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Heinrich Steinfest: „Der Chauffeur“, Roman

Autor Heinrich Steinfest. © Burkhard Riegels / Piper

Heinrich Steinfest, im April wird er 60, ist ein für seine schrägen, fantasie- und humorvollen Romane, vor allem Kriminalromane, hochgelobter, vielfach ausgezeichneter Schriftsteller. In seinem jüngsten, „Der Chauffeur“, erzählt er die Lebens- und Liebesgeschichten eines Chauffeurs, der keiner mehr sein will, und dabei zahlreiche Um- und Irrwege geht, bis er endlich ans Ziel gelangt. Die skurrilen Ideen des Autors und seine ausfühlrichen Beschreibungen werden im Leuf des Lebens immer mehr zur Plage.

Ein Brand im Tunnel nach einer mehrfachen Karambolage füllt den Beginn des Romans. © fireworld.atManche der Steinfest- Romane machen auch mir Freude, sind komisch und für einen Literatur gewohnten Magen ganz gut verdaulich. Doch mit „Der Chauffeur“ kann ich wenig anfangen. Der Autor verlässt dauernd den direkten Pfad der Geschichte rund um Paul Klee, um zu erklären und zu belehren, um alles herauszusprudeln, was er gerade im Kopf hat. Das ermüdet. Und so lustig ist diese Namensgleichheit mit dem verstorbenen Schweizer Maler auch wieder nicht. Der Romanheld, der wahrlich kein Held ist, muss halt die gerunzelten Stirnen und bohrenden Fragen der Bildungsbürger und -innen ertragen.

Am Begin steht eine Karambolage in einem Tunnel, die sich zu einem Brand ausweitet. Klee, der Chauffeur eines unangenehmen Politikers, steckt schuldlos mitten drin und reagiert instinktgemäß. Er zerrt seinen Chef aus dem Auto. Daneben verbrennt ein Bub samt den Erwachsenen. Diese Fehlhandlung verzeiht sich Klee nie. Er will nicht mehr Chauffeur sein, sondern Chef eines kleinen Hotels. Er verliebt sich in die Maklerin, die mit ihm das kleine Hotel in Baden-Württemberg betreibt. Das ist bald überaus erfolgreich, denn der Ex-Chauffeur hat strenge Regeln: Keine Cocktails in der Bar, die Riff genannt ist und sich durch ein großes Aquarium in der Rückwand auszeichnet: Am Waldrand wird das Hotel "Kleine Nacht" stehen. ©  titania fotocomkein Bufftet zum Frühstück, die exquisite Zusammenstellung des Angebots wird an den Tisch serviert. Gerne erklärt er, der Ex-Chauffeur und Neo-Hotelier, warum er diese oder jene Whisky-Sorte bevorzugt, nur in Ausnahmefällen Sodawasser gestattet und den japanischen Sake bevorzugt, auch wenn in Japan neuerdings Bier dem Reisbrand der Vorzug gegeben wird. Seine Gefährtin, Inoue, ist zwar keine Japanerin, doch in Japan bei Pflegeeltern aufgewachsen. Verständlich also sein Angebot an den teuersten Sake-Marken. Ein Chauffeur? Er philosophiert ja auch und macht sich über den Zustand der Welt Gedanken.

Der Chauffeur: Morgan Freeman im Film "Miss Daisy und ihr Chauffeur". © HighlightDiese ändert sich, entwickelt sich sogar zurück, als die überaus kreativen Zwillinge der getrennt von deren Vater lebenden Inoue, im Wald hinter den Hotel die Landung von des russischen Raumschiffs Sputnik 2 beobachten, und der erste lebendige Passagier, die Hündin Laika, fröhlich herausspringt. Sputnik 2 ist samt Laika 1957 gestartet, da hat Autor Steinfest das Licht der Welt noch gar nicht gesehen. Von da an, der neuerlichen Landung Sputniks und Laikas, entwickelt sich die Welt zurück, die Lebenserwartung geht ebenso zurück wie das Längenwachstum der Menschen, vielleicht werden sie demnächst zu Affen, ihre Behaarung nimmt bereits zu. Diesen Erzählstrang verlässt Steinfest allerdings, mehr erfahren wir nicht über die Regression der Spezies. Die Hündin Laika, das erste Lebewesen im All, auf einer rumänischen Biefmarke von1959. © wikipedia/  gemeinfrei

