Ballett: Kallirhoe, 6. Aufführung mit Hausdebüt
Auch in der sechsten Vorstellung des zweiaktigen Handlungsballetts Kallirhoe von Alexei Ratmansky waren Debüts zu feiern: Laura Fernandez Gromova tanzt die Titelrolle zum erste Mal, Kentaro Mitsumori feiert seinen Einstand ins Wiener Staatsballett mit der Rolle des Chaireas. Vladyslav Bosenko ist neu als Mithridates, der rauflustige Statthalter von Karien; Géraud Wielick debütiert als ständiger Begleiter von Chaireas.
Was dem zu geschätzt 85 Prozent aus Wienbesucherinnen bestehende Publikum nicht auffällt: Kentaro Mitsumori ist zum ersten Mal zu sehen, ein Frischling also, allerdings mit reicher Erfahrung. Er hat seine Ausbildung in seiner Heimat Japan und später in der John Cranko Schule in Stuttgart absolviert. 2017 ist er Mitglied im Königlich Schwedischen Ballett geworden, wo er 2022 zum Principal Dancer avanciert ist. Direktorin Alessandra Ferri hat ihn in ihrer ersten Saison nach Wien geholt. Mit Victor Caixeta, António Casalinho und Alessandro Frola, ergänzt Mitsumori das Quartett der in dieser Saison engagierten Ersten Solotänzer. Mit Timor Afshar, Davide Dato und Masayu Kimoto prunkt das Wiener Staatsballett jetzt mit sieben Ersten Solotänzern. In der Reihe der Ersten Solotänzerinnen warten gar acht Damen von ihren Partnern in die Arme genommen und hochgehoben zu werden. Kurzbiografien sämtlicher Mitglieder des Wiener Staatsballetts sind im Internet abrufbar. 
Diese 6. Vorstellung von Kallirhoe war die letzte im heurigen Jahr. Im Jänner folgen noch vier Vorstellungen, die erste ist für den 4. Jänner angesetzt. Sinthia Liz, von Ballettdirektorin Alessandra Ferri zur Solotänzerin ernannt, wird die Titelrolle tanzen; ihr Partner wird Alessandro Frola sein, der sich in Premiere von Kallirhoe als Dionysios von Milet vorgestellt hat.
Die Solistinnen wechseln, das Corps ist immer präsent. Sechsmal recht knapp hintereinander die schwierigen Passagen im Corps de ballet zu tanzen, ist kräfteraubend und so gerät manche der von Ratmansky erdachten geometrischen Figuren aus Armen und Beinen durcheinander. Dennoch, das Corps de ballet ist sichtbar motiviert, hat wieder Energie und Lust am Tanzen gewonnen. Obwohl die sich wiegenden und wippenden Damen, die springenden und im Marschtritt antanzenden Herren, die Handlung nicht wirklich weitertreiben, gebührt ihnen Applaus, den das Publikum, auch als Handlungsunterbrecher, reichlich spendet. Das Liebespaar wird zwar von Ersten Solistinnen verkörpert und erntet so den ihm zustehenden Jubel, doch sind die beiden Figuren in Ratmanskys Choreografie recht blass. Fernandez Gromova, die schöne Kallirhoe, hat nach ihrem Studium an der Waganowa-Ballettakademie in St. Petersburg drei Jahre, von 2016 bis -19, im Ballett des Mariinski-Theaters getanzt. Dass sie eine perfekte klassische Tänzerin ist, hat sie bereits in Giselle gezeigt. Als Kallirhoe ist sie schön und zart, bleibt jedoch blutleer und kalt. Mitsumori zeigt, was er kann, doch vor Lampenfieber ist wohl auch der routinierte Tänzer nicht geschützt. Choreograf Ratmansky gibt dem zentralen Liebespaar wenig Raume zur Rollengestaltung, doch im Grunde ist jedes Liebespaar ziemlich uninteressant und langweilig. Zwei Verliebt kümmern sie nicht um die Außenwelt, sie sind ganz aufeinander konzentriert. Der Knackpunkt in der Geschichte von der schönen Kallirhoe ist aber, dass das Paar, nach einer Schnellheirat, schon ein Ehepaar, durch eine Intrige auseinander gerissen wird und mehrere Episoden nötig sind, damit sie, weitab von der Heimat Syrakus, wider zusammenkommen. Chaireas, Geliebter, Bräutigam und Ehemann, ist ein schnell aufbrausender junger Mann, der (wie Shakespeares Othello) statt der Intrige auf den Grund zu gehen, lieber seine Frau ins Koma stößt. Später schlägt er sich kämpfend auf die Seite der ägyptischen Aggressoren, die ziemlich plötzlich in Babylon einfallen. Nicht gerade ein Sympathieträger, dieser junge Chaireas. Immer wieder muss ihn sein Freund (aktuelle Géraud Wielick) beruhigen.
