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ImPulsTanz –De Keersmaeker, Solal Mariotte: BREL

Anne Teresa De Keersmaeker gestützt von Solal Mariotte.

Jacques Brel, dem früh verstorbenen flämischen Chansonier widmet die Flämin Anne Teresa De Keersmaeker gemeinsam mit dem jungen Tänzer Solal Mariotte eine zwiespältige Choreografie. Nach der Weltpremiere in Brügge am 18. Juni im Concertgebouw Brügge und der Frankreichpremiere Anfang Juli beim Festival d’Avignon, dürfen De Keersmaeker und Mariotte mit BREL beim ImPulsTanzFestival vom 28. bis 31. Juli im Akademietheater Wien-Premiere feiern. 

Die flämische Tänzerin hat sich einen jungen Partner gesucht, der Jacques Brel erst kennenlernen musste um für ihn, mit ihm, gegen ihn zu tanzen.  zu Drei Generationen auf der Bühne: Anne Teresa De Keersmaeker, geboren 1960 in Flandern, sichtbar mit Solal Mariotte, geboren 2001 in Frankreich und Jacques Brel, geboren 1929 in Flandern, unsichtbar, nur als Stimme aus dem Tonarchiv hörbar. Dementsprechend wird diese Song-Choreografie auch von den drei Generationen im Publikum unterschiedlich aufgenommen. Lob und Tadel, Zustimmung, Begeisterung, ja Rührung sind gleichermaßen präsent. „La Valse à mille temps“ – Anne Teresa De Keersmaeker, dreht und dreht und dreht und wird die Brel in seinem chnson immer schnell.
Jacques Brel (1929 – 1978), der seine Lieder, einer internationalen Karriere zuliebe, meist auf Französisch gesungen hat, hat durch seinen charismatischen, expressiven Vortrag und auch den Inhalt seiner Chansons (Freiheitsliebe, Nonkonformismus, unglückliche Liebe, Lebenslust und Tod) schnell eine Fangemeinde um sich geschart. Durch seinen frühen Tod, mit 49 an Lungenkrebs, wurde er endgültig zum Mythos. Höre ich eines seiner Lieder, ist Gänsehaut unvermeidbar. Französisch war Grundsprache im Gymnasium, Brels Texte später ad hoc zu verstehen, kein Problem. Solal Marriotte,der Breaktänzer beherrscht die Bühne. In sich gekehrt, mit dem Rücken zum Publikum ganz hinten die Tänzern Keersmaeker.Wenn er und Tänzer und aufstrebende Choreograf in Brels Song hineinschreit, wenn er lustig quiekt wie ein Schwein, wende ich mich mit Grausen. Für mich, altersmäßig Brel am nächsten, sind seine Lieder, Musik und Text, überpräsent und so stark, dass sie keiner Ergänzung bedürfen. Ich genieße die abwechslungs- und vor allem errinerungsreichen 90 Minuten aus dem Schallplattenarchiv als Konzert. Was auf der Bühne geschieht, ist überflüssig bis peinlich, wird Jacques Brel nicht gerecht. Der ist abwesend, kann sich nicht wehren, wenn die Tänzerin kindisch seine Gesten, die auf einem Video-Konzertausschnitt zu sehen sind, nachahmt oder sich von Mariotte wie ein Baby schaukeln lässt. Ungerecht und überheblich! Denke ich. Bin ich.
„Bist du“, bestätigt die Gesprächspartnerin, die auch das Bühnengeschehen mit cineastischem Blick einfängt.  Zu Beginn steht das Mkrofon im verlassenen Lichtkreis, danach erobert in Solal Mariotte.Perspektivenwechsel ist notwendig, Augen auf und auf den Tanz gerichtet! Ein Satz De Keersmaaekers zu ihrem Dramaturgen Wannes Gyselinck erleichtert es: „Für mich ist diese Produktion größtenteils eine Übung im Loslassen.“ Loslassen, das heißt alte Häute abstreifen, alte Lieben und alte Gewohnheiten vergessen und akzeptieren, dass man alt wird. Anne Teresa De Keersmaeker ist näher dem Chanson über Die Alten / Les Vieux als dem Walzer in tausend Takten / La Valse à mille temps. Sie wirft die alte Haut ab, stecht nackt vor dem Publikum, der Rücken wird zur Projektionsfläche für die eindrucksvolle Mimik des seit mehr als 40 Jahren toten Chansoniers. Wenn die alten Fans, die Bewahrerinnen des Mythos Brel, loslassen würden, dann sähen sie / sähe ich zwei tanzende Körper von heute, hörte die Lieder von gestern. Anne Teresa a De Keersmeker tanz mit ihrem bekannten Bewegungsvokabular Verbindung zu ihrem flandrischen Leben.
Ohne Hemmungen kann sich Solal Mariotte mit dem Museum Brel befassen, kann sich auf ihn einlassen, ihn ablehnen, sich über ihn lustig machen, sich von ihm inspirieren lassen. Mariotte hat seine tänzerische Laufbahn mit Breakdance begonnen, denn er, mit Sonderapplaus bedacht, auch Jacques Brel zumutet. Da scheint der Heros der 1980er Jahre, bis zur Jahrtausendwende angeblich mehr als 9000 Mal gecovert oder neu interpretiert, eingemottet und mumifiziert  – Gen Z verschwendet keinen Gedanken mehr an alte und junge Liebende (amants)und Solal Mariotte setzt die Energie, die die Lieder und live Auftritte, das gesamte Leben des Auteur-Compositeur-Interprète beflügeln und ausstrahlen, in Bewegung um. Dieses Zuviel, dieses Exzessive, Kräfteraubende im Solo von Solal Mariotte könnte als Verbindung zu Jacques Brel sgesehen werden. So kann man das Duett, das im Grund ein Terzett ist, auch sehen. Die Differenz der Beziehungen von A.T. De Keersmaeker und Solal Mariotte verhindert die Kommunikation, die ein Duett ausmacht. Jede macht ihr eigenes Ding, das Duett / die Kommunikation findet mit J. B. statt, oder auch nicht, doch Paul Watzlawick (1921–2007) hat's gesagt: „Man kann nicht nicht kommunizieren.“
„Ode á la lune“.  … Der Mond geht vorüber, der Mond vereist, der Mond erlischt …Wieder einmal singt B Diesmal in acht Vierzeilern. rel vom Tod. Dem Programmheft ist zu entnehmen, dass Keersmaeker „die Verflechtung ihrer Biografie mit Brels Liedern, ihre gemeinsame Erfahrung des Flachlands oder „vlakke Land“ tanzt. Im Duett mit Brel lässt die Tänzerin los, verabschiedet sich von ihrer Jugend, bleibt von im Dunklen zurück und lässt der Jugend den Vortritt. Solal Mariotte nützt die Gelegenheit und bleibt doch der Schüler, der seine Lehrerin nicht im Stich lässt, sie hochhebt, wenn sie zu fallen droht.
Ich habe mich (um)entschieden: Es war ein schöner Abend, den ich, jetzt wissend und die Heldenverehrung loslassend, gerne noch einmal sehen möchte.

Anne Teresa De Keersmaeker, Solal Mariotte / Rosas: BREL, 28.–31. Juli 2025 ImPulsTanz im Akademietheater.
Konzept/Choreografie/Performance: Anne Teresa De Keersmaeker und Solal Mariotte; Musik: Jacques Brel
Licht: Minna Tiikkainen; Bühnenbild: Michel François; Kostüme: Aouatif Boulaich; Dramaturgie: Wannes Gyselinck.
Fotos: © Anne Van Aerschot