Er macht sich nämlich auf die Suche nach einem Detektiv, der kurz im Hotel namens „Kleine Nacht“ übernachtet hat, um dessen Nachbarin, eine mögliche Mörderin, auszuspionieren und, nachdem er einige offenbar gar nicht kleine Nächte in Passau mit ihr verbracht hat, verschwunden ist. Liebesgeschichte ade, die ist noch etwas offen mit einer Tennistrainerin, Klee lässt das Hotel im Stich und reist den mageren Spuren des Kommissars nach. Inoue hat sich inzwischen für eine kurze Liebesgeschichte mit der Hushaltshilfe und Kinderfrau entschieden und ist mit den Zwillingen und Klara an den Semmering gereist, um dem Medienrummel um die Zwillinge, die der Erdlandung Sputniks beigewohnt haben, zu entgehen. Wie in der „Kleinen Nacht“, wo die Kinder nur ihre Ferien verbringen sollten, liest Klara ihnen weiter zum Einschlafen aus Thomas Manns „Zauberberg“ vor.Meerwasser-Aquarium, wie es Klee in seiner Bar. Riff, einbauen lässt. ©  jblde .deSo wie Klara und Inoue sind auch alle anderen Figuren, die im Lauf von 350 Seiten auftauchen, bis auf die verdächtigte Mörderin natürlich, reine Konstrukte, saubere, anständige, verlässliche und komische Ausnahmeerscheinungen. So wird „Der Chauffeur“, je länger man durchhält und das viele Geschwätz erträgt, zu einer Ansammlung von eindimensionalen Figuren, die mit der Realität kaum in Berührung kommen. Das ist sicher auch nicht Steinfests Absicht.
Nach seinem ersten Leben als Chauffeur und dem zweiten als Hotelier gibt es also ein drittes, als Detektiv und auch ein viertes, als Wald- und Wiesenschratt. Es dauert ziemlich lange, bis er diesen letzten Zustand erreicht. Inoue, Klara, die Zwillinge, Gannet aus Äthiopien, die mit ihrer Mutter seit Klees Wandlung zum Detektiv die „Kleine Nacht“ bestens im Griff hat, alle vergessen, auch die russische Tennislehrerin am Semmering. Das Weserufer bei Schärding, wo Paul Klees drittes Leben beginnt. © wikipedia / free license

So wenig sich Steinfest an die Regeln eines konzisen Romans hält, was natürlich überhaupt kein Fehler ist, so wenig hält er sich mit dem Bau von Sätzen auf. „Sarah Scheer besaß einen sehr hellen Teint.“ Klee besitzt ein Hotel, aber besitzt jemand einen Teint? Egal, wer Sarah Scheer ist, die im Hotel, recte in der kleinen, aber natürlich feinen, ja extravaganten Hotelbibliothek, übernachtet, weiß Klee anfangs trotz Google nicht, deshalb werde ich es auch nicht verraten. Auch nicht, wer der Karl ist, der in Wesenufer im Inntal lebt und sich als genialer Zeichner entpuppt. Heinrich Steinfest: "DerChauffeur", Buchumschlag. © Piper VerlagDass ihn Klee nicht auf direktem Weg kennen lernt, sondern weil er sich verirrt hat, ist logisch, dass Karl ihm seine Lebensgeschichten aufbürdet, oberösterreichische Bauern sind offenbar nicht wortkarg, ist auch zu ertragen, denn es nähert sich das Finale, das schon seit Klees Reise nach Passau zu erwarten war. Ich verlasse diese verquer mit mancher Ungereimtheit ausgestatte Geschichte und auch die so besonderen und einmaligen, doch etwas leblosen Figuren ohne Bedauern.

Heinrich Steinfest: „Der Chauffeur“, Piper, 2020. 368 S., € 22.70