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Mei Hong Lin / Tanzlin.z: „Liebesbriefe“

"Liebesbriefe" in zehn Szenen von Mei Hong Lin.

Liebesbriefe“ an ihr Publikum, an die Welt, an die Zukunft, senden die Choreografin und Direktorin von Tanzlin.z und ihre Compagnie in Zeiten der Pandemie. Entstanden ist ein großartiger Tanzabend, authentisch und abwechslungsreich, eigens für den Video-Stream choreografiert, geprobt, professionell gefilmt und geschnitten. Die Bühnenpremiere war für den 6. März 2021 geplant, die Umstände waren dagegen. Tanzlin.z hat reagiert, einen Tag vor der geplanten Uraufführung hat Jonatan Salgado Romero einen Film gedreht, der als Netzpremiere am 13. März gezeigt worden ist. Bis 10.4. ist die Aufführung auf der Website des Landestheaters abrufbar.

Mei Hong Lin und den Tänzer*innen gelingt es mühelos, ihre Gefühle spürbar zu machen und mich als Zuschauerin mitzureißen in den Strom der Emotionen, die nicht nur Tänzer*innen in Zeiten wie diesen beuteln.
Yu-Teng Huang tanzt, geschmeidig und athletisch, sein Solo gegen die Umweltverschmutzung.Gemeinsam mit dem Ensemble hat Choreografin Mei Hong Lin kurze, einprägsame Szenen erarbeitet, tanzend und spielend legen zwölf Tänzer*innen dem Publikum Herz und Seele zu Füßen. In einer kurzen Einleitung sagt Mei Hong Lin, was sie und ihr Team seit einem Jahr bewegt: „Ängste, Sehnsüchte, Einsamkeit und Hoffnung“, diese Gefühle will sie in ihrer Choreografie „Liebesbriefe“ zum Ausdruck bringen. In 70 anregenden Minuten ist das eindrucksvoll und auch unterhaltsam gelungen.
Was den Abend so bewegt und mitreißend macht, ist die, bewusst oder unbewusst eingesetzte, Dichotomie. Blaues Licht lässt die Bühne düster erscheinen, während komische Figuren aus der Commedia dell’Arte ihre traurigen Späße treiben und mit Pestmasken zu Horrorfiguren werden; die Musik, eine Collage zeitgenössischer Werke, klingt fröhlich, doch getanzt wird Ohnmacht und Einsamkeit; immer wieder schimmert Humor durch, etwa wenn die Tänzer in der Szene, die vom Onlinedasein fern des Publikums erzählt, in riesigen Smartphones über die Bühne rudern oder im Zirkus auf Klopapierrollen gezielt wird. Kayla May Corbin und Pedro Tayette führen in die Natur, sind selbst Natur.
Vielfältig ist auch das Bewegungsvokabular, getanzt wird in Trikots und zauberhaften Kostümen, barfuß und mit Schuhwerk; Zirkusakrobatik (herausragend: Shao-Yang Hsieh, der mit und in einem Reifen tanzt) wechselt mit eindringlichen tänzerischen Solos, Pantomime und Groteske erzeugen ein Wechselbad der Gefühle. Die Themen, die in den zehn Szenen angerissen werden, sieht Lin als „Botschaft an ihre Mitmenschen in Zeiten der Krise“ (Programmheft). Vom Eingesperrtsein über das Abstandhalten und das Maskieren bis zur Freude an der Natur und der Verantwortung für die Umwelt reicht die Vielfalt der Assoziationen, die die Tänzer*innen in den „Liebesbriefen“ visualisierten. Plastische und schöne Bilder bleiben im Gedächtnis und regen zu weiterem Nachdenken an. Immer wieder leuchtet eine Botschaft durch: Wir stützen uns gegenseitig, wir geben nicht auf.
 Safira Santana Sacramento zeigt mit Rie Akiyama und Pedro Tayette die grotesken Blüten der Pandemie-Regeln. Zum Ende tanzt die Blumenfee (Kayla May Corbin) ein Solo. Leere Silhouetten stehen rund um die Bühne, weitere Naturgeister lösen sich daraus, werden zur Gemeinschaft. Vom Plafond hängt ein Gebilde aus Müllsäcken und Plastikflaschen als Erinnerung, dass es nicht nur den Kampf gegen das Virus gibt, sondern auch die Sorge um die Umwelt, um die Erhaltung der Natur und des gesamten Planeten, auf dem wir leben wollen. Dieses Ende ist nicht bedrohlich, mit ihrem Tanz löscht Kayla May Corbin die Traurigkeit aus, zeigt, die Schönheit der Natur, die trösten kann und auch Hoffnung spendet. Der Mensch ist von der Natur abhängig, sie "untertan zu machen", wie es im AT geschrieben steht, heißt, genau übersetzt, sie zu fördern und zu pflegen, weil wir ohne die Früchte der Erde, ohne Luft und Wasser, saubere Luft und sauberes Wasser, nicht überleben werden. In diesen "Liebesbriefen" sind Botschaften und Mahnung und, abgesehen von der gesellschaftlichen Relevanz, auch hervorragende Körperbeherrschung und ausdrucksvoller Tanz enthalten. Als schöner Schmetterling warnt Yu-Teng Huang vor dem Unrat, den die Menschen täglich hinterlassen.
Die Professionalität und Kreativität aller Mitwirkenden zeigen, dass auch ein im Netz gestreamtes Tanzstück, ohne direkten Kontakt zwischen Publikum und Ausübenden, mitreißend und eindrucksvoll sein kann. Werden die geänderten Bedingungen einer Online-Aufführung beachtet, sind Tänzerinnen und Tänzer mit Leib und Seele und all ihrer Energie auf der Bühne, kann sehr wohl ein Band zwischen ihnen und den Zuschauer*innen entstehen. In dieser Aufführung war die produktive Zusammenarbeit zwischen Choreografin und Ensemble, Dramaturgie, Bühnenbild, Licht und Kamera (inklusive Schnitt) hautnah zu spüren.

Tanzlin.z: „Liebesbriefe“. Choreografie und Inszenierung: Mei Hong Lin.
Musik: Collage aus Werken von Eleni Karaindrou, Kolsimcha, Kronos Quartet, Heitor Villa-Lobos und anderen.
Bühne und Kostüme: Dirk Hofacker, Licht: Johann Hofbauer, Dramaturgie: Roma Janus. Kamera: Jonatan Salgado Romero.
Tanz: Rie Akiyama, Kayla May Corbin, Mireia González Fernández, Shao-Yang Hsieh, Yu-Teng Huang, Pavel Povraznik, Lorenzo Ruta, Safira Santana Sacramento, Nicole Stroh, Pedro Tayette, Evi van Wieren, Shang-Jen Yuan, Shao-Yang Hsieh (Wheel-performance).
Online-Premiere: 13. März 2021, Landestheater Linz, Netzbühne.
Mitschnitt der Generalprobe am 5. März 2021 im Schauspielhaus Linz. Kamera: Jonatan Salgado Romero, Constantin Georgescu. Ton: Christian Börner. Postproduktion: Jonatan Salgado Romero
Abrufbar bis 10. April 2021.
Bilder: © Vincenzo Laera.