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Bettina Trouwborst: „Martin Schläpfer“, Gespräche

Ballettchef Martin Schläpfer in Düsseldorf. © Gert Weigelt

Der Tänzer und Choreograf ist nach erfolgreichen 10 Jahren als Direktor des Balletts am Rhein dem Ruf nach Wien gefolgt und nun Direktor und Chefchoreograf des Wiener Staatsballetts sowie auch Chef der Ballettakademie, die noch einige Zeit mit dem Schild „Renovierungsarbeiten im Gang“ geschmückt sein wird. In Wien gleicht der neue Direktor eher einem unbekannten Wesen, einstweilen kennt man nur den Namen und das Programm für seine erste Wiener Saison. Wer mehr über den Künstler und auch die Person erfahren will, vertiefe sich in die Gespräche, die Bettina Trouwborst von Juli 2019 bis April 2020 mit Martin Schläpfer geführt hat. „Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben“ bietet mehr als pure Information, ist angenehm zu lesen und eröffnet einen persönlichen Zugang zu Schläpfer, dessen schöne Sätze er in Wien ab September 2020 in die Tat umsetzen kann.

Martin Schläpfer, 32, als Tänzer in New York. © Jack Mitchell ArchivesEs war ein Interview, das Bettina Trouwborst im Frühjahr 2019 mit Martin Schläpfer geführt und etwas abrupt beendet hat, nach dem die Idee für ein Buch geboren worden ist. Schläpfer, damals bereits als Direktor des Wiener Staatsballetts designiert, war enttäuscht über das zu kurze Gespräch. Doch die erfahrene Journalistin wusste um den begrenzten Platz in Tageszeitungen, wo nie alles unterzubringen ist, was es zu erzählen gibt. So hat Truwborst dem Choreografen ein Buchprojekt vorgeschlagen. „Das machen wir“, hat Schläpfer spontan zu gestimmt. Die Arbeit am „biografischen Gesprächsband“ konnte beginnen.Mit dem Meisterchoreografen Hans van Manen im Ballettsaal. © Gert Weigelt

Trouwborst weiß, wie ein Interview zu führen ist, geht auf ihr Gegenüber ein, ist neugierig und einfühlsam, scheut sich nicht, nachzubohren und mögliche Wunden zu berühren. So ist im Lauf der Gespräche – im Buch sind sie in neun, thematisch geraffte Kapitel aufgeteilt – eine freundschaftliche Intimität entstanden, und Schläpfer erzählt auch von seinem Privatleben, von Brüchen und Krisen in seiner Karriere. Schläpfer, 1959 in der Schweizer Kleinstadt Altstätten geboren, spricht langsam und überlegt, er weiß genau, was er sagt. Seine Gesprächspartnerin ist begeistert:

Seine Reaktionen und Antworten sind meist überraschend, inspirierend und von großer Substanz. Nie kommt das Naheliegende, Erwartbare, Stereotype. Dieser Choreograf hat weit über seine Kunst hinaus den Menschen im Blick, die globalen Zusammenhänge von Gesellschaft, Politik und Wirtschaft – und ihre Auswirkungen auf unser Leben. Bei den Proben zu "Petite Messe solennelle", Ballett am Rhein, 2017.  © Gert Weigelt

Schläpfer ist Choreograf und Chef eines Ensembles, das in Wien aus etwa hundert Tänzer*innen besteht, mehr als doppelt so viele wie das Ballett am Rhein – er ist auch ein Seelenfänger und weiß sich darzustellen und kokettiert damit, dass er am Rhein, wo er hymnisch gelobt und allgemein geliebt worden ist, auch als „unbequem, einer der zu viel will“ galt, doch dies sehe er als seine Aufgabe als Ballettchef: „Ich muss immer hinterfragen ohne auszuruhen.“ Zufriedenheit habe er „als privater Mensch zu suchen und zu finden, aber nicht als Künstler.“
Wirklich kennen werden den Menschen Martin Schläpfer nur wenige, für Ballettfans sind die Gespräche über seine Vorstellungen, Ansichten und Methoden, was den Tanz und das Choreografieren und das Führen der Tänzer*innen betrifft, am wichtigsten. Der Tänzer Martin Schläpfer in Hans van Manens "Alltag", Ballett am Rhein 2014. © Gert WeigeltDer Beweis für ihren Gehalt kann in der Staatsoper und der Volksoper ab September überprüft werden.
Der im Henschel Verlag editierte Band ist fest gebunden, hat ein sinnvolles Layout und fühlt sich gut an. Eine schöne Lösung ist für die Illustration gefunden worden. Die Fotos – Schläpfer als junger Tänzer, im Ballettsaal oder zu Hause im Tessin, Szenenfotos von Balletten – sind nicht in den Text eingestreut, sondern in sechs Heften zusammengefasst, sodass man sich mit Muße darin vertiefen kann, auf der letzten Seite ist jeweils die Beschriftung zu finden.
Schläpfer weiß seine Sätze zu bauen und redet, soweit ich das beurteilen kann, druckreif, die Fragen Trouwborsts sind klug und weiterführend, sodass die Lektüre nicht nur eine informative, sondern auch eine besonders angenehme ist. Buchcover. "Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben", Henschel Verlag.Eine Kurzbiografie, ein Werkverzeichnis und eine Auswahl der Rollen als Tänzer von 1978 bis zu seinem letzten Auftritt als Tänzer 2014 in Düsseldorf / Duisburg in "Alltag" von Hans van Manen, ergänzen die Gespräche.
Ein Buch, das Ballettkenner*innen und -verehrer*innen Information und Vergnügen bietet, doch auch allen jenen, die der Tanzkunst nicht gar so nahestehen, hat Martin Schläpfer, zum Reden animiert von Bettina Trouwborst, allerlei zu sagen. Bis zur ersten Schläpfer-Premiere am 24. November 2020 in der Staatsoper mit der Uraufführung von "4“ / Schläpfer, Gustav Mahler und „Live“ / Hans van Manen, Franz Liszt, ist genügend Zeit, sich mit Wiens neuem Ballettdirektor lesend auseinanderzusetzen.

Bettina Trouwborst: „Martin Schläpfer. Mein Tanz, mein Leben“ (Martin Schläpfer im Gespräch mit Bettina Trouwborst). Henschel, 2020. 286 S., 86 Abb., Anhang. € 30,90.
Die Buchpräsentation: 4. September 2020, Wiener Staatsoper Gustav-Mahler-Saal, 19 Uhr.