
Dunkle Töne, ferne Laute

Dunkel von Lisen Pousette und Olivia Rivière im WUK Projektraum und Martina de Dominicis Latente in den ehemaligen Hofstallungen im MuseumsQuartier.
Die zwei im Rahmen der ImPulsTanz-Reihe [8tension] direkt aufeinander folgenden Performances verbinden sich, klug programmiert, zu einem Katalog der Gefühle zwischen kulturhistorischen Recherchen und existenzieller Zeitgenossenschaft. Da sind fürs Erste die räumlichen Setzungen: Beide Performances finden in so genannten „Projekträumen“ statt. Das ist vor allem der Konzeption der Reihe [8tension] selbst geschuldet, deren Fokus als „Young Choreographers* Serie“ schon dem Titel nach auf jungen choreografischen Stimmen liegt. Und damit wird immer auch gleich ein räumlicher Verweis mitgeliefert: Proberaum, kollektiver Arbeitsraum, immersiver Begegnungsraum. Doch was ein wenig nach konzeptueller Zufälligkeit klingt, wird in der Zusammenschau der beiden Stücke überzeugend eingelöst. Die gewählten Räume könnten dabei unterschiedlicher nicht sein: Der „choreografische Chor“ Dunkel fand im WUK Projektraum statt. Dieser ist luftiger und offener als der nahezu hermetisch geschlossene, in Nebel und Lichtinseln getauchte Saal in den ehemaligen k. k. Hofstallungen, in denen Latente wenige Tage darauf in eine „gefälschte Liturgie“ entführte. An beiden Abenden stand es offen, sich frei zu bewegen, den sich bewegenden Körpern – und vor allem Stimmen – selbstständig zu folgen. Und das in beiden Fällen weniger immersiv denn rituell. Während man sich jedoch in Dunkel auch für einige Zeit dem Rausch der eindringlichen stimmlichen Tiefenschürfungen hingeben konnte, ohne den Performer:innen stets mit den Augen nachzufolgen, so war es im Falle von Latente, selbst wenn man sich redlich um ein Sichtfenster bemühte, kaum möglich, den zarten, detailreichen choreografischen Momenten zu folgen. Eine nicht der Performance selbst, sondern der überbuchten Vorstellungen geschuldete Problematik. Damit wurde es für viele der Besucher:innen unmöglich, Latente in seiner Variationsdichte voll zu erfassen.
Eine weitere Parallele zwischen den beiden Arbeiten ist die im Zentrum stehende Auseinandersetzung mit der Verbindung von Körper und Stimme. Während sich Pousette und Rivière mit der Technik des gutturalen Kehlgesangs, dem „Growling“, beschäftigen und daraus, so der Begleittext, ein „erweiterte Gesangspraxis“ kreieren, entführen De Dominicis und ihre musikalisch-choreografischen Partner:innen Magdalena Forster und Manuel Riegler in die Welt mittelalterlicher Gesänge und Rituale. „Gespenstisch“ (so der Programmzettel zu Latente) wird es an beiden Abenden. Die aus den titelgebenden dunkelsten Tiefen ihrer kaum noch menschähnlichen, sich in Fetzenleibern auflösenden Körper knurrenden, röchelnden, schreienden sechs Performer:innen in der klanglich-affektiven Erkundung des dänisch-schwedischen Choreograf:innen-Duos drehen, wälzen, robben, kriechen, berühren die anderen Anwesenden dabei aktiv auch durch ihre an Zombies oder „Besessene“ erinnernde „toten“ Blicke und lassen Konnotationen an Horrorfilme wie Der Exorzist aufkommen. Und auch Latente erinnert so manche Sequenz an religiöse Exerzitien als – körperlich wie stimmlich – Eintreiben gemeinschaftlichen zeremoniellen Erlebens und Austreiben singulärer Wahrnehmungsfreiheiten. Zuletzt ganz explizit in einer Art spirituellem Ritus: Auf einem kleinen, quadratischen Podium, das mich an einen Altar aus Kleists Käthchen von Heilbronn erinnert, werden zwei güldene Schalen Weihrauch entzündet, um mit diesen in einem finalen wilden Nebeltanz noch einmal kollektiv geisterhaft aufzuladen. Während Dunkel das Publikum in die stimmlichen Abgründe menschlicher Körper(un)wesen versinken lässt, antwortet Latente mit der von allen „weltlichen Übeln“ befreienden affektiven Kraft sakraler Rituale.
In beiden Arbeiten stehen aggressive rituelle Praktiken gleichberechtigt neben zarten Berührungen. Im Falle von Dunkel begegnen die growlenden Zombie-Wesen einander immer wieder in gleichsam liebevoll ängstlichen Annäherungen, streifen den:die andere:n, klammern sich haufenähnlich aneinander, fallen miteinander schwer zu Boden, versuchen, gegen all die Wunden, die sich bis an ihre Grenzen verausgabenden Stimmwesen heulend aus ihrem Innersten zuzufügen scheinen, wieder und wieder aufzubegehren, ehe sie schließlich doch in finaler Erschöpfung erstarren. Latente endet ebenfalls nicht im klanglichen Wohlgefallen. Nach einem liturgisch-orgiastischen Tanz der Weihrauchschalen verabschiedet sich die Performance, wenn die beiden Performer:innen vor Manuel Rieglers Soundstation ihren Tanz beenden, während Manuel Riegler all dem Schönen und Nostalgischen seine musikalische Absage schrill entgegensetzt. Wir sind im Heute angelangt.
Dunkel – im durchwegs hell erleuchteten Projektraum des WUK – als rauschhafter Horrorparcours und Latente im erschöpfenden Nebelschweiß des barocken Pferdestalls als nicht minder rauschhafte Auseinandersetzung mit all dem nicht mehr Seienden und doch mit uns Wandernden verdeutlichen gleichermaßen eindrucksvoll das Bedürfnis nach der Erkundung weit entfernter, tief verborgener Eigenschaften menschlicher Riten und erzeugen stimmungsvolle Körper-Sound-Landschaften von noch lange nachklingender Geisterhaftigkeit.
Lisen Pousette & Olivia Rivière: Dunkel, 22., 23., 24.7.2025, WUK Projektraum; Choreografie: Lisen Pousette und Olivia Rivière; Performance: Jennie Bergsli, Karis Zidore, Lisen Pousette, Olivia Rivière, Misty Scherrebeck Hansen und Be Heintzman Hope: Musik: Susanne Cleworth (Xuri); Sound: Kristian Alexander; Licht: Alba Rask und Cristoffer Lloyd; Kostüme: Lisen Pousette und Olivia Rivière (in Zusammenarbeit mit Liselotte Bramstång);
Martina De Dominicis): Latente, 25., 26., 27.7.2025, mumok/Hofstallungen; Konzept und Choreografie: Martina De Dominicis; Entwicklung und Performance: Martina De Dominicis, Magdalena Forster und Manuel Riegler; Komposition und Sound: Manuel Riegler; Kostüme: Sarah Sternat; Raumgestaltung und Objekte: Sarah Sternat und Patrick Winkler; Stimmtraining: Veza Fernandez; dramaturgische Unterstützung: Costas Kekis und Veza Fernandez; Produktion: Sebbe Starlinger und Sophie Menzinger;
Fotos: © Hanna Fasching,