
ImPulsTanz – Laisné, Chaignaud: „Último Helecho“

In ferner Zeit, in einem fremden Land tönen die Posaunen und wecken pflanzliche Wesen aus ihrem Grab. Tanz und Musik, Folklore und Mythologie, Frohsinn und Melancholie, Mensch und Natur, Leben und Tod verschmelzen im neuen Bühnenstück von Nina Laisné und François Chaignaud, Último Helecho, zu hypnotischen 70 Minuten. Im Rahmen von ImPulsTanz ist die internationale Koproduktion Último Helecho*) im Volkstheater aus der Taufe gehoben worden.
Die visuelle Künstlerin Nina Laisné und der Tänzer François Chaignaud haben bereits mit Romances inciertos, un autre Orlando (ImPulsTanzFestival 2018) gezeigt, wie vielfältig ihre gemeinsamen Interessen sind. Die Genremischung ist ihnen ebenso ein Anliegen wie Erforschung alten Liedgutes und fremder Mythen, und auch die Liebe zur hispanischen Kultur eint sie. Zusätzliche Authentizität verleiht dem neuen Stück die argentinische Sängerin Nadia Larcher, die als singende Tänzerin ins Bühnengeschehen eingebunden ist, wie auch Chaignaud längst gezeigt hat, dass er ein Sänger mit extremem Stimmumfang, ebenso eindrucksvoll wie er als Tänzer ist. Fünf Musiker mit barocken Instrumenten und Vanesa Garcia an traditionellen Trommeln tragen die faszinierende Vorstellung.
In diffuser Dämmerung, scheint eine Wolke zu schweben, auf der drei Männer in ihre Posaunen blasen. Allmählich hebt sich das Grau, eine Höhle ist erkennbar, die Posaunisten stehen oder liegen auf einem Wackelstein. Unter ihm wölbt sich eine Grotte, eine Treppe verbinden das Plateau mit der eigentlichen Bühne. Das Ensemble wechselt ständig zwischen oben und unten, außen und innen, menschlicher Gestalt und pflanzlichem Sein.
Die festlichen Posaunentöne wecken eine hybride Gestalt aus ihrem tiefen Schlaf, vorsichtig versucht das später als barocker Tänzer und König, als Baum oder Farn erkennbare Wesen, seine innere Maschine in Gang zu setzen. Mit dem gleich gekleideten Partnerwesen beginnt ein Tanz in ritualisierten Bewegungen. Der Rhythmus wechselt, auf die Paartänze Zamba und Huayno folgen Kreistänze wie Chacarera oder Cachua, auch der barocke Canario darf nicht fehlen. Melodien, Texte und Tänzer umspannen ein halbes Jahrtausend, vereinen europäische mit lateinamerikanischer Kultur. Zeit und Raum sind aufgehoben, der Mensch geht in der Natur auf.
Musik und Tanz in fremder Landschaft, die Stille und das Keuchen des nach einem hinreißenden Solo erschöpft scheinenden Tänzers, die mit ihren archaischen Instrumenten umherwandernden Musiker und Vanesa Garcia, die verschwindet und wieder auftaucht, um im Himmel wie auf Erden zu trommeln, schaffen ein poetisches Universum, das mich mit magnetischer Kraft in diese wunderbare Welt zieht. Das Ende kommt abrupt. Eben stehen sie noch alle, die Tanzenden, Singenden, Musizierenden oben auf dem steinernen Plateau und singen ihr Lied. Es ist das letzte, die Illusionen lösen sich auf, der Jubel des Publikums setzt ein.
*) Der Titel Último Helecho, deutsch Letzter Farn, erklärt sich aus dem zuletzt gesungenen Lied, einem Song der hochgeehrten peruanischen Singer/ Songwriterin Chabuca Granda (1920–1983). Es ist ein trauriges Lied, obwohl Chaignaud und Larcher einen „Festejo“ dazu tanzen. Granda erzählt in ihrem Gedicht, dass sie sich ein Loch in der Erde gräbt und unter dem Rosenstrauch warten wird bis die Erde ihr Herz kriecht, die Augen erreicht und sie schließlich vom letzten Farn bedeckt: „ … va cubriéndo hasta el último helecho“ bis der letzte Farn mich bedeckt.
Nina Laisné, François Chaignaud, Nadia Larcher: Último Helecho, 19., 21. Juli 2025, ImPulsTanz im Volkstheater.
Originalidee, musikalische und szenische Leitung sowie Bühnenbild: Nina Laisné; Choreografie, künstlerische Zusammenarbeit und Performance: François Chaignaud; Musikalische Beratung, künstlerische Zusammenarbeit und Performance: Nadia Larcher
Live-Musik: Tenorposaune, Serpent, Flöte: Rémi Lécorché
Tenorposaune: Nicolas Vazquez
Tenor- und Bassposaune: Cyril Bernhard / Joan Marín
Bandoneon: Jean-Baptiste Henry
Theorbe und Zupfinstrumente: Daniel Zapico
Traditionelle Perkussion: Vanesa Garcia:
Lichtdesign: Abigail Fowler; Lichttechnik: Anthony Merlaud / Abigail Fowler
Tontechnik: Alice Le Moigne / Camille Frachet / Arthur Frick / Guilhem Angot:
Fotos: © Nina Laisné