
Heinrich Steinfest: Das schwarze Manuskript

Eine Frage, die Heinrich Steinfest immer von neuem stellt: Ahmt die Literatur das Leben nach, oder ist es umgekehrt, kopiert das Leben die Literatur. Oder ist das Leben kein Plagiat, weil die Literatur das Leben bestimmt. Wer schreibt, verändert und dass die Figuren, dann aus dem Roman springen, wissen wir seit Flann O`Brian. Von Steinfest erfahren wir vielleicht, was es mit dem schwarzen Manuskript auf sich hat.
Also, dieses schwarze Manuskript stammt vom deutschen Schriftsteller Peter Bischof, einem „Spezialisten für Erfindungen und Täuschungen und Verwandlungen“, sagt er, sagt Heinrich Steinfest, der aber im Buch nicht vorkommt, sich keinen Cameo-Auftritt erlaubt. Er hat die Geschichte ja geschrieben und seine Figuren, anderes als bei Flann O’Brien in Auf Schwimmen-Zwei-Vögel (vergriffene Übersetzung: In-Schwimmen-Zwei-Vögel)., treten nicht mit ihrem Autor, dem realen Autor, in Kontakt.
Wie der reale Autor, Steinfest, hat der fiktive Autor, Bischof, bis zum 33. Lebensjahr nicht nichts, doch keinen Roman zustande gebracht, aber nun, im Dezember 1983, ist das Debütwerk fertiggestellt, heißt Hunger, und die bedruckten Blätter stecken in einer schwarzen Mappe. Apropos: Der reale Autor war bereits 35 als 1996, nach einer Reihe von surrealen und Science-Fiction-Geschichten sein erster Roman,
Das Ein-Mann-Komplott, im Verlag Aarachne (klingt nach Spinne) erschienen ist. In welcher Versenkung Aarachne verschwunden ist, findet auch die emsig suchende KI nicht heraus.
Steinfests Debüt-Roman ist jedenfalls vergriffen. Um festzustellen, viele gefolgt sind, reichen Finger mitsamt Zehen nicht aus. Der berühmte einarmige Wiener Detektiv, Markus Cheng ist in Pension geschickt worden, so gibt es Steinfest-Kriminalromane ohne Cheng als Ermittler, doch mit Cheng als Beiwagerl und ganz ohne Cheng. Romane, die meist etwas Kriminelles in sich verbergen, doch nicht als Kriminallektüre gelten, sondern unter „Andere“ gereiht sind, mit Zitaten und Assoziationen garniert, zum Lächeln anregend und Aha-Erlebnisse verschenkend, vergnüglicher und bereichernder Lesegenuss.
Auch Das schwarze Manuskript ist ein echter Steinfest, ein Labyrinth, in dem die Leserinnen mitunter auch umherirren, ohne den Ausgang zu finden. Der Held des Romans, nicht Peter Bischof, dieser, es muss gestanden werden, erfolglose Autor, der sich zum erfolgreichen Sportreporter mit Namen Peeter Bishop wandelt, natürlich nicht in Köln, wo er den wahren Helden, nämlich Ashok Oswald, trifft. Der ist durch seine Forschung an Steinpilzen eher unabsichtlich meteoritenreich geworden ist. Keine Übertreibung. Tatsächlich ist ein Meteorit in seinem Pool gelandet, doch das nur nebenbei, weil es weder mit Ashoks nahezu unanständigen Reichtum noch, wie so vieles, was Heinrich Steinfest erzählt, nichts mit dem Fortgang der Geschichte zu tun hat.
