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„Coppélia“ – mit Alice Firenze, Jakob Feyferlik

Alice Firenze als Swanilda.

Nach Natascha Mair und Maria Yakovleva, beide Erste Solotänzerinnen mit Denys Cherevychko als Franz und Nikisha Fogo als Swanilda mit Richard Szabó, war am 10. März ein viertes Debütpaar – Solotänzerin Alice Firenze und der kürzlich zum Ersten Solotänzer ernannte junge Solist Jakob Feyferlik – zu bewundern. Im letzten, aus reinem Tanz bestehenden Akt, hat Adele Fiocchi Aurora, die Morgenröte, zum ersten Mal versucht; im Pas de deux der Nacht mit der Abenddämmerung konnten Eszter Ledán und Alexandru Tcacenco mit ihrem Debut überzeugen. Madison Young war die Neue unter den zehn überaus fröhlichen Freundinnen Swanildas. Erwartungsgemäß ließ sich das Publikum im ausverkauften Haus von der flotten Darbietung begeistern.

Alice Firenze ist eine Swanilda nach meinem Geschmack. Sie weiß, was sie will und findet es wenig lustig, dass ihr Franz, von Feyferlik als eher windiger Geselle getanzt, mit dieser stummen Schönheit am Fenster poussiert. Endlich vereint: Swanilda (Alice Firenze) und Franz (Jakob Feyferlik) heiraten. Alle Bilder: © Wiener Staatsballett / Ashley TaylorDass die nur eine Puppe ist, die nach ihrem Schöpfer, dem Zauberkünstler und Erzeuger mechanischer Figuren Coppélius, Coppélia heißt, doch in der Rekonstruktion durch Pierre Lacotte des Balletts von Arthur Saint-Léon nicht tanzen darf, registriert er nicht. Listig gibt sich Swanilda als Coppélia aus, um Franz zur Raison zu bringen. Sie ist so perfekt, dass auch Meister Coppélius sich täuschen lässt und glaubt, er sei Pygmalion, der seine Skulptur zum Leben erweckt hat.

Alice Firenzes Puuppentanz lässt Coppélius Kurzsichtigkeit leicht verzeihen, sie ist eine perfekte Kopie der mechanischen Puppe und entzückt vor allem in der Szene der Entpuppung, wenn aus der Raupe Coppélia allmählich wieder der Schmetterling Swanilda wird. Im ersten Akt, wenn sie Franz wegen seiner Ausflüge zum Fenster der Puppe recht grob bei den Ohren nimmt, will Firenze kein neckisches Mäderl spielen, sondern zeigt in sicherer Spitzentechnik eine starke Frau, die weiß, wie man Männer zähmt. Harmonie und Lebensfreude strahlen Firenze und Feyferlik im finalen Pas de deux aus, perfekt und anmutig ist auch der Tanz zur Abendstunde von Eszter Ledán und Alexandru Tcacenco. Swanilda mimt Coppélia, Coppélius erkennt den Schiwndel nicht und tanzt mit ihr. (Alice Firenze, Gabor Oberegger).Der begabten Halbsolistin Adele Fiocchi hat offensichtlich das Debütfieber einen Strich durch die Perfektion gemacht, unkonzentriert und diffus wirkte ihr Solo. 

Lorenz C. Aichner, Kapellmeister des Volksopernorchesters, hat sein Ensemble fein akzentuiert, mit Rücksicht auf die Tänzer*innen, geleitet. Die bezaubernden Melodien Léo Delibes erklingen schmeichelweich im Walzertakt, weniger laut im Blech, doch recht energisch, wenn die roten und blauen Stiefel der Damen und Herren den Boden bearbeiten.
Diese in der Volksoper getanzte "Coppélia" hat sich als Publikumsmagnet entpuppt. Die Vorstellungen werden gestürmt. Deshalb sind für Juni zwei Zusatzvorstellungen geplant.

