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ImPulsTanz – Sergiu Matis: „Earth Works“

Earth Works: Wasser, Luft und Erde tanzen.

Die Natur und die Beziehung der Erdlinge zu ihr ist des Choreografen und Tänzers Sergiu Matis Thema. Im Tanz beleuchtet es immer wieder aus neuen Perspektiven. Mit vier Tänzerinnen zeigt er in seiner jüngsten Arbeit, Earth Works, dass man Landschaften und die Elemente und auch Poesie in Bewegung umsetzen kann. Texte über die Veränderungen von Landschaften und Orten, eigens für Matis und sein Team geschrieben, bilden die Basis der Choreografie Earth Works, die zu Beginn des ImPulsTanzFestival im Odeon zu sehen war.

Poetische Erzälungen von geliebte Orten und Landschaften werden tanzend interpretiert. Auf der großen Bühne des Odeon sucht eine Tänzerin einen Ort, um zu bleiben. Sie streckt die Arme in die Höhe, dreht sich um sich selbst, taumelt durch das Areal. Nach und nach gesellen sich andere dazu. Sie sind ebenso auf der Suche, irren umher, fallen auf den Boden, umarmen einander, um gegenseitig Trost zu spenden. Anfangs sind nur Naturgeräusche zu hören, Steine poltern, Wasser gluckst, ein Feuer prasselt, der Sturm braust. Doch bald sind die poetischen Texte zu hören, die von den Tänzerinnen rezitiert werden.Der Tanz mit Sergiu Matis wirkt organisch, die tänzerinnen sind Tiere, Pflanzen, Wsser und Erde . Ich sehe ausgetrocknete Flüsse und vergiftete Seen, Matis selbst erzählt von einer Schmetterlingsart, die niemand kennt, die in kein System eingeordnet ist, weil nur er davon weiß. Womöglich ist er selbst der Schmetterling. Die Tänzerinnen sind der Wind und das Gras, das Wasser und die Lava. Es sind die Erzählungen, die die Tänzerinnen bewegen, sich biegen und drehen, zu Boden sinken und wieder aufstehen lassen. Die Autorinnen erzählen vom lebenspendenden Wasser, das alles Lebendige, auch der Mensch benötigt und doch ist es der Mensch, der es vergiftet. Verzweiflung und Hoffnung, Entäuschung und Mut, mit vier Tänzerinnen drückt Sergiu Matis eine palette von Gefühlen aus.
Die Tänzer folgen den eindrucksvollen Texten, in denen die Autorinnen von Ihrer Heimat, von Orten und Landschaften erzählen, die ihnen ans Herz gewachsen sind und die sic im Lauf der Jahre verändert haben. Der gierige, machtbesessene Mensch missbraucht die Natur. Die Autoren des Alten Testamentes haben den Grundstein für die Idee, dass der Mensch Herrscher über die Natur sei, gelegt. Sergiu Matis, Tänzer, Choreograf und aktiver Teil der Natur. © Matiz AshrafAuch in der neuen Übersetzungen bleibt die Genesis dabei: „Seid fruchtbar und mehrt euch, füllt die Erde und unterwerft sie und waltet über ... alle Tiere …“  In alten Übersetzungen heißt es sogar: „Macht euch die Erde untertan.“ Die Tänzerinnen zeigen, dass der Mensch ein Teil der Natur ist und den Auftrag hat, sie zu schützen. 
Die sieben literarischen Texte, aus denen nur Ausschnitte zitiert werden, sind Auftragsarbeiten. Matis bat um Erzählungen über Orte, die den Auf jedem Sitzplatz hat Matis ein Geschenk gelegt, ein Heft mit allen Texten in voller Länge. Englisch sollte man halt können!  Aborigines-Autorin Jeanine Leane vom Stamm der Wiradjuri, erzählt, wie die Seen vergiftet worden sind. Die Erzählung der Maori Hana Pera Aoke besticht besonders durch die klangvollen Maori-Worte für Flüsse und Berge. Trostsuchend rücken die Tänzerinnen eng zusammen. Die nigerianische bildende Künstlerin Rahima Gambo hat ihre Geschichte gemeinsam mit einem Artist Collective geschrieben. Der Erste Teil, Termite splatter, ist eigentlich ein Gedicht, darauf folgt eine Traumerzählung. Schutz der Natur anstatt deren Ausbeutung ist auch dem bildenden Künstler und Autor Harun Morrison ein Anliegen. Er lebt zurzeit auf einem kleinen Boot am Regent-Kanal nördlich des Zentrums von London. Mit „a special rock somewhere“ erzählt eine mytho-poetische Geschichte, die er von seiner Großmutter gehört hat. Auch die Autorinnen Priya Jay (London) wird mit der Publikation geehrt. Wenn von Giftschlamm und ausgetrockneten Flüssen die Rede ist, wird auch die Bühne dunkel. Sie empfindet ihre Sprache als etwas Sensorisches   und Lebendiges, das sich in Momenten kreativer Spannung und Öffnung durch den Körper des Schreibenden und Lesenden bewegt. Zu ihrem Text ergeben sich die Bewegungen von alleine, direkte aus dem Körper heraus. Kalt wird es, wenn Leena und Oulaa A.Valkeapää (Finnland) einen intimen Einblick in die arktische Landschaft geben, in der sie mit den Rentieren leben. Das Schicksal der Tiere ist eng mit dem der Menschen und vice versa verbunden. Der Text ist aus einem stummen Dialog entstanden, Handy-Fotos, die Oulaa an Leena gesandt hat. Die Hoffnung tanzt mitt, die Bühne lbadet im Sonnenlicht.
So niederdrückend manche Erinnerungen und deren Verkörperung sind, so erhellt immer wieder ein Lichtstrahl das Dunkel und man darf sich vorbehaltlos an den wunderbaren Tanzgedichten, an der getanzten Natur erfreuen. Doch der Gedanke, was man selbst dazu tun kann, um die Diversität bei allem, was kreucht und fleucht, schwimmt und auf zwei Beinen geht, zu erhalten, sollte nicht verdrängt werden.
Sergiu Matis, geboren 1981 in Rumänien, lebt seit 2008 in Berlin. ImPulsTanz-Besucherinnen ist er wohlbekannt. Seit 2015 ist er Gast im ImPulsTanzFestival. Die 2020 und 2021 von ihm gezeigten Choreografien haben das Wort „Hopeless / Hoffnungslos“ im Titel getragen. Earth Works birgt unter alle dem Schrecken und der Trauer über Bedrohung und Zerstörung auch etwas „Hope / Hoffnung“

Sergiu Matis: Earth Works, 11., 13.7.2025, ImPulsTanz, Odeon.
Konzept und Choreografie: Sergiu Matis
Performance: Lisa Densem, Moo Kim, Sergiu Matis, Nicola Micallef und Manon Parent
Text: Hana Pera Aoake, Rahima Gambo, Priya Jay, Jeanine Leane, Harun Morrison, Leena Valkeapää und Oula A. Valkeapää
Dramaturgie: Mila Pavićević; Stimmtraining: Jule Flierl
Uraufführung im Radialsystem Berlin, Dezember 2024
Fotos: © Jubal Battisti