Jedenfalls ist Ashok (siehe indische Vorgeschichte der Mutter, die im Roman kurz angerissen wird) Oswald durch widrige Umstände in den Besitz des schwarzen Manuskripts gekommen und hat sofort vergessen, wo er es verstaut hat. Vierzig Jahre später muss er sich erinnern, um seinem massigen Körper Schmerzen zu ersparen. Ashok gibt sich gerade seinem morgendlichen Schwimmvergnügen hin, als er drei Personen am Rand des Pools erblickt. Abkürzung: Ashok findet die schwarze Mappe mit dem Manuskript und überreicht es ohne Fisimantenten. Win-Win. Das Schlägertrio bekommt den Hunger, Peter Bischofs immer noch unveröffentlichten Roman, Ashok keine Schläge in die Magengrube. Das Fenster zum Langzeitgedächtnis ist geöffnet und Ashok Oswald erinnert sich an die Begegnung mit dem Autor des eben verlorenen Manuskripts und an die berühmte Schauspielerin, mit der er eine Nacht verbracht hat. Die ist jetzt 80 und wird von KI Alexa im Nu gefunden.
Andrea Rothhaupt lebt in einem Nest im pfälzischen Klingbachtal, wo sie sich zur Winzerin gewandelt hat. Da sind sie wieder, die „Erfindungen und Täuschungen und Verwandlungen.“ Dass Bischof, der Autor, die Kugelkopfschreibmaschine mit dem Mikrofon vertauscht hat, wissen wir schon und daher auch, dass sein Selbstmord eine von den vielen Täuschungen war, die nicht nur Heinrich Steinfest ausstreut, sondern jeder Leserin Leben so spannend und mitunter auch gemein macht. Und weil Bischof als Bishop noch putzmunter ist, muss Ashok Oswald nach Irland,
genauer ins County Tipperary, wo man sich dem irischen Volkssport Hurling hingibt. Ebendort ist der Platz- und Radiosprecher Peeter Bishop eine Beliebt- und Berühmtheit. Die Reise Oswalds führt natürlich über Um- und Irrwege und nachdem die Vorgeschichte des schwarzen Manuskripts geklärt, weiß auch die Leserin, was es damit auf sich und vor allem in sich hat. Am Ende hüpft doch noch eine Figur aus ihrer Heimat, dem Roman, die ursprünglich eine Seglerin war, segelt auch in dem Moment die irische Küste entlang, in dem der schwimmende Ashok droht im Atlantik zu versinken, weil er schlapp macht. Der Körper tut nicht mehr, was der Kopf will, doch der Zufall hilft. Wir können uns ausmalen, wie die Geschichte von Ashok und Tonia, der Büglerin, weitergeht.
Ganz sicher wird das Urteil über die nie geschriebene Fortsetzung dem der Schauspielerin A. Rothhaupt über ein Kapitel aus dem schwarzen Manuskript gleichen: „Abgedreht, aber gut“. Der später tote Koch, der das gesamte Hunger-Manuskript gelesen hat, meinte „Gut geschrieben, aber schrecklich“ und sprach zugleich die Hoffnung aus, dass alles „reine Erfindung“ sei. Wir wissen es, weder in Bischofs Roman Hunger, noch in Steinfests Roman Das schwarze Manuskript, ist alles reine Erfindung. Wie wohl jeder Roman aus Dichtung und Wahrheit zusammengewürfelt ist. Steinfests „Wahrheit“ ist die aktuelle Realität, die in vielen seiner Romane zwischen den Zeilen, doch gar nicht leise, mitschwingt.
Ein letztes Wort: Die großartige, weltberühmte, kluge und aufrechte norwegische Autorin Anne Holt spielt ebenfalls mit der Beziehung von Erfundenem und tatsächlich Geschehenem, von Literatur und Realität (was allgemein als real empfunden wird). Holts Roman Das elfte Manuskript ist Band 11 der Hanne-Wilhelmsen-Reihe. Keineswegs abgedreht, aber sehr gut.
Heinrich Steinfest: Das schwarze Manuskript, 240 Seiten, Piper, 2025. € 23,70.
Anne Holt: Das elfte Manuskript, Ein Fall für Hanne Wilhelmsen, aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs, 480 Seiten, Atrium Verlag, 2024. € 24,70. E-Book: € 18,99.