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Dominic Smith: „Das letzte Bild der Sara de Vos“

Dominic Smith: Der Autor im Bild © Werbevideo

Dieses Jahr ist zwar noch nicht einmal zu einem Viertel voll, doch ich wage schon zu sagen, dass dieser wundersame Roman von Dominic Smith mein Lieblingsbuch 2017 sein wird. Die Verflechtung von zwei Frauenleben, das Verschwimmen von Zeit und Raum verzaubert mich, ist so kunstvoll wie poetisch konstruiert, so genial gemalt wie schön gerahmt. Eine spannende Geschichte in deren Mittelpunkt zwei Frauen stehen, getrennt durch drei Jahrhunderte, verbunden durch die Kunst der Malerei. "Das letzte Bild der Sara de Vos" ist ein Meisterwerk, das zeigt, wie aufregend es ist, über Bilder und ihre Entstehung nachzudenken.

Eine Winterlandschaft im Abendlicht. Das Mädchen steht am vorderen Bildrand, die blasse Hand um einen Birkenstamm gelegt, und blickt hinaus auf die Schlittschuhläufer auf dem zugefrorenen Fluss. … Ihre Augen fixieren einen Punkt in der Ferne – aber ist es Furcht, was sie an ihren Platz bannt, oder dieser seltsame Nimbus aus wintrigem Zwielicht? Kann sie die eisige Uferböschung nicht erreichen oder will sie es nicht? Ihre Fußspuren führen durch den Schnee zurück Richtung Wald, aus dem Rahmen hinaus. Es ist, als wäre sie von außerhalb ins Bild gewandert, hätte sich aus unserer Welt auf die Leinwand verirrt, nicht ihrer eigenen.

Erst wenn die Leserin das geheimnisvolle Bilder der niederländischen Malerin Sara de Vos mit allen Facetten vor sich sieht, beginnt Smiths Roman. Im Jahr 1957, mitten in Manhattan, wo der 40jährige Patentanwalt, Marty de Groot, mit seiner Gattin zu einer Charity-Party in sein Penthouse in der Park Avenue geladen hat. Die Party verläuft ziemlich turbulent, den Zweck des Trubels, den das sonderbare Catering-Team veranstaltet hat, begreift Marty erst ein halbes Jahr später, wenn ihm auffällt das das Ölgemälde über dem ehelichen Doppelbett einen neuen Rahmen hat. „Am Saum eines Waldes“, 1636 von Sara de Vos gemalt, der ersten Frau, die als Meisterin in die strenge Amsterdamer Malergilde St. Lukas aufgenommen worden ist, gehört seit urdenklichen Zeiten zum Familienbesitz der de Groots. Marty ahnt, dass er bestohlen wurde, das einzige erhaltene Gemälde von Sara de Vos, durch eine Fälschung ersetzt worden ist. So könnte die Landschaft am "Saum des Waldes" aussehen. © Werbevideo

Diebstahl und Betrug beleidigen ihn zutiefst. Was ihn kränkt und ärgert ist nicht nur das Verschwinden des kostbaren Erbstückes sondern vor allem die Frechheit, die dem Kunstwerk und damit auch seiner Person angetan worden ist. Marty setzt alles daran, um den gemeinen Fälscher zu finden. Die Leserin weiß, längst wer es ist, denn Smith erzählt synoptisch nicht nur von Marty, und der niederländischen Malerin Sara de Vos aus dem 17. Jahrhundert, sondern auch von der Kunsthistorikerin Ellie Shipley, die 1957 als Studentin in diese Fälschungsgeschichte, die ihr ganzes Leben verändern wird, hineingeschlittert ist. Marty findet sie, gibt sich aber nicht als Besitzer des gefälschten Bildes zu erkennen, eine Liebesaffäre zwischen dem reichen Mann von Welt und der unbedarften australischen Studentin in New York durchrüttelt beider Leben.
JudithLeyster: Selbstporträt, 1630, National Gallery of Art Washington D.C. © Public DaomainEllie muss erkennen, dass nicht nur ein Bild, auch Gefühle gefälscht werden können. Im letzten Teil des faszinierenden Romans treffen der greise Marty de Groot und die arrivierte Kunsthistorikern Ellie Shipley in Australien noch einmal zusammen. Eine Sonderschau soll die Malerin Sara de Vos bekannt machen. De Groot ist als Besitzer des bisher einzigen bekannten Bildes der Künstlerin eingeladen, Shipley ist die Kuratorin. Dass beiden nicht wohl ist, kann sich die Leserin vorstellen.

Inmitten dieser kompliziertenr Beziehung zwischen Betrügerin und Betrogenem taucht uns Smith immer wieder in das Leben der fiktiven niederländischen Malerin ein, das in vielen Punkten mit dem von Ellie Shipley zusammenfällt. Da sind einerseits die künstlerischen und kunsthistorischen Fäden und anderseits Leben und Karriere zweier begabter Frauen in einer patriarchalischen Welt.Judith Leyster:  "Blompotje", 1654, Frans Hals Museum, Haarlem  © Public Domain Für seine Figur der Sara de Vos hat Smith als  Inspirationsquelle, die niederländische Malerin Judith Leyster gefunden. Die schöpferische Malersgattin wurde tatsächlich als einzige Frau in die St. Lukas Gilde aufgenommen, doch nach ihrem Tod von der Kunstgeschichte lange Zeit ignoriert worden ist . Viele ihrer Bilder wurden Männern zugeschrieben (was auch 200 Jahre später immer noch üblich war, malende Frauen wurden auch im 19. Und 20. Jahrhundert lieber als Modelle gesehen, denn als Künstlerinnen), entweder ihrem eigenen oder gar Frans Hals. Auch wenn Dominic Smith kein Feminist ist und die Ehrenrettung der Frauen als Künstlerinnen nicht sein zentrales Anliegen, sie kann er doch nicht umhin, die Unsterblichkeit von Chauvinismus und kleiner Machos über Jahrhunderte hinweg festzustellen.
Das Schicksal der erfundene Sara de Vos, gleich aber keineswegs dem Leben von Judith Leyster, die Noch mal der Autor, stehend.  © Stacy Sodolak

Das Faszinierende an diesem vielschichtigen Roman ist der Sog, den er durch das tragische Schicksal der Sara de Vos und die Überlegungen zur Kunst des Malens (und der des Fälschens), die der Autor anstellt, ausübt. Einmal in diese doppelte Welt hineingefallen, kann ich mich kaum mehr befreien.
Wie wunderbare Landschaftsbilder (Landschaften zu malen, war den Malerinnen im Amsterdam des 17. Jahrhunderts verboten, Interieurs sollten sie herstellen) breiten sich die drei Teile des Romans vor der Leserin aus, pastellfarbig und mit einem Geheimnis, das spürbar hinter dem Bild liegt.Cover der deutschen Ausgabe © Ulstein Verlag

Mit Recht steht Sara de Vos im Titel des Romans, kreist doch die ganze Geschichte um die junge Künstlerin und ihr Bild, das möglicherweise gar nicht ihr letztes war. Es ist Sara de Vos, die ich nicht so schnell vergessen werde. Und es ist der Autor Dominic Smith und das Vorbild für seine Hauptfigur, Judith Leyster, von denen ich so viel über das Malen und die Malerei und den Betrug an ihr, der nie ganz gelingen kann, erfahren habe.

Dominic Smith, ein Australier in Amerika,  ist ein Buch von zarter Schönheit und fesselnder Intelligenz gelungen, dem auch eine gute Portion Witz nicht fehlt. Ein Roman, den ich nicht aus der Hand legen konnte und zugleich wünschte, das Ende nie zu erreichen.

Über Judith Leyster

Dominic Smith: „Das letzte Bild der Sara de Vos“ / “The Last Painting of Sara de Vos “, übersetzt von Sabine Roth, Ullstein 2017. 352 S. € 20,60.