
ImPulsTanz Festival Eröffnung mit CLUB AMOUR

Tanztheater Wuppertal Pina Bausch + Terrain Boris Charmatz: Aatt enen tionon 1996, Choreografie: Boris Charmatz. herses, duo 1997 Duo aus herses (une lente Introduction), Choreografie: Boris Charmatz, Musik: Stefan Braunsberger Café Müller: Inszenierung und Choreografie: Pina Bausch. Zur Musik Henry Purcells bewegen sich sechs Tänzer*innen, inspiriert von Bauschs Erinnerungen an das Café ihres Vaters.
Ich finde es spannend über den Bühneneingang zu gehen, dort wo üblicherweise nur die Künstlerinnen und die Crew eintreten. Mitten auf der Bühne zu sitzen ist auch eine nicht alltägliche Erfahrung. Der Abend mit dem Titel Club Amour ein Triptychon, um einen Begriff aus der bildenden Kunst zu bemühen. Ein dreigeteilter Abend verspricht viel und gleichzeitig erahnt man schon durch das Setting eine gewisse Anspannung: Das wird kein einfacher Abend! (gut, dass ich meine Nackenmuskulatur gut trainiert habe)
Der Abend beginnt mit einer Choreografie von Boris Charmatz: Aatt enen tionon (1996). Die konstruierte Struktur eines dreistöckigen Gerüstturms: ein Trio, zwei Tänzer, eine Tänzerin performen unter Strom, energetisch, in einer durchgetakteten Choreografie, körperlich bis an ihre Grenzen gehend. Sie performen halbnackt, nur mit einem T-Shirt bekleidet, der Aufprall der Körper auf den Boden lässt mich immer wieder aufschrecken, die roten Flecken auf den Körpern der Performer zeugen von dieser schonungslosen Bewegungsabfolge. Trotz der offenen Struktur wirken die Tänzerinnen isoliertm Gefangenen gleich und scheinen ferngesteuert, bewegen sich Mascinen ähnlich. Obwohl sie Kontakt aufnehmen könnten, bleiben sie für sich, emotionslose Körper. Die Nacktheit suggeriert Intimität, die jedoch nicht eingelöst wird. Im Gegenteil.
Geradezu prophetisch reflektiert dieses Stück aus den 90er Jahren die Gegenwart: Wir verlernen die direkte Kommunikation mit anderen, alles wird optimiert, wir sondern uns ab, verausgaben uns und doch läuft vieles ins Leere, in Einsamkeit und Isolation. Entfernt erinnert mich die Anordnung des Turms auch an die Vortänzer der Clubszene und auch ein wenig an die neue Videoinstallation der bildenden Künstlerin Hito Steyerl (2025) in der sie genreübergreifende Entwicklungen künstlicher Intelligenz (KI) analysiert.
Boris Charmatz: Duo aus herses (une lente introduction)1997. Zwei Personen treten in den Kreis des sitzenden Publikums ein, ein Mann und eine Frau. Eine virtuose Choreografie. Die beiden nackten Körper ineinander verschlungen, rollend, fordernd, stützend, bieten alle Emotionen einer Beziehung an, und doch wirken sie seltsam distanziert, aber es sind eben die 90er Jahre. Die Körper erscheinen im Stillstand als Momentaufnahme, statisch, wie klassische barocke Skulpturen, die Lichtgestaltung unterstützt diesen Eindruck. Die beiden performen wie auf einer unsichtbaren Linie und entschwinden dann im entgegengesetzten Ausgang.
Pina Bausch: Café Müller. Zur Musik von Henry Purcell bewegen sich sechs Tänzer*innen, inspiriert von Bauschs Erinnerungen an das Café ihres Vaters. Obwohl ich schon viele Tanzaufführungen gesehen habe, ist das Stück von Pina Bausch eine Premiere für mich: Eine großartige Choreografie, eine eher minimalistische Szenerie, die Musik, die schlafwandelnden Tänzer und Tänzerinnen, das alles hat nichts an Brisanz und Radikalität im eingebüßt. Die Rolle, die Pina selbst getanzt hat, wird von der Transtänzerin Naomi Brito sensationell umgesetzt.
Mit einer kleinen Veränderung ist das zeitlose Stück nun doch in unserer Gegenwart angekommen. Eine gute Entscheidung! Was mich fasziniert ist der schnelle Wechsel von humoriger Note, die im nächsten Bild bereits wieder in Aggressivität umschlägt, um gleich darauf wieder von Absurdem abgelöst zu werden. In kongenialem, präzisem Rhythmus trifft alles gleichzeitig ein. Das vielfältige Stück hat mich sofort mitgenommen ohne Wenn und Aber, auch wenn vieles verborgen bleibt. Das macht den Reiz dieser Arbeit aus.
Tanztheater Wuppertal Pina Bausch + Terrain Boris Charmatz: CLUB AMOUR.
Café Müller / Aatt enen tionon / herses, duo. 10., 11., 12., 13. Juli 2025, ImPulsTanz / Burgtheater
Aatt enen tionon 1996, Choreografie: Boris Charmatz. Mit: Dean Biosca, Eli Cohen*, Letizia Galloni*, Simon Le Borgne*, Christopher Tandy, Frank Willens (*als Gast)
herses, duo 1997 Duo aus herses (une lente introduction), Choreografie: Boris Charmatz, Musik: Stefan Fraunberger; Mit: Boris Charmatz, Johanna-Elisa Lemke
Café Müller 1978, Inszenierung und Choreografie: Pina Bausch. Musik: Henry Purcell. Mit Tänzer*innen des Tanztheater Wuppertal Pina Bausch
Fotos: © Evangelos Rodoulis, Laurent Philippe, Ursula Kaufmann
Ricky Renier, Verfasserin des Berichts über die ImPulsTanz Eröffnungspremiree, ist 1961 In Linz geboren und in Salzburg Kunstgeschicht und Pulizistik studiert. Nach Abschluss des Studiums überuerte Renier den Ozean und landete in Chicago. Dort widmete sie sich als Galeristin, Kuratorin und Konsulentin der Kunst. Wieder in Wien, war sie acht Jahrei als Kratorin und Referentin für Gegenwartskunst im MAK tätig. Seit 2011 ist sie freischaffende Kuratorin und Konsulentin für bildende Kunst und, wie sie sagt, mit regem Interesse an Tanz und Performance.