Der Erfolg ist keine Überraschung. Erklären lässt sich der Erfolg auch in diesem Jahrhundert durch den Verzicht auf jegliche Problematisierung, „Coppélia“ dient der Unterhaltung und zeigt neben der Pantomime, die die Handlung erklärt, Tanz um des Tanzes willen.
Wie andere romantische Ballettkreationen, etwa „Giselle“ (Paris 1841, Choreografie: Jules Perrot / Jean Coralli; Musik: Adolphe Adam) ist „Coppélia“ auch oder vor allem eine Hommage an den Tanz. Sogar der alte Coppélius wagt (in der aktuellen Version Pierre Lacottes) ein Tänzchen.
Alice Firenze ist Swanilda und auch die Puppe Coppélia.Bei E. T. A. Hoffmann, aus dessen Schauermärchen „Der Sandmann“ Choreograf Arthur Saint-Léon gemeinsam mit dem Dramaturgen und Übersetzer von Opernlibretti Charles Nuitter (Künstlername des Juristen Charles-Louis-Étienne Truinet) das Libretto extrahiert hat, ist Coppelius eine doppelbödige, unheimliche Figur, Schrecken der Kinder, der die Hauptfigur der Erzählung, Nathaniel, in den Wahnsinn treibt. In der Phantastischen Oper von Jacques Offenbach (uraufgeführt 10 Jahre vor „Coppélia“; Libretto von Jules Barbier nach seinem mit Michel Carré verfassten gleichnamigen Theaterstück von 1851) ist diese finstere Figur gar nicht zu fassen, weil sie immer als ein Anderer erscheint. Im zweiten Akt der Oper (die Puppe mit den Glasaugen heißt wie bei Hoffmann „Olimpia / Olympia“) tritt die dämonische Figur als „Dapertutto“ (überall und nirgends) auf, sammelt menschliche Schatten und Spiegelbilder.
In diesem Sinn ist wohl auch die tanzende Puppe „Coppélia“ eher ein Spiegelbild der anderen Seite Swanildas, die keineswegs ein braves dem Manne untertäniges Weibchen aus dem 19. Jahrhundert ist, sondern eine selbstbewusste junge Frau, Applaus für das schöne Paar (Alice Firenze, Jakob Feyferlik).die ihren Verlobten, Franz, keine Blicke auf andere Frauen durchgehen lässt und ihm seine Verblendung drastisch vor Augen führt. Dabei geht es wohl auch um die sogenannte Liebe, die blind macht und die Perspektiven verschiebt. Bei Hoffmann kauft die Hauptfigur Nathaniel ein „Perspektiv“, ein Fernrohr, mit dessen Hilfe er die Puppe mit den blinkenden Glasaugen als menschliches Wesen sieht.

Kritik am Mensch-Maschine-Verhältnis gab es im 19. Jahrhundert kaum, die Menschen hatten ihre Freude an dem mechanischen Spielzeug. Schon im frühen Mittelalter haben orientalische Erfinder künstliche Singvögel, Raubtiere und Diener gebaut. 1770 hat Wolfgang von Kempelen den „Türken“ vorgestellt, eine Maschine, die angeblich Schach spielen, also selbständig denken konnte. Dieser erste Schachcomputer war allerdings „getürkt“, denn im Inneren der komplizierten Mechanik lenkte ein kleinwüchsiger Schachmeister die Züge. Sogar Maria Theresia und Napoleon haben versucht, gegen den „Türken“ zu gewinnen. Der Schachtürke: Kupferstich von Joseph Friedrich zu Racknitz (1789), der erklärt, wie „der Türke“ von Kempelens funktioniert. © Humboldt Universität, Berlin / wikipedia /  gemeinfrei.Sein Geheimnis wurde offiziell nie gelüftet. Die erste rein elektromechanische Schachmaschine hat der Spanier Leonardo Torres Quevedo 1914 in Paris vorgeführt. Die Furcht, Maschinen könnten einmal die Menschen verdrängen, die heute gern geschürt wird, herrschte vor 100 Jahren noch nicht.

Neue, gesellschaftsfähige Interpretationen benötigt „Coppélia“ nicht, der Tanz steht für sich selbst und braucht sonst nichts. Das Publikum darf den Alltag abstreifen, sich erholen und unterhalten.

„Coppélia“, Choreografie von Pierre Lacotte (Akte I und II nach Arhtur Saint