Zum Hauptinhalt springen

Ein Lama im Burgenland, ein toter Hund in Tirol

Autorin und Schauspielerin Katharina Köller. © Amrei-Marie

Ein Berg beginnt zu tanzen, ein steht in der Küche und Marie flieht aus der Stadt und kraxelt in die Einsamkeit. Drei lesenswerte Romane würde ich gerne unter dem altmodischen Begriff Heimatroman zugleich vorstellen. Doch um die Bücher Nincshof,Der tanzende Berg und Wild wuchern nicht mit dem durch die Nazis angepatzten Begriff zu verunglimpfen, nenne ich sie lieber Landschaftsroman, denn diese, die Steppe am See, die Berge und Wälder nahe und fern von Wien sind der Raum, in dem die Geschichten, ernst, aufwühlend und heiter, spielen.

2 m hohe Buchstaben am Rand eines Neubaugebietes in Wetzgau. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden verstärkt Heimatvertriebene in Rehnenhof-Wetzgau angesiedelt. Rehnenhof-Wetzgau ist ein Stadtteil von Schwäbisch Gmünd in Baden-Württemberg. © gemeinfei / wikipediaEs gibt ihn noch, oder schon wieder, den Heimatroman. Nur heißt er nicht mehr so. Romane werden seit Mitte des 20. Jahrhunderts anders klassifiziert. Es gibt, um nur einige Beispiele zu nennen, Jugendroman und Biografien, Kinderliteratur, Fantasy und Science Fiction, Krimis und neuerdings die sehr beliebte Autofiktion. Heimatromane gibt es nicht mehr, ist doch auch der Begriff „Heimat“ nicht exakt zu definierend. „Heimat“, das bedeutet für jede und jeden etwas anderes, ist jedoch noch immer im Gehirn des Menschen präsent. Hima als Idylle: Peter Roseggers Geburtshaus in der Waldheimat, gemalt von Anton Paul Heilmann um 1910. © gemeinfrei / wikipediaIn der Schweiz existiert noch das „Heimatrecht“, und es wird in manchen Kantonen „Heimatkunde“ (in Österreich bis 1970) Unterricht und die Heimatmuseen erfreuen sich anhaltenden Zuspruchs. Der Autor Bernhard Schlink betrachtet „Heimat“ einem Essay als „Nicht-Ort“: ein Gefühl, eine Hoffnung, eine Sehnsucht, zu erleben vor allem im Exil. (Bernhard Schlink: Heimat als Utopie,  Suhrkamp,2000; 10. Auflage 2020, Broschur 51 Seiten. € 6,20) 
Wie auch immer, die Drei Autorinnen, Johanna Sebauer, Elisabeth R. Hager und Katharina Köller schreiben über Frauen, die sich bewusst in einer bestimmten Landschaft bewegen.
Die Tiroler Autorin Elisabeth R. hager: „Der tazende Berg. © Foto: Annette HauschildDer Begriff „Heimat“ wird nicht erwähnt. Um die Heimat, um ein Heimtag-Gefühl geht es bei Hager und Köller gar nicht, doch der Unterschied zwischen Stadt und Land, zwischen dem den Einheimischen und dem / den Fremden wird, wenn auch in Nebensätzen spürbar. Die Tiroler Schriftstellerin und Klangkünstlerin Elisabeth R. Hager, erzählt in Der tanzende Berg von der Tierpräparatorin Marie, die sich gegen die Enge des Tiroler Dorfes und die Vorherrschaft der Männer wehrt. Erzählt von einem einzigen Tag, in dem aber ein ganzes Frauenleben eingefangen ist, und außerdem viel Interessantes aus der Taxidermie, der Methode mit der vor allem Wirbeltiere präpariert werden. Der soenannte Schwedenschimmel, das Pferd Königs Gustav II. Adolf, das ihm bei der Belagerung Ingolstadts 1632 unter dem Hintern weggeschossen wurde. Der Schwedenschimmel gilt als ältestes erhaltenes Tierpräparat Europas. © gemeinfei  wikipediaSie ist keine Prophetin und geht nicht zum Berg, um sich über Unterdrückung, Ausbeutung und Frauenverachtung zu beklagen, doch sie bringt den Berg zum Tanzen bis einigen Männern die Brocken um die Ohren fliegen. Wenn diese differenzierte und mit Ironie erzählte Geschichte  kein Heimatroman ist, ist das Genre tatsächlich ausgestorben.
