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Ballett: Frisch-fröhlich flattert die Fledermaus

Die Kellner Kristián Pokorny, Geraud Wielick, Gaspare LiMandri.

Der Ehemann, die Ehefrau und der Hausfreund. Mit diesen drei Personen hat der französische Choreograf Roland Petit seine „operette dansée“ zur Musik von Johann Strauß konstruiert. Das Ballett Die Fledermaus / La Chauve-souris ist seine Version der gleich benannten Operette“ von Johann Strauß und nahezu ebenso erfolgreich. Seit 2009 im Repertoire des Wiener Staatsballetts, tanzt die französische Fledermaus wieder auf der Bühne der Staatsoper. 

Davide Dato, außer Rand und Band, als gemscheidiger Ulrich.Mehr als 15 Jahre nach der Wiener Premiere der Petitschen Choreografie ist der Tänzer Luigi Bonino wieder in Wien, um die operette dansée wieder einzustudieren. Wie damals tanz Olga Esina die Rolle der Bella, die mit der hohen Kunst der Verführung als schöne Unbekannte ihren Mann, Johann, zurückgewinnt. Nur für Esina und die Corps-Tänzerinnen Laura Nistor, Trevor Hayden und Igor Milos sind die Rollen nicht neu. Alle anderen debütieren in ihren Rollen. Auch Publikumsliebling Davide Dato. Als die Choreografie 2011 zuletzt gezeigt worden ist, war der Erste Solist eben erst zum Halbsolisten ernannt worden und durfte den Oberkellner tanzen. Die maskierte Bella wird von ihremEhemann nicht erkannt. /(Olga Esina, Timoor Afshar)Nun aber brilliert er als der weise Hausfreund, Ulrich, der mit dem Ehepaar und sämtlichen Kindern am Esstisch sitzt und Bella unterrichtet, wie sie ihren Johann zurückgewinnen kann. Den Ulrich der Uraufführung hat der Tänzer in Roland Petits Ballet de Marseille Luigi Bonino, getanzt. Choreograf Petit (1925–2011) hat diese schwierig zu tanzende Rolle für Bonino, der in aller Welt für die Einstudierung von Petits reichhaltigem Werk verantwortlich ist, geschaffen. Davide Dato hat dennoch alle Freiheiten, die er sowohl technisch als auch darstellerisch nützt. Nicht nur ihm ist anzumerken, dass das Wiener Staatsballett die Freude am Tanz zurückgewonnen hat und die lebendige Gestaltung der Personen – Haupt- wie Nebenfiguren – durch den Choreografen gibt diesmal Gelegenheit dies auch deutlich zu zeigen.
Petits Tanzsprache basiert zwar auf dem klassischen Vokabular, doch ging er seine eigenen Wege, passte den Tanz, dem Rollencharakter an. Für die Fledermaus-Choreografie hat er auch seinen Humor sprühen lassen. So hat Johann tatsächlich Flügel, mittels derer er das Ehebett verlässt, um zu seinen nächtlichen Abenteuern zu flattern. Doch der schlaue Ulrich gibt Bella die Schere in die Hand, damit der ihm die Flügel gestutzt werden. Die Pantoffel, die er am Ende anziehen muss, bringt Olga ihm selbst. Keineswegs demütig.  
Mich erinnert Petits Choreografie, die neben Walzer, Csardas und Cancan auch amüsant Alltagsszenen enthält, an das Libretto von Hugo von Hofmannsthal für die Oper „Der Rosenkavalier“ von Richard Strauss. Hofmannsthal hat ein Wienerisch erfunden, das wie echtes Wienerisch klingt, und es doch nicht ist. So ist Petits Ballettsprache, die untertänig schleichenden Kellner, der windige Ulrich, der gern die leere Bettseite neben Bella besetzen würde, der verlogene Erotomane Johann: Alle sind sie typisch wienerisch, so „typisch“ wie man sich Wien vorstellt. Auf gut gemachte Fakes fallen auch die Betroffen selbst hinein.
Dass Timoor Afshar, der in der Saison 2023/ 24 vom Stuttgarter Ballett ins Wiener Staatsballett gewechselt und seit September Erster Solotänzer ist, noch eine Weile braucht, um den narzisstischen Johann so weich und schmiegsam und auch ein wenig schmierig zu tanzen, wie der Typisch-Fake erwartet wird, ist logisch. Wien und den Walzer zu verstehen, braucht Zeit und Zuneigung. Als Partner ist Afshar ein Gewinn, schon in John Neumeiers Ballett Die Kameliendame war zu sehen, wie wunderbar eer mit Olga Esina harmoniert.
Im Orchestergraben wechselt Luciano Di Martino vom 3/4–- in den 2/4-Takt, lässt das Corps drehen und springen. Der australische Filmkomponist und Dirigent Douglas Gamley (1924–1998) hätte auch einen intensiven Wienaufenthalt benötigt, bevor er die Strauss-Melodien von Johann, Vater wie Sohn und Bruder Josef, doch vor allem aus der Operette von der Fledermaus zusammengemischt und neu arrangiert hat. Mit den Polkamelodien kam er jedenfalls besser zurecht als mit dem Wiener Walzer.
Viel Applaus wurde in der ersten Vorstellung der neuen Serie am 18.11. nicht nur dem Trio der Ersten Solotänzerinnen gespendet. Auch Géraud Wielick als Kellner, seine Kollegen Gaspare LiMandri und Kristián Pkorny wurden beklatscht wie der Csárdás-Solist Alessandor CavalloAlessandor Cavallo oder die Cancan- und Csárdás-Damen.
Es mag ja Ballettfreunde geben, die mehr Politik, mehr Probleme , mehr Heute auf der Bühne sehen wollen. Ich meine, auch die – diese – Fledermaus ist heutig genug. Männer haben sich anno 1979, dem Uraufführungsjahr der „operette dansée“  beziehungsweise 1874, dem Geburtsjahr der Strauß-Operette, die ursprünglich Die Rache der Fledermaus hätte heißen sollen. Und was die Probleme betrifft, so muss man nur Ohren und Augen aufsperren, um die feine Ironie und das Brodeln im Vulkan wahrzunehmen. Ein Hauch davon war auch Arrangeur Gamley klar. Die Melodie des Liedes aus der Fledermaus „Glücklich ist, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist“, klingt als Refrain aus dem Orchestergraben. Da darf sich jeder seinen Teil denken. Doch darf es nicht verboten sein, sich zu unterhalten und einen Abend bestens gelaunt zu beenden.
Anmerkung: Die Johann.Strauss-Festjahr2025 GmbH, ein Unternehmen der Wien Holding, schreibt den Namen des Walzerkönigs mit -ss. Die Wiener Staatsoper schreibt die Familie mit -ß. Auch das ist Wien, man kann sich nicht einigen wie die Namen der Familie, deren bekanntester Spross König genannt und vergoldet im Stadtpark aufgestellt ist, einheitlich geschrieben werden. 

Die Fledermaus, Ballett von Roland Petit in zwei Akten.
Musik: Johann Strauß Sohn mit zusätzlichem Material, arrangiert und orchestriert von Douglas Gamley; musikalische Leitung: Luciano Di Martino
Bühne: Jena-Michel Wilmotte; Kostüme: Luisa Spinatelli; Leitung Einstudierung: Luigi Bonino, Einstudierung: Gillian Whittingham
In den Hauptrollen: Olga Esina, Timoor Afshar, Davide Dato.
Wiener Staatsballett, Staatsopernorchester in der Staatsoper. 26. Aufführung, 18. November 2025; 7 weitere Termine: 21., 27., 28., November, 8., 8., 13. Dezember 2025.
Fotos: © Ashley Taylor