
ImPulsTanz – Luca Bonamore: „Lamentations“

Ein Pferd. Ein Pferd. Mein Königreich für ein Pferd.“ Falsches Zitat! Luca Bonamore, Tänzer, Dichter, Träumer, braucht kein Pferd, er verwandelt sich selbst in eines. Das galoppiert ganz reizend und jammert nur wenig. In Lamentations besingt er die Freuden und Leiden der Nacht, wenn queere Männer Nähe suchen. Aufgefrischt schmücken die Lamentations nach der Uraufführung 2023 auch das ImPulsTanzFestival 2025.
Der Ort, den sich Bonamore für die Präsentation seines Körpers auf der Suche nach Nähe, vielleicht auch Liebe, auf jeden Fall Sex, ausgesucht hat, ist längst Geschichte: Die Opera Toilet Vienna in der U-Bahn-Passage am Karlsplatz, eine ironische Hommage an die nahe Oper und das Ballett, wo mit Walzertakten die Wien-Besucherinnen angelockt und -bewohnerinnen belästigt worden sind. Die letzte Spülung hat am 1. Jänner 2019 stattgefunden. Bonamore führt das Publikum mit Klomuscheln auf der Bühne und einem Filmausschnitt auf der Videowand an den Ort, an dem mit Sicherheit kein Traum schwuler Männer wahr geworden ist. Das üppige Dekor und der Hinweis auf diesen öffentlichen Ort in digitalen und analogen Reiseprospekten haben Lust und Liebe zunichtegemacht, bevor auch nur ein Anflug davon aufgetaucht ist.
Egal, Bonamore will uns mit dem Bühnenbild und der Erinnerung an die Pinkel-Attraktion lediglich in die Atmosphäre queeren Cruisings, einer Form schwuler Kontaktaufnahme aus analoger Ära, versetzen. Männer schwärmen aus (kreisen), um Gleichgesinnte zu finden, anonymer Sex ist das Ziel. Den holen sich Männer (wie Frauen) heute im Internet über Blind-Dating-Portale. Zu Beginn jedoch zeigt sich Bonamore, für die Wiederaufnahme der humorgewürzten Jeremiade unterstützt von Regisseur Lennart Boyd Schürmann, als wilder Mustang. In schwarzen Lackstiefeln tänzelt und galoppiert er auf den Hufen als geflügelter Pegasus über die Muschel geschmückte Bühne, um als Prima Ballerina auf dem Siegerpodest zu landen. Jetzt ist er wieder ein wilder Zentaur, der den Schweif auf dem Menschenkopf als Perücke trägt und mit gekonntem Wurf bis in die Kniekehlen schwingt. Wenn der Pegasus davor noch die Arme sehnsuchtsvolle und liebeshungrig in die Höhe gereckt hat, stakst jetzt eine verträumte Prinzessin das Treppchen hinunter, steckt in den Kopf ins Klo, um als G. F. Händel oder Barockkönig(in) wieder aufzutauchen.
Eine Metamorphose.
Die attraktive Nacktheit wird von Samt und Hermelin bedeckt, doch zum Publikum hin immer wieder bloßgelegt. Mit schmachtendem Blick öffnet Bonamore, ohne Stiefel und Mieder nun, den roten Mantel, verführt sein Publikum nach Strich und Faden. Bald ist er der Kostümierung Leid, wirft sie ab und zeigt sich im String-Tanga in voller männlicher Pracht. Da kommt auch schon der Partner, den er im selbst getexteten und komponierten Chanson vom Raver Boy herbeigesehnt hat:
Wie ungezähmte Pferde, melancholisch und wild, schwingt unser Fleisch zum Takt der rosa Trommeln. Gemeines Lächeln verwischt das Zittern der schmerzenden Muskeln in unzähligen Stunden der. […] … und auf einem Pferd reiten wir weiter, der Sonne entgegen. Und in unseren Ohren hören wir, vom Wind gebracht, ein Lied, ein Siegerlied oder Freddy`s Song? I want do break freed, my raver boy.
Kein Pferdeschweif, keine barocke Lockenperücke mehr, nur noch ein schüchterner Jüngling steht, gehüllt in seine Empfindlichkeit, steht da, mit trockenem Mund und schwimmenden Augen. Der herrlich und üppig tätowierte Mann (Roland Horvath) hat sich eingeschlichen und schon ist der Funkkontakt hergestellt. Die Kreuzfahrt beginnt, immer enger werden die Kreise in denen sich die beiden Passagiere nähern. Es beginnt der Höhepunkt der atmosphärisch dichten, ebenso witzig-ironischen wie nachdenklich machenden Aufführung: ein Balztanz im Dreivierteltakt. Als geflügelter Amor flattert der Jüngling Bonamore um den älteren Besucher herum, umgarnt in flügelschlagend. Der schwüle Nebel, das blaue Dämmerlicht, der sehnsuchtsvoll durchgebogene Körper (Shiatsu-Masseur R.M. sucht seine Visitenkarte) sind überflüssig geworden. Man(n) nähert sich seinem Ziel. Der lustbetonte Paarungswalzer führt für wenige Minuten ins Paradies. Ein an Seilen hängender geflochtener Sessel wird so weit nach unten gelassen, dass sich das Objekt der Begierde, also der fremde Mann, bäuchlings hineinlegen kann und das sexuelle Ritual a tergo beginnen. Der Latexhandschuh und die Ölflasche gehören dazu, um den Partner zu befriedigen.
Bald schaukelt er im Hängesessel, mögliches Stöhnen überdeckt die Musik. Nach getanem Vergnügen trennen sich der alte und der junge Mann wortlos.
Luca Bonamore hat noch eine Metamorphose in petto. Die schwarze Langhaarperücke wird zum Pferdeschweif. Ohne Hufe ersteigt er das Podest in der Bühnenmitte, kehrt dem Publikum den Rücken, rollt sich zusammen, zeigt und das nackte Hinterteil. Eigentlich will er es zeigen, doch die dichte Mähne bedeckt es und der in sich zusammengekrümmte Tänzer wird zum Vexierbild: Zeigt er uns tatsächlich den Hintern oder verbirgt sich unter dem Schweif doch sein Gesicht.
Jedenfalls geht jetzt das Licht aus, die Synthesizer werden abgedreht, einer im träumenden Publikum kapiert, dass geklatscht werden darf / soll. Glück und Zufriedenheit auf beiden Seiten der Rampe. Die persönliche ins Allgemeine versetzte Geschichte, die perfekte Dramaturgie, Spielfreude und die Talente des jungen Römers Bonamore heben diese Lamentos über die vielen nichtssagenden Selbstdarstellungen der Performancepraxis hoch hinaus. Bei einem Fotoshooting für das Vöslauer Magazin sagt Bonamore über sich: „Ambitioniert, tiefgründig, neugierig, vielseitig & sehr gay.“ Gut gebrüllt.
Luca Bonamore: Lamentations, 23., 24., 25. Juli 2025. ImPulsTanzFestival im Schauspielhaus.
Konzept und Choreografie: Luca Bonamore: Performance: Luca Bonamore und Roland Horváth
Musik: Zosia Hołubowska; Licht: Leo Kuraite; Bühnenbild und Visuals: Niko Naderer; Dramaturgie: Olivia Axel Schächer; Outside Eye: Lennart Boyd Schürmann; für Uraufführung: Lau Lukkarila.
Fotos: © Julian-Lee Harather