Schutzumschlag: „Wild wuchern“  von Katharina Köller. © penguinDieser Vermutung widerspricht auch Katharina Köller in Wild wuchern, einem Roman, in dem Marie von ihrer Flucht aus der Zivilisation und aus einem Leben als „Opfer, Freiwild, Beute“ in die Einsamkeit mitten in der Natur berichtet. Dieses Leben ist aber keineswegs lieblich oder romantisch, es ist von harter Arbeit geprägt. Als einzigen Kontakt hat sie ihre menschenscheue Cousine, die sich schon lange in eine Hütte weitab von den Menschen zurückgezogen hat und ein autarkes und selbstbewusstes Leben führt, wofür nur sie allein verantwortlich ist. Das ist nun doch wieder recht romantisch, aber spannend zu lesen und zum Nachdenken anregend. Die burgenlädnische Autorin Johhanna Seebauer erzählt von ihrer heimt, lebt jedoch in Hamburg. © Amrei-Marie / wikipedia
Nachdenken kann man auch über das Vorhaben der Bewohnerinnen von Nincshof, die sich von der Öffentlichkeit und vor allem dem Wander- und Radfahrtourismus zurückziehen wollen und zu diesem Zweck die Ortsschilder abmontieren. Im Zentrum steht die alte Erna Rohdiebl, die eines Nachts beschließt über den Nachbarzaun zu klettern, um in Abwesenheit der Villenbesitzer in deren Pool zu schwimmen. Bald gibt es eine fröhliche Frauenrunde, die im fremden Garten picknickt und im fremden Pool planscht.
Auf dieses Vergnügen, das mit der Rückkunft der Besitzenden ein Ende hat, folgt bald ein Neues, nämlich die Idee, das aus Wien zugezogene junge Ehepaar zu vertreiben. Vertriebene verlieren die alte  Heimat und finden eine neue. Auf dem Pöstlingberg in Linz ist den Vertgriebenen ein Gedenkstein gewidmet. © gemeinfreie / wikipediaNincshof soll Nincshof bleiben, wie es war, Zuzug aus der Stadt, überhaupt Neues, ist nicht willkommen. Doch Isa und Silvano (Bachgasser / Mazzaroni) wollen bleiben und Silvano kann endlich seinem Hobby, der Pflege einer Lamaherde, frönen. So ein Neuweltkamel landet in Erna Rohdiebls Küche. Es hat sich beim Herdenausflug verirrt und wird nun versteckt, um den Mazzaroni zu ärgern. Schutzumschlag „Nincshof“ von Johanna Sebauer. © DuMontNun kann man sich bereits denken, dass am Ende alles happy ist und die Nincshoferinnen die Fremden als die Ihren akzeptieren, weil sie ohnehin schon einen Sommer lang da sind. Die Autorin, Johanna Sebauer, ist selbst in einem kleinen burgenländischen Dorf nahe der ungarischen Grenze aufgewachsen und es muss nicht erst der Neusiedler See erwähnt werden, um zu erraten, dass auch das fiktive Dorf Nincshof ein ganz und gar burgenländischen Dorf ist. Sebauer selbst ist allerdings nicht im Dorf, mit oder ohne Ortstafeln, geblieben, nach ihrem Studium in Wien, Aarhus und Santiago de Chile, wo sie möglicherweise so manchem Lama begegnet ist, hat sie sich in Hamburg angesiedelt. Vielleicht nahe am Hafen, um jederzeit wieder in die Welt hinauszuziehen.

Johanna Sebauer: Nincshof, 368 Seiten, DuMont Buchverlag, 2023. € 23,70.
2. Auflage 2024, Softcover, € 14,40. E-Book: € 9,99.
Elisabeth R Hager: Der tanzende Berg, 256 Seiten, Klett-Cotta, 2022. € 22,70. E-Book: € 17,99.
Katharina Köller: Wild wuchern, 208 Seiten, Penguin 2025. € 22,70. E-Book: € 12,99