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Wiener Festwochen 2019 – 10.Mai – 16.Juni

Ula Sickle: "Relay / Staffette" mit Fahne in der Donaustadt. © Ula Sickle

Mit 45 Produktionen mit 430 Künstler*innen aus 19 Ländern, davon 10 Uraufführungen, füllt der neue Intendant der Wiener Festwochen Christophe Slagmuylder die neun Festwochen von 11.Mai bis 16. Juni. Er hat es leicht und schwer zugleich gehabt. Leicht, weil es nach Thomas Kierhofer-Zin, der nach nur zwei Spielzeiten das Intendanten-Handtuch geworfen hat, keine große Kunst ist, ein sinnvolles Programm zu präsentieren. Schwer aber, weil Slagmuylder nur ein knappes Jahr gehabt hat, um seine Visionen zu verwirklichen. Bei der Programmvorstellung im Studio Molière  am 14. Februar wirkte er dennoch frisch und ausgeschlafen.

Ausgesprochen wird der Name des Belgiers „Slachmölder“, dass der 52-jährige keine „Notlösung“ ist, beweist sein Vertrag, der ihn bis 2024 in Wien halten soll. In  der lebenden Bilbiothek von Mette Edvardsen. © Document Photography Sydney BiennaleWie intensiv er sich bereits mit der Stadt beschäftigt hat, zeigt das Eröffnungswochenende, währenddessen im 22. Bezirk eine Reihe von künstlerischen Projekten stattfinden wird, die für bestimmte Orte in der Donaustadt gemeinsam mit den Bewohner*innen entwickelt werden sollen.

Das Gesamtprogramm ist gut durchmischt von Theateraufführungen, Performances, Tanz, Musik und bildende Kunst mit „einer Ausdehnung ins Filmische“. „Die Festwochen“, so steht's geschrieben, „widmen sich künstlerischem Schaffen, das heute, in unserer Zeit, in dieser Welt entsteht. Während die Festwochen ein Festival über die und in der Gegenwart sind, greift ihr Programm auf die Vergangenheit zurück und nimmt die Zukunft vorweg.“ (Pressetext)

Der Schwerpunkt liegt bei europäischen Künstlern, doch kommen, etwa mit Robert Wilson, dem japanischen Regisseur Toshiki Okada, dem argentinischen Theater- und Filmregisseur Frederico León oder dem libanesischen Performancekünstler, Regisseur und Autor Rabih Mroué, auch außereuropäische Gäste zu Wort. Noch mal Mette Edvardsen: "Penelope schläft" (und singt, webt aber nicht). © lben Edvardsen Besonderes Augenmerk schenken die Festwochen „aufstrebenden Künstler*innen“, die noch keinen Namen in Wien oder auch international haben. Genannt seien die vier jungen Kunstschaffenden aus dem Iran und Thailand dennoch: Keeyvan Sarreshteh und Wichaya Artamat; Azade Shahmiri und Sorour Darabi. Sie alle treten im Theater Nestroyhof Hamakom auf. Im Museumsquartier zeigt die noch wenig bekannte portugiesische Künstlerin Mónica Calle ihr performatives Theaterstück „Ensaio para uma Cartografia – Versuch einer Kartografie“ erstmals außerhalb Portugals.

Fast eine Residenz beziehen Markus Öhrn, bildender Künstler aus Schweden, und die norwegische Tänzerin / Choreografin Mette Edvardsen. Öhrn schenkt dem Publikum eine der zehn Festwochen-Uraufführungen: „3 Episodes of Life“, eine Mischung aus Performance Stummfilm + Live Musik, werden in drei aufeinander folgende Abende geteilt, an einem vierten werden alle drei Episoden #Me too an einem Nachmittag im Studio Molière gezeigt. Markus Öhrn: "Bergman in Uganda". © Markus ÖhrnVon Öhrn ist auch die Vorstellung „Bergman in Uganda“, die sich auf eine in Uganda entstandene Art des Geschichtenerzählens bezieht, die an die Stummfilmzeit erinnert. Doch wird nicht die Musik live zum Leinwandgeschehen gespielt, sondern ein Erzähler übersetzt den Film live dem lokalen Publikum. Öhrn hatte die Idee, in Uganda Ingmar Bergmans Film „Persona“ vorzuführen und live übersetzen zu lassen. Das Wiener Publikum sitzt in den Gösserhallen zwischen zwei Leinwänden und sieht den Film auf der einen, den lokalen Erzähler auf der anderen und erfährt so, wie ein europäischer Film aus dem Jahr 1996 in einer anderen Kultur rezipiert und interpretiert wird. 

