
Cowbirds: Vier Zauberinnen mit Engelsstimmen

Außen exotisch, innen romantisch. Das ist der leerstehende Gebäudekomplex aus dem 19. Jahrhundert in Wien Döbling, Zacherlfabrik genannt. Wenn das Quartett cowbirds dort zum stimmungsvollen Tanzkonzert, Textures of Tears, lädt, singen Engel, tanzen Göttinnen.
Der laue Sommerabend ist so recht geeignet, um sich von Sirenengesang verführen zu lassen. Im kühlen Grund lustwandeln Paare und ganze Familien und warten, Limonade oder Prosecco schlürfend, auf den Beginn eines Konzerts der bekannten Formation cowbirds. Der Name des A Capella-Quartetts scheint pure Ironie zu sein, denn die nur am amerikanischen Kontinent beheimatete Sperlingsvögel, die Kuhstärlinge, sind nicht gerade sympathisch. Die Männchen krächzen eher anstatt zu singen; die Weibchen machen’s dem Kuckuck nach und legen ihre Eier in fremde Nester. Für die Brut der unfreiwillig zu Wirtstieren gewordenen Eltern ist kein Platz mehr. Könnten Vögel weinen, sie würden ihre Klage mit einem Gewebe aus Tränen bedecken.
Textures of Tears, der gereimte Titel der aktuellen Aufführung bietet sich von selbst als nahtloser Übergang zu Hauptthema an. Clelia Colonna, Irene Coticchio, Caroline Decker und Rotraud Kern, die sich cowbirds nennen, doch, Künstlerinnen, vor allem Sängerinnen und Performerinnen sind, verzaubern in der großen Halle des Zacherlgebäudes mit ihrem schönen, feinst gesponnenen Gewebe aus Tränen nicht nur die Erwachsenen. Die vielen, noch im schattigen Garten hinter dem Haus hintereinander herjagenden Kinder, werden still, spazieren wie die Großen lautlos durch die Halle, beobachten die wandelbaren Wesen, die anfangs gesichtslos nach den umherstehenden Gefäßen suchen, um sie dann als Göttinnen über den Kopf zu heben haben. Später werden die majestätischen Gestalten zerfließen, Köpfe in Gefäße tauchen, gurgeln und glucksen, also doch zu Vögeln werden. So die Körper sich wandeln, sich mit dem schwingenden Arm scheinbar unaufhörlich im Kreis drehen, um gleich danach in einem opaken Zelt einem geheimen Ritual nachzugehen, so fließt auch die das Konzert aus den Kehlen. Was mit leise piepsenden Lauten beginn, wird bald zu Wörtern und Sätzen, gesprochen und bald auch gesungen. Eine rätselhafte Geschichte entsteht und zerfällt wieder, die Sätze werden zu Wörtern, die Wörter zu Silben, die Silben zu Buchstaben bis nur noch Laute zu hören sind, die zu raumfüllenden polyphonen Gesang werden, zu einer Melodie, die klagt und auch jubelt und in Atemgeräuschen endet.
Die eisernen Säulen, Stützen der freiliegenden Traversen, die das hohe Dach halten, werden mit bunten Bändern geschmückt, in durchsichtigen Beuteln, die von zauberhaften Wesen aufgehängt werden, schwimmen grüne Fische oder Algen oder fremde, unbekannte Objekte, die sich Svenja Tiger ausgedacht hat. Die beiden Lichtdesigner, Bruno Pocheron mit Paul Kotal, wetteifern mit der Abenddämmerung. Der Mond ist noch nicht aufgegangen, er wäre ohnehin nur halb zu sehen. Dennoch versetzen mich die silbrigen Klänge des vierstimmigen Chores in romanisch-wohlige Stimmung. Weit entfernt von jeglicher musikwissenschaftlichen Analyse und Theorie bleibe ich im Märchenland, wo die fremden Weisen und vertrauten Melodie die Bilder nicht nur begleiten, sondern beherrschen.
Die Fassade des Zacherlhauses in der Hanglage der Nusswaldgasse lässt an die Shah-Moschee in Isfahan denken. Innen, dahinter und unten im Graben jedoch wird Architektur des 19. Jahrhunderts zur Konkurrentin der Biologie, des dichten Grüns der wuchernden Natur. Die Hanglage und das später aufgesetzte Stockwerk erwecken den Eindruck, in den Keller hinunterzusteigen. Doch die beiden Fensterreihen der Fabrikshalle erlauben den Blick in den noch hellen Himmel, bestätigen, dass wir auf sicherem Terrain sind.
Dumpfe Trommeltöne brechen den Zauber, die singenden Gestaltwandlerinnen schlagen mit Blechdeckeln gegen die schlanken korinthischen Säulen. Ein Weckruf, Ende der romantischen Melancholie, der musikalischen Träume. Die Metamorphen wandeln sich ein letztes Malll, sind wieder Sängerinnen, Performerinnen, die den verdienten Applaus entgegennehmen.
Cowbirds: Textures of Tears, 2.,3., 4.7. 2025, Zacherlfabrik, Nusswaldgaasse 14, 1190 Wien
Performance: Clélia Colonna, Irene Coticchio, Caroline Decker, Rotraud Kern; Konzept, künstlerische Leitung: Rotraud Kern; Konzept, Komposition: Clélia Colonna
Raum / Objekte: Svenja Tiger; Lichtdesigner Bruno Pocheron mit Paul Kotal, Soundtechnik: Christian Schröder; Produktion: Julia Neuwirth.
Fotos: © Martin Putz