
ImPulsTanz: Ein zweiter Blick auf „Earth Works“

Mit Earth Works ist Sergiu Matis zum vierten Mal bei ImPulsTanz zu Gast. Nach Explicit Content, 2015 im Rahmen von [8:tension], Extinction Room (Hopeless), 2021, und deren Fortsetzung, Hopeless, 2022, setzt der rumänische Choreograf seine künstlerische Auseinandersetzung mit den existenziellen Bedrohungen der Welt konsequent fort. Entstanden ist dabei eine überzeugend stringente choreografische Ensemblearbeit.
Tänzer:in nach Tänzer:in betritt die Bühne des Wiener Odeon. Ihre Arme schwingen weit in eine Richtung, den langen Ästen uralter Bäume gleich, die ein Sturm erfasst und zu entwurzeln droht. Dem gegenüber glaubt man, auf der Soundebene die Brandung eines Ozeans zu erkennen, oder einen Fluss nach einem langem Regenfall. Nahezu körperlich spürbar wird dabei die Gischt, die über die weiter schwankenden Körper der Performer:innen birst. Streckbewegungen, Absinken, Kauern und dann wieder erneutes weit in den Raum Greifen dominieren dann auch die folgende knapp 90-minütige Performance. Dabei lassen die fünf Performer:innen unterschiedliche Räume und Orte erstehen. Real und doch scheinbar in mythologischer Distanz, sind es Regionen und deren Bewohner:innen, deren Existenzen massiv bedroht, wenn ich bereits ausgelöscht wurden.
Sergiu Matis aktuelle Arbeit ist die Fortsetzung seiner mehrjährigen kontinuierlichen Auseinandersetzung mit der menschengemachten Zerstörung der Welt. Für Earth Works hat der 1981 geborene Tänzer und Choreograf eine Reihe internationaler Umwelt-Aktivist:innen und Autor:innen um Textbeiträge gebeten: die in New South Wales lebende Wiradjuri-Dichterin Jeanine Leane, den derzeit für Greenpeace UK tätigen Künstler Harun Morrison,die ebenfalls in London lebende Autorin Priya Jay, die nigerianische Multimediakünstlerin Rahima Gambo, die neuseeländische Dichterin Hana Pera Aoake sowie die beiden im arktischen Sápmi arbeitenden Künstler:innen und Wissenschaftler Leena und Oula A. Valkeapää.
Die Orte und die Geschichten deren Zerstörung werden an diesem Abend in Fragmenten erzählt, die vollständigen Beiträge sind in einem das Stück begleitenden Booklet auf Englisch kostenfrei zur Verfügung gestellt. Matis sucht in seiner choreografischen Umsetzung, wie schon in seinen früheren Stücken, nach physischen wie (damit verbundenen) räumlichen Manifestationen, die die in den gesammelten Texten erzählten Geschichten vermitteln. So erzählt Jeanine Leane vom Verschwinden des Wassers der indigenen Volksgruppe der australischen Wiradjuri.
Hana Pera Aoake berichtet in ihrem längsten Textbeitrag vom „große Ozean von Kiwa“ (Te Moana-nui-a-Kiwa) der Māori und der unauflöslichen „takarangi“, den stetig wachsenden Verbindungen von Menschlichem und Nicht-Menschlichem („Jever-Japanding connections between humans an non humans“), die mit der Zerstörung des einen immer auch jene des anderen mit sich bringen.
„In der Katastrophe liegt vielleicht nicht die Antwort, aber Musik“, schreibt die Konzeptkünstlerin Rahima Gambo, die ihren Textbeitrag gemeinsam mit dem in Maiduguri tätigen Tatsuniya Artist Collective entwickelt hat. Auch wenn die Episoden, die Matis für Earth Works aus den ihnen zugrunde liegenden gesammelten Erzählungen herausgeschält hat, fragmentarisch bleiben: Ihm und dem in seiner anhaltenden Intensität berührenden gesamten Ensemble gelingt durch die gestische, tänzerische, sprachliche Untersuchung und Umsetzung der oft nur wenige Worte umfassenden Fragmente eine atmosphärisch dichte Performance, die in ihrer konsequenten Reduktion auf wenige, sich zu wechselnden Lichtflächen und Soundspuren wiederholenden Abfolgen eine eindrucksvolle Wirkkraft entwickelt. Wo zuerst das mächtige Wogen des Wassers zu spüren war, tauchen nach dessen Versickern Bilder von Geröll und gewaltigen Steinmassen auf. Wo Insekten an Fingern, Armen und Schultern in Berührung mit menschlichen Körpern gekommen („I am kissed by pouting flies“, Jay) sind, versteinern diese nach deren Verschwinden, fallen zu Boden, der so hart geworden ist, wie der versandeter Flüsse und Seen.
Zertretene Termiten, verbrannte Erde, verschwundene Mangrovenwälder – Earth Works lässt sie trotz aller destruktiven Bedrohungen als zärtlich betrachtete Landschaften in jedem der fünf Tänzer:innen-Körper erspüren, ehe sie von diesen abfallen, um – so ein nur erahnbarer, gegen Ende hin zu einem sich wiederholenden Ablauf hin kulminierender Wirbel – wieder aufzu(er)stehen. „I am“ – „ich bin“ – heißt es mehrmals, eine Zeile aus dem letzten Text der Sammlung, Life is … von Leena und Oula Valkeapää, fragmentierend („I am the life in me“). Dort heißt es denn auch weiter: „I wonder at the power of art.“
Earth Works überzeugt durch die Konzentration der sich replizierenden Bewegungsabläufe, die sich in eben jenen Wiederholungen mit den fragmentierten Erzählungssträngen in eine stets neue Rekontextualisierung begeben, die all jene Welten eröffnet, von deren Entstehung – und Sterben – die Autor:innen berichten.
Earth Works, 11. + 12.07.2025; ImPulsTanz im Odeon
Konzept und Choreografie: Sergiu Matis; Performance: Lisa Densem, Moo Kim, Sergiu Matis, Nicola Micallef und Manon Parent; Text: Hana Pera Aoake, Rahima Gambo, Priya Jay, Jeanine Leane, Harun Morrison, Leena Valkeapää und Oula A. Valkeapää: Dramaturgie: Mila Pavićević; Musik: Antye Greie-Ripatti (AGF); Bühnenbild und Licht: Ladislav Zajac; Kostüme: Lisa Densem, Philip Ingman, Moo Kim, Sergiu Matis, Nicola Micallef und Manon Parent; Stimmtraining: Jule Flierl.