Lebendiger und attraktiver sind die Protagonistinnen der einzelnen Szenen. Etwa am glücklichen Ende des Streits der Väter, die beide die Blitzhochzeit verhindern wollten, Hermokrates, Kallirhoes Vater (Igor Milos) fürsorglich seinen Arm um die namenlose Magd seiner Tochter (Anita Manolova) legt, so könnte das der Beginn einer wesentlich spannender Geschichte sein, als der Raub der Kallirhoe. Überhaupt die Mägde! Die werden zu wenig beachtet, die zweite gehört in den Haushalt von Dionysios (großartig und eindrucksvoll interpretiert von Davide Dato) und trägt den Namen Plangon. Sie ist die Trösterin des trauernden Witwers Dionysios und auch der, von ihm den Frauenräubern abgekauften Kallirhoe. Schließlich vermitteln sie die Heirat von Dionysios mit Kallirhoe, damit ihr Kind, empfangen vom noch Ehemann Chaireas, einen Namen bekommt. Plangon ist eine ergiebige Rolle, die von Kiyoka Hashimoto mit Hingabe dargestellt wird. Und auch der Wildfang Mithridates (Vladyslav Bosenko) ist eine ergiebige Rolle, der Kallirhoe mit seinen etwas rauen Verführungskünsten Angst einjagt. Als Königin von Babylon versteht es Rebecca Horner eine eindrucksvolle Frauenfigur zu gestalten. Ihr Ehegespons, er König (Zsolt Török), wirft wie alle Männer gierige Augen auf Kallirhoe, was seiner Frau nicht gefallen kann. Doch sie bewahrt Haltung und am Ende bekommt Chaireas seine Angetraute zurück.
So gibt es in der Choreografie von Ratmansky zum Libretto von Guillaume Gallienne nach dem Roman Kallirhoe von Chariton von Aphrodisias, die einem Reiseführer gleich, von Ort zu Ort wandert, einige kleine Geschichten zu erleben. Das Publikum legt ohnehin wenig Wert auf den Fluss der Handlung, zerteilt durch ununterbrochenes Klatschen den Abend in Zirkusnummern. Die allerdings sind eindrucksvoll und bestens gelungen.
Kallirhoe, Ballett in zwei Akten, 6. Vorstellung am 10. November 2025.
Choreografie Alexei Ratmansky; Dramaturgie & Libretto: Guillaume Gallienne nach dem Roman Kallirhoe von Chariton von Aphrodisias; Musik: Aram Chatschaturjan; musikalische Leitung: Paul Connelly; Orchester der Wiener Staatsoper, Wiener Staatsballett in der Staatsoper.
Folgevorstellungen: 4., 5., 7., 12. Jänner 2026.
Aktuelle Fotos von Ashley Taylor habe ich noch nicht erhalten.
Cover der Programmbücher dieser Saison: Ewa Bathelier, Blue, aus der privaten Sammlung von Kathryn und Stephen Mee, Sydney.