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Ikonen auf dem Gender-Prüfstand

Lenio Kaklea: ein Solo, viele Figuren

Mit ihrer 2023 uraufgeführten Soloarbeit Untitled (Figures) und der 2024 fertiggestellten Videoarbeit An Alphabet for the Camera gastierte die griechische Konzeptkünstlerin und Performerin Lenio Kaklea im Rahmen von  ImPulsTanz im Schauspielhaus. Lenio Kaklea ist kein neuer, aber immer wieder überraschender Gast beim Festival ImPulsTanz: Seit 12 Jahren zeigt die griechische Choreografin und Tänzerin ihre Arbeiten in Wien.

 Lenio Kaklea leiht ihren Körper ikonischen Figuren.In Untitled (Figures), widmet sich Kaklea einer knappen Handvoll ikonischer Gestalten, zeigt Prototypen von Geschlechter- und Körperbildern, die immer auch symbolhaft für gesellschaftliche Wandlungsprozesse stehen – oder eben nicht.
Ausgehend von I’m coming out, dem legendären von Diana Ross aufgenommenen Song, beginnt Kaklea  mit ihrer ersten „namenlosen“ Ikone, die zwischen Disco-Queen und Aerobic-Ikone changiert. Schon hier und in allen weiteren Figuren, denen Kaklea in den folgenden 40 Minuten ihren Körper leiht, wird klar: Eindeutig ist hier nichts mehr. Dafür umso brillanter dekonstruiert: der:die Cowboy:Cowgirl beim Show-Dance, die Ballerina im rosa Trainingsbody, der Marine-Kapitän in seinem Kahn. Jede der vorgestellten Figuren beherrscht ihre typischen Gesten, Haltungen und Bewegungen bis zur Perfektion. Doch in der minutenlangen Wiederholung derselben mischen sich Brüche, Ablenkungen, Deformationen – immer wieder tauchen andere, weitere Identitäten auf, lassen aus eindimensionalen Codierungsmustern neue Sichtweisen entstehen. Die Identitäten in Lenio Kakleas Solo sind nicht eindeutig. So schlägt sich die Disco-Tänzerin zu Madonnas Express Yourself von 1989 auch einmal hart selbst; Cowboy:girl ringt um seinen:ihren Status, wenn er:sie im wilden Rodeo den Hut verliert; die Ballerina dreht sich lasziv-lustvoll um den Trainingsstuhl; und der Kapitän trotzt gängigen Männlichkeitszuschreibungen, indem er:sie die Uniformjacke öffnet und die (weibliche*) Brust demonstrativ in die Welt hinaus hält.
Schon der Titel des Stücks – „Ohne Titel“ – macht klar: Was einst einfach zu lesen und einzuordnen war, muss sich von überlieferten Begriffen, Namen – und eben „Titeln“ verabschieden. Lenio Kaklea stellt ihrer Hommage an die Kraft der Wandelbarkeit einen weiteren ikonischen Moment zur Seite, wenn sie immer wieder ihre Zunge herausstreckt und diese ebenfalls zum Tanzen bringt. Wie die so zitierte Göttin Kali sind ihre titellos gewordenen, gegen tradierte Normen antanzenden Figuren auf dem Weg zur Unabhängigkeit von „männlichen Gottheiten“.
Im Begleitblatt zum Abend heißt es so auch, Untitled (Figures) sei ein Würdigung der Queer Culture als einer, die „uns beibringt, den weiblichen Körper zu lieben“. Das Stück eröffnet mehr noch als das: die befreiende Möglichkeit, sich in jeden Körper zu verwandeln, Prototypen radikal zu konterkarieren und tradierte Rollen sichtbar freizulegen. Jede der vorgestellten Figuren beherrscht typischen Gesten und Haltngen.
Der Performance vorangestellt ist Kakleas rund zehnminütiger Film An Alphabet for the Camera. Auch hier verändert sich der Körper der Performerin beständig. In einer riesigen leer stehenden Industriehalle erscheint eine Figur, deren silbergrau glänzendes Kunstfaseroberteil wohl bewusst an eine nicht-humane Erscheinung erinnert. Finger, Hände, dann Arme, schließlich der ganze Körper tauchen in unterschiedlichen Formationen an verschiedenen Stellen der Halle immer wieder auf, werden ausgeblendet, faden wieder ins Bild, ehe die Figur sich aus dem im Hintergrund geöffneten Hallentor in die Unsichtbarkeit verabschiedet, um an anderen Orten – Meeresufer, Brücke, Sandstrand – beständig weiter auf- und abzutauchen. Auch hier ist Kakleas Körper im steten Wandel, bringt sich kontinuierlich in Beziehung – und widersetzt sich.

Untitled (Figures) (2023), ImPulsTanz im Schauspielhaus, 15. + 17.7.2025.
Choreografie, Performance: Lenio Kaklea; Sound, technische Leitung: Éric Yvelin; Licht: Jean Marc Ségalen; Kostüme: Olivier Mullin; Stimme: Jill Johnston.
Fotos: © Marikel Lahana
An Alphabet for The Camera (9 Min., 2024), Schauspielhaus Wien, 15. + 17.7.2025, 19 Uhr; Konzept, Umsetzung, Choreografie, Performance: Lenio Kaklea; Kamera und Schnitt: Leila Morouche