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Eingeschlossen im Luxushotel

Ein Engländer in Mailand: Tim Parks Foto: © Tim Gutteridge

Der britische Autor Tim Parks erzählt in Hotel Milano von Frank Marriot, einem ehemaligen anerkannten Journalisten, der während der Pandemie in einem Mailänder Luxushotel festsitzt. Wie in nahezu allen seiner Romane beschäftigt sich Parks mit dem Leben und spricht vom Tod. Ohne Fehl und Tadel, witzig und ernst, melancholisch komisch oft voll Ironie, doch immer überaus klug und welterfahren. Tim Parks muss man gelesen haben und immer wieder lesen.

Natürlich ist dieser Frank Marriot ein Alter Ego des Autors. Ein müder Journalist, nur wenig älter als Parks selbst, der das Leben eigentlich schon aufgegeben hat.

Mir war, vermutlich in den Nullerjahren, klar geworden, dass mein Beruf langsam toxisch wurde. Vielleicht war es einst möglich gewesen, Fakten und sogar wohldurchdachte Meinungen ohne eine bestimmte Agenda zu übermitteln. Aber so war es nicht mehr.

Noch ist die Hotelbar offen, Frank gönnt sich einen Schluck. Im Bild: Die Bar des Grand Ambasciatori.Seinen Beruf als scharfzüngiger Kommentator hat er aufgegeben, von Freunden, Freundinnen und der Familie hat er sich zurückgezogen und verzichtet auch auf Nachrichten und Neuigkeiten. Durch einen nächtlichen Anruf wird er abrupt aus seiner Londoner Einsiedelei gerissen. Sein alter Freund und Chef Chefredakteur Dan Sandow ist in New York gestorben. Er möchte in Italien, neben einer früheren Geliebten, begraben werden und wünscht sich Franks Anwesenheit. Wider Willen sagt Frank zu, nach Mailand zu fliegen und vermutet, dass er hofft, an Dans Grab seine geschiedene Frau Connie wieder zu sehen. Sie war nämlich auch eine der Geliebten des nun verstorben Dan. Um Donnie, als nicht wirklich relevant, gleich zu eliminieren: Sie kommt nicht.

Die Medien leben von dem, was sie anprangern.

Weil er keine Nachrichten hört, keine Zeitungen liest, weiß Frank nichts von der drohenden Pandemie und fliegt, obwohl ihn sein Sohn warnt und an den bevorstehenden Geburtstag des Enkels erinnert, voll Neugierde nach Mailand und mietet sich im Grand Hotel Milano direkt neben dem Bahnhof ein, fünf Sterne. Die teuerste Hotelbuchung seines Lebens. Noch registriert er nicht, dass er im Gefängnis sitzt. Ausgangssperre, Lockdown, gecancelte Flüge, Corona hat Mailand voll im Griff. Alfred Tennyson, 1. Baron Tennyson. Einen der Gedichtbände hat Frank im Reisegepäck. © WikipediaFrank braucht lange, um zu begreifen, was los ist, er nützt die Zeit im Zimmer, um im Gedichtband von Alfred Tennyson zu blättern und über das Leben nachzudenken. Schlafen kann er nur schlecht, denn über ihm ertönt ein Poltern und Klopfen.
Er genügend Zeit, nur die Mahlzeiten nterbrechen daas öde einerlei. Daher geht Frank nach dem Besuch im Speisesaal nicht in sein Zimmer, steigt die Stufen hinauf, um nach der Ursache des Lärms zu forschen. Er entdeckt eine Einwandererfamilie, die wegen der Infektionsgefahr aus der Wohnung vertrieben worden ist. Ein kleiner Bub mit Katze, die Mutter und der kranke Schwiegervater haben sich im Dachboden des Hotels, in dem sie früher gearbeitet hat, einquartiert. Ohne Wasser und Nahrung. Die Mutter telefoniert manchmal, Frank denkt, mit dem vor dem Hotel stehenden Ehemann.
Frank bekämpft die anfängliche Panik, die Angst vor der Ansteckung verdrängt die Frage, ob er, wie es befohlen ist, den kranken Mann melden soll und beschließt, der Familie zu helfen. Stazione Milano Centrale, der Bahnhof, in dessen Nähe das Hotel Milano liegt. © LizenzfreiEr unterdrückt die Angst vor der Ansteckung und seine eigene Gebrechlichkeit, öffnet sein Zimmer samt der Dusche, füttert die Katze, schleicht sich aus dem Hotel, um Lebensmittel und Medikamente für den kranken alten Mann zu besorgen. Die aktuelle Lage beginnt die Vergangenheit zu überdecken. Frank lebt im Hier und Jetzt, verliebt sich in eine Mitgefangene und negiert seine eigene Gebrechlichkeit. Freiwillig hat er die Verantwortung für die fremde Familie übernommen und arbeitet am Ziel, die drei Menschen samt Katze aus dem Hotel zu schmuggeln, damit sie mit dem Vater vereint werden können. Nach dem Begräbnis von Dan vergleicht eine Kollegin die Welt mit einem Kaleidoskop: Buchcover_Hotel Milano. © Verlag Antje Kunstmann  „Einmal schütteln und alles ist anders.“ Für Frank, der meint mit dem Leben längst abgeschlossen zu haben, er geht auf den 80-er zu, ist das Kaleidoskop gewaltig geschüttelt worden.
Tim Parks, 1954 in Manchester geboren, lebt in Mailand und mischt in seinen Romanen Melancholie mit sprühender Ironie. Getröstet kann man seine Romane zuklappen und auf den nächsten warten.

Tim Parks: Hotel Milano, aus dem Englischen von Ulrike Becker. Antje Kunstmann, 2023. 238 Seiten, € 24,70