusstsein.  Auch die Frage, ob man alleine glücklich sein kann, muss sich das junge Publikum selbst beantworten.Aufgeblasen zu Kingx: Joseph, Futurelove und Queen: Maartje. © Rainer Berson
Joseph, Choreograf aus Uganda, der nach einer Kinderlähmungsinfektion nicht ohne Krücken gehen kann, turnt auf dem Reck und klettert das Seil hoch. Die kleine, zarte Niederländerin mit indonesischen Wurzeln, Maartje, tanzt als Königin der Lüfte seit zehn Jahren in Wien. Das Theaterhaus für junges Publikum, Dschungel, könnte man ihr Stammhaus nennen, doch mit ihrer Bühnenpräsenz begeistert sie das Publikum Freier Gruppen und Festivals über Österreich hinaus. Wenn die Queen ihre Krone aufsetzt, haben die beiden Kingx, Futurelove und Joseph, nix mehr zu lachen. Futurelove aus Nyamandlovu, Simbabwe, der Singer / Songwriter „mit der Karamellstimme“, bringt das Publikum in seiner Comedy-Show zum Lachen, mit seinem Gesang zum Weinen und mit seinem Tanz, erlernt an der MUK, zum Staunen, doch mit sich selbst ist er noch nicht zufrieden, weiterzulernen und Neues auszuprobieren hat er auf die Aufgabenliste geschrieben. Eine Queen, zwei Kingx, Diversität im Trio. Sie müssen miteinander zurechtkommen. Ausschnitt aus "Play", einem fulmnanten Tanzstück von C. Eckenstein. Maartje Pasmansitzt auf dem Gerät, doch alle tragen sichtbare ihre Krone. © Rainer Berson„Jeder Tanzkörper soll den eigenen Stil behalten, sein volles Potenzial ausschöpfen und lernen, mit den anderen zu interagieren, ohne sich einschränken oder beschneiden zu müssen“, sagt Eckenstein. Dieser getanzte Aufruf: „Mach dich nicht klein, zeig deine Krone her!“ steckt in vielen ihrer Choreografien. „Doch diese Krone“, wendet sie ein, „kann keine(r) alleine in sich finden.
Wir brauchen einander, um zu erkennen, wer, wie, was wir sind und dieses alles als Krone sichtbar zu machen.“
Bei der Probenarbeit verlangt Regisseurin Eckenstein auch von der Tänzerin und den beiden Tänzern, beides, die drei Zacken ihrer persönlichen Krone zu zeigen und mit den anderen zusammenzuarbeiten, einander zu helfen und Hilfe anzunehmen. So sind Solos, Duos und Trios wie auch Synchrontanz der Dreieinigkeit zu sehen. Die drei diskutieren und kooperieren, ärgern einander und schmiegen sich glücklich aneinander. Auch Könige und Königinnen haben Schmerzen und brauchen Hilfe. Die kommt von Futurelove Sibanda, Maartje Pasman und joseph Tebandeke heulen. © Rainer BersonWichtig ist Corinne Eckenstein, „dass bei aller Individualität die Qualität den Vorrang hat.“ Schließlich ist sie selbst ausgebildete Tänzerin: „Allerdings nicht so erfolgreich wie meine drei Mitwirkenden, aber ich kenne die Bewegungen und kann sie beurteilen.“ Was die Tänzerin und die Tänzer mitbringen, kann, muss sogar, korrigiert und zu einer Einheit zusammengebaut werden. Dazu sind Probe schließlich da. Die Arbeit mit den Körpern, den Armen, Beinen und dem Rumpf ist Eckenstein ein Anliegen: „Tanz ist fähig, die Vielfalt von Körperlichkeit sichtbar zu machen, er ist emotional, assoziativ, durchbricht Barrieren und kann Sehweisen ändern.“ Preisgekröntes körpertheater: "Kalaschnikow mon amour" von Corinne Eckenstein, 2022.  © Rainer Berson „ KINGX & QWEENS“ besteht aus rasant wechselnden Szenen, Fragen, die auf blauem Hintergrund als Videoschrift erscheinen, werden gestellt, aber nicht beantwortet. Ob es ein perfektes Leben gibt, ob die Wurzeln das gesamte Leben bestimmen, ob jede(r) sein kann, wie sie (er) will, fordern die jungen Zuschauer:innen auf, nachzudenken.
Konkurrenz oder fröhliches Zusammenspiel? Joseph und Maartje bei der Probe. © Corinne Eckenstein Auch der Probenprozess hat mit Nachdenken begonnen. „Wir sind nach Afrika gereist und haben und Josephs Heimat besucht. Wir haben miteinander über unsere eigenen Schmerzen, Behinderungen, Erfahrungen gesprochen, nach unserer Krone gesucht.“ Für Joseph, so hat er selbst erfahren, ist sogar die Behinderung eine solche, eine Chance und Einladung: „Wie wäre ich sonst nach Europa gekommen?“
„Tanz“, so Corinne Eckenstein, „kann die immer enger werdenden Sichtweisen aufbrechen.“ Wie gesagt, am 6. Oktober ist Premiere von „ KINGX & QWEENS“, einem durchaus auch unterhaltsamen Tanzstück, im Dschungel Wien, Theaterhaus für junges Publikum. Die Choreografin / Regisseurin denkt dann schon über die Grenzen hinaus. In ihrer Geburtsstadt Basel hat die Schweizerin mit dem Tänzer und Choreografen Joachim Schlömer das Projekt Tanzhaus, Zentrum für urbanen und zeitgenössischen Tanz, in Arbeit. Corinne Eckenstein fotografiert von Rainer Berson.Im Herbst 2024 soll es auf dem Franck-Areal, einer ehemaligen Senf-Fabrik, die erste Vorstellung geben. Im Fokus ihrer gesamten Arbeit – ob als Schauspieler am Jungen Theater Basel oder im mit Lilly Axster 1992 gegründeten Wiener TheaterFOXFIRE oder Regisseurin m Dschungel oder Kosmos Theater– steht immer inklusiver Tanze, die Diversität der Körper auf der Bühne und der gesamten Gesellschaft.
Dass ihre Tanztheater-Stücke mit Männern (etwa „Kalaschnikow – Mon Amour“) auch von Frauen handeln, ist ebenso wenig überraschend, wie die Tatsache, dass sie 2022 gleich doppelt ausgezeichnet worden Ist: 2022 iat Corinne Eckenstein für ihre Arbeit für Kinder und auch mit diesen eine Stella (Preis der Assitej) erhalten und im selben Jahr ist ihr das Ehrenkreuz der Republik Österreich für Wissenschaft und Kunst verliehen worden. In den Laudationes wurde das Lebenswerk erwähnt, doch dieses ist, wie Pythia prophezeit, noch lange nicht abgeschlossen. Aktuell steht ihre erste Produktion mit ihrer neuen Company Unusual Beings auf dem Programm: „Das ist für mich ein sehr besonderes Projekt – eine Herzensangelegenheit.“

Unusual Beings / Corinne Eckenstein: „ KINGX & QWEENS“, Premiere: 6. Oktober 2023, Dschungel Wien, Theaterhaus für junges Publikum.
Konzept: Corinne Eckenstein, Choreografie: Joseph Tebandeke.
Tänzerin: Maartje Pasman; Tänzer: Futurelove Sibanda, Joseph Tebandeke
Assistenz: Sophie Freimüller.
Probenbesuch und Gespräch mit Corinne Eckenstein am 18.9.2023.