Mette Edvardsen zeigt zum einen ihr bereits renommiertes 2010 im flandrischen Leuven uraufgeführte Arbeit mit dem poetischen Titel „Time has fallen asleep in the afternoon sunshine“ („Die Zeit ist im Nachmittagssonnenschein eingeschlafen“, klingt leider nicht so träumerisch). Die teilnehmenden Künstler*innen haben ein Buch auswendig gelernt und werden so zur lebendigen Bibliothek. Inspiriert ist Edvardsen von Ray Bradbury und dessen Roman „Fahrenheit 4Wildes Treiben der "Bacantes" von und mit Marlene Monteira Freitas. © Laurent Philippe51“, der von François Truffaut 1966 verfilmt worden ist. Bücher, die wir im Kopf haben können nicht verbrannt werden. Zum anderen zeigt Edvardsen mit musikalischer Unterstützung von Matteo Fargion eine Performance, in der sie eine heutige, gar nicht mehr geduldig wartende Penelope darstellt. Außerdem gibt es ein Gespräch von Mette Edvardsen mit der Autorin Barbi Marković zu hören, und auf der Schiene „Festwochen in der City“ können (werden?) Wienerinnen aus dem Buch ihres Lebens erzählen. Dazu gibt es eine Reihe von moderierten Lesekreisen.

Romeo Castellucci: "La vita nuova" in den Gösserhallen. ©  Stephan GlaglaUnd zum Abschluss noch schnell eine Auswahl von Namen, die kaum bei einem Festival fehlen: Anne Teresa De Keersmaeker mit Tanz zu J. S. Bachs Sechs Brandenburgischen Konzerten; Romeo Castellucci / Societa mit seinem jüngsten Stück „La vita nuova“ und der 2015 bei der Art Basel 2015 uraufgeführten Performance „Le Metope del Partenone / Das Parthenon Fries“), eine Metaphorik des Schicksals. Castellucci schont das Publikum ebenso wenig, wie es vom Leben geschont wird. Marlene Monteiro Freitas, ebenfalls eine gute Bekannte der Festivalbesucher*innen, tanzt inmitten ihrer Gruppe als rasende Bacchantin. „Bacantes – Prelúdio para uma Purga / Bakchen – Vorspiel zu einer Reinigung“ führt das Publikum in dionysische Gefilde und den alten Griechen Euripides höchstwahrscheinlich ins Delirium. François Chaignaud: "Harmoniæ Cælestium" aus dem Liederbuch der Hildegard von Bingen. © Detail aus dem Codex latinus, um1230. © gemeinfreiApollinische Klarheit vermittelt François Chaignaud, wenn er, begleitet von der Musikerin Marie-Pierre Brébant, die geistlichen Lieder der Hildegard von Bingen: „Symphonia Harmoniæ Cælestium Revelationum / Symphonie der Harmonie der himmlischen Erscheinungen“ tanzt und singt. Chaignaud will nicht aufhören, seine Stimme in himmlische Sphären steigen zu lassen, das Publikum kann nicht aufhören, zuzuhören, auch wenn die Himmelsmusik vier bis fünf Stunden dauern wird. Die Frage ist dann: „Wie kommen wir wieder auf die schnöde Welt herunter?“.
Günstigstenfalls bei der jährlichen Qual des Durchlesens des umfangreichen Programmbuchs und des Auswählens aus der Fülle. Überlegtes Setzen von Prioritäten ist verlangt und auch die Entscheidung, ob man der Neugierde nachgibt und das Risiko vorzieht, oder es sich leicht macht und Bekanntem, auch Geliebten, vertraut.

Markus Öhrn: "3 Episodes of Life". © Markus ÖhrnDer Onlineverkauf von Eintrittskarten für die 27 Spielorte hat jedenfalls bereits begonnen. Alles was es sonst zu wissen gilt samt den Festwochen-Extras, den – Workshops, Partys und –ganz neu – wann und wo die Bars geöffnet haben: https://www.festwochen.at/programm/spielplan/

Nichts Neues unter der Sonne. Aus dem Pressetext: „Beat House Donaustadt ist das erste künstlerische Projekt der diesjährigen Festwochen. Zu Beginn des Festivals öffnen die Bewohner*innen eines Donaustädter Gemeindebaus ihre Fenster, lassen ihre individuellen Rhythmen erklingen und sich zu einem kollektiven Sound vereinen. Diese einmalig stattfindende Performance von Anna Witt entsteht in Zusammenarbeit mit den Mieter*innen des Alfred-Klinkan-Hof als ein pulsierender Ausdruck von Zusammenleben und Formen von Empathie.
Dazu fällt mir die erste Linzer Klangwolke (© Hannes Leopoldseder) ein. Am 18. September 1979 um Punkt 20 Uhr wurde sie mit Anton Bruckners achter Sinfonie ins Leben gerufen. Dazu stellten die Linzer*innen ihre Radios ins Fenster und ließen Bruckner durch die Stadt klingen. Empathie wurde nicht verordnet, doch die Klangwolke schwebt auch heuer wieder über Linz, tönend und in Farben leuchtend.

Wiener Festwochen 2019, 10. Mai bis 16. Juni 2019. Künstlerische Leitung: Christophe Slagmuylder (Intendant); Künstlerische Referentin des Intendanten: Margit Moisl.
Wiener Festwochen GesmbH, Lehárgasse 11/1/6, 1060 Wien.
Telefon: +43 1 589 22 22; E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein./