
ImPulsTanz – Sasha Waltz & Guests: „In C“

Schulterkreisen, Wippen, Arme Heben, Drehen. Zwölf Tänzerinnen suchen sich einen Platz, wandern über die Bühne, finden zueinander, trennen sich wieder. Mit der Musik endet das stumme Vorspiel, der Tanz beginn. Zum Musikstück In C von Terry Riley aus dem Jahr hat die Berliner Choreografin Sasha Waltz in der Pandemie die gleichnamige Chorgeografie geschaffen. Als Highlight des ImPulsTanzFestival wurde In C vom Publikum kreischend und pfeifend gewürdigt.
Entstanden und als Livestream uraufgeführt 1921, ist In C weniger eine fix durch choreografierte Aufführung als ein Experiment, eine Anleitung für Tänzerinnen und Tanzliebhaberinnen oder Kinder, Teile daraus selbst zu ertanzen. Rileys Komposition, entstanden 1964 – Sasha war damals gerade ein Jahr alt –, besteht aus 53 musikalischen Phrasen, die beliebig oft wiederholt werden können. Riley, der mit dieser Komposition als Begründer der Minimalmusic gilt, hat für die Musiker eine ausführliche Spielanweisung verfasst, an die sich auch die Choreografin hält. Waltz übersetzt Rileys Partitur in Choreografie.-Aus Musik wird Bewegung.
Erlaubt ist, was gefällt. Es gibt 53 Figuren, die hintereinander getanzt werden, aktuell begleitet von der Schweizer Band The Young Gods, weder die Anzahl der Tänzerinnen, noch die Länge einer Aufführung ist festgeschrieben. Auch ist innerhalb der (unsichtbaren) Choreografie das Improvisieren erlaubt. Das nennt sich „strukturierte Improvisation“, die Tänzerinnen sind Teil der Gruppe und machen ihre Erfahrungen als aktives Individuum. Interessant als Workshop, spannend zum Mitmachen. Gefühle, Erfahrungen, im Grunde alles, was den Menschen zum Menschen macht und wesentliche Bestandteile von Tanz und Musik sind, ist ausgespart. Der Fokus liegt auf Form und Mathematik, springt nichts über die Rampe.
Die Einen spreizen die Arme, als würden sie gleich abfliegen, andere liegen auf dem Boden, manchmal auch ineinander verknäuelt. Keine(r) kümmert sich um die (den) Andere(n).Die Tänzerinnen in den bunten Kostümen, von Zitronengelb und Zuckerlrosa bis zu Apfelgrün und Kirschrot, Farben, die sich auf der als Blauschirm genutzten hinteren Bühnenwand in ständigem Wechsel widerspiegeln, sind hübsch anzusehen, besonders wenn sie alle synchron die Bühne überqueren. Doch sind diese schönen Momente selten, meist scheint e, als tanzte jede(r) ihr (sein) eigenes Stück. Man müsste die einzelnen Module im Kopf haben – die exzellenten Tänzerinnen haben sie im Körper. Ich sehe eine Aneinanderreihung und ein sich Überlappen von einzelnen Szenen, die sich dauernd wiederholen und durch die individuellen Improvisationen auch verschieben. Das reicht für 20 Minuten. Dann ist klar, dass keine dramaturgisch stimmige, einem gemeinsamen Ziel folgende Tanzperformance zu sehen sein wird.
Vermutlich ist das auch gar nicht Sasha Waltz‘ Absicht, auch wenn sie dieses Stück bereits mehr als 75 Mal in 10 Ländern gezeigt hat. Durch die Zusammensetzung der Choreografie aus Modulen, ist es auch für Laien und Kinder leicht, unter Anleitung ein Stück In C zu tanzen. Neu ist die Idee nicht. Auch Rosas danst Rosas, die wunderbare unsterbliche Choreografie von Anne Teresa De Keersmaeker von 1983, wird für Workshopteilnehmerinnen und Public Moves in Parks und auf öffentlichen Plätzen in Module zerlegt, sodass die Teilnehmerinnen für eine Viertelstunde Rosas-Stars sein können. Jahrelang hat die Rosas-Tänzerin Samantha van Wissen im ImPulsTanzFestival De Keersmaekers Tanzsprache weitergegeben und mit Tanzfrischlingen ein Modul Module aus dem Gründungsstück von Rosas einstudiert. „Die Einfachheit des Grundmaterials, die minimalen repetitiven Bewegungen erlauben es auch Laien, ein Gefühl für das Stück Tanzgeschichte zu entwickeln“, erklärt die Tänzerin.
Für In C gilt die gleiche Erklärung, auch wenn Waltz mit ihrem Team 40 Jahre später in größeren Schritten weitergeht. Aus dem choreografischen Material (53 Figuren und weitere Spielregeln) sind unterschiedliche, für verschiedene Interessensgruppen geeignete Video-Tutorials entstanden, die digital zugänglich sind. „Bisher konnten bereits 30.000 Zuschauer:innen weltweit mit »In C«-Gastspielen und -Projekten erreicht werden.“ (The Cosmos of In C)
Auch wenn während der Vorstellung im Burgtheater so manche Lider gesunken sind, so mancher Kopf zur Seite geklappt ist, weckt der finale Paukenschlag aus dem Sampler, die Gemeinde. Die Tänzerinnen sind, wie im Introitus, nur noch als Schattenfiguren, die gegen den tiefroten Hintergrund bewegen. Die Lichter weichen der Dunkelheit, das Parkett schreckt hoch, springt auf und die Begeisterung scheint kein Ende zu nehmen. Sasha Waltz & Guests waren schon mehrfach im Festspielhaus St. Pölten zusehen, doch Gast beim ImPulsTanzFestival in Wien ist die Compagnie zum ersten Mal.
Sasha Waltz & Guests: In C, 23., 25. Juli 2025, ImPulsTanz im Burgtheater.
Konzept, Licht, Choreografie: Sasha Waltz; Musik: Terry Riley
Kostüme: Jasmin Lepore; Lichtdesign: Olaf Danilsen; Konzept & Dramaturgie: Jochen Sandig
Tanz & Choreografie: Sebastian Abarbanell, Rosa Dicuonzo, Davide Di Pretoro, Edivaldo Ernesto, Melissa Figueiredo, Yuya Fujinami, Lorena Justribó Manion, Melissa Kieffer, Michal Mualem, Zaratiana Randrianantenaina, Aladino Rivera Blanca, Orlando Rodriguez und László Sandig; Repetition: Melissa Figueiredo
Live-Musik: The Young Gods, Musiker: Francis Treichler, (Sampler, Computer, Gitarre, Stimme); Cesare Pizzi (Sampler, Computer); Bernard Trontin (Schlagwerk, Elektronik)
Fotos: © Jo Glinka, Yanina Isla