
ImPulsTanz / [8:tension] – Marika Peura im Nahkampf

Marika Peura, aufgewachsen in Helsinki, Vater Finne, Mutter von den Philippinen, ringt um ihre Identität. In dem spektakulären Solo, Amalgam Melee, spielt sich der Kampf in ihrem Körper ab. Peura zeigt ihre Choreografie im Rahmen der [8:tension]-Reihe des ImPulstanzfestivals dreimal im Wuk. Ein Erlebnis.
Unverdrossen geht eine junge Frau das Rechteck der leeren weißen Bühne ab. Am dekorativen, bunt glitzernden Gürtel hängt eine Messerscheide, an den Füßen trägt sie rosa Badeschlapfen. Sie geht mit unbewegter Miene eine Runde nach der anderen, schon fällt das Publikum rechts und links des weißen Rechtecks im Theatersaal des Wuk in eine leichte Trance. Mit einem Donnerschlag wird es wachgerüttelt. Marika Peura stampft mit wildem Gesicht in den Boden. Für kurze Zeit wird der sanfte Sound, mit dem Tiikka Drama die Tänzerin begleitet, zum Höllenlärm.
Mit geballten Fäusten setzt Peura ihren, wiederholt plötzlich unterbrochenen, Weg entlang der Publikumsreihen fort. Der rosa Schuh wird zu Waffe, die sie den Zuschauerinnen bedrohlich entgegenhält, mit der sie den Boden und später auch den eigenen Körper bearbeitet. Der Kampf mit unsichtbaren Gegnerinnen spielt sich in ihr selbst ab. Konvulsivische, spastische Bewegungen spannen und biegen den gesamten Körper, immer von neuem wird die ganze Person von Krämpfen geschüttelt. Mit verzerrter Miene, und geballten Fäusten verzerrt, das schwarze Haar hängt über die Stirn, die Zähne sind zu einem diabolischen Grinsen gebleckt, der helle Raum verdüstert sich allmählich, die Röhren leuchten tiefrot, Nebel steigt auf, Marika Peura ist in der Hölle.
Ein Kampf der Dämonen scheint unter der Haut zu toben. Als Getriebene stampft, rast, stolpert sie auf ihrem Weg, die Flip-Flops fliegen weg, das Messer wird gezogen. Drohend hält sie es in alle Richtungen. Der Nebel verzieht sich, das weiße Licht erhellt auch ihr Gesicht, dein zaghaftes Lächeln blüht auf, der Körper entspannt sich, die Hände sind geöffnet, das Messer fällt zu Boden, die Dämonen scheinen sich verzogen zu haben.
Als Siegerin beginnt der Performerin wieder ihren Weg abzugehen, doch sie ist nicht wirklich befreit von allem Schmerz und Pein. Das Messer hängt mit einer langen Kette am Gürtel. Die Bürde wird sie nicht los.
Im Interview, das sie im Herbst 2024 bei der Uraufführung von Amalgam Melee im Zodiak, Helsinki gegeben hat, sagt Marika Peura, dass sie ihre Performance, „oder meine Verkörperung“ als eine „Art dritten Raum“ empfindet. „Als Drittkulturkind bin ich weder Finnin noch Filipina, auch nicht halbe-halbe, sondern vielmehr beides …“
Sie erklärt auch die verwendeten Accessoires: Die rosa „Tsinelas“ (Flip-Flops auf Tagalog) sind Teil der mütterlichen Wurzeln. Der „Hela-Gürtel“ (Helahoito) gehört zum Vater, er ist Teil der traditionellen Tracht von Süd-Österbotten. Natürlich tragen den Gürtel mit dem Doppelklinge-Messer nur Männer. „Durch und mit den Objekten erkunde ich unterschiedliche Schattierungen und Schichten meiner inneren und äußeren Spannungen.“ „Melee“ bedeutet übrigens „Nahkampf“, das Vokabel „Amalgam“ stammt aus der Chemie und benennt ursprünglich ein Quecksilbergemisch. Mit diesem Nahkampf-Gemisch und den wenigen Objekten gelingt Marika Peura eine eindrucksvolle Verkörperung ihrer Erfahrungen, Ängste und Zweifel als Drittkulturkind.
Mit Amalgam Melee erreicht sie ihr Publikum, doch sie verzichtet am Ende auf Jubel und Applaus. Unbeirrt von der Umgebung setzt sie fort, womit sie begonnen hat: Sie umrundet das Bühnenviereck, das finnische Messer ist dabei, sie zieht es an der Kette hinter sich her. Doch etwas hat sich verändert: Das Messer ist jetzt ihr Eigentum, sie kann sich wehren, wenn es sein muss. Westlichem Rassismus und weißem Machtgehabe ist sie nicht mehr hilflos ausgeliefert.
Nach Matteo Haitzmann zeigt auch Marika Peura mehr als eine Idee. Sie zeigt ein dramaturgisch ausgearbeitetes Konzept und spricht mit ihrem Körper eine deutliche, verständliche Sprache. Die expressiven Bilder dieser außergewöhnlichen, persönlich authentischen Performance werden nicht so bald vergessen sein. Das bedächtige, stille Verlassen des Saales durch das Publikum muss ihr Dank genug sein.
Marika Peura: Amalgam Melee, ImPulsTanz – [8:tension], 272., 28., 29. Juli 2025, Wuk.
Choreografie, Konzept, Performance und Dramaturgie: Marika Peura
Sound: Tiikka Drama; Licht: Luca Sirviö; Raumgestaltung: Una Auri; Kostüme: Helmi Hagelin; Dramaturgie: Caroline Suinner und Edgar Gonzalez; Produktion: Kaisa Nieminen und Marika Peura
Fotos: Haliz Yosef
[8:tension] wird vom Duo Chris Haring / Breanna O’Mara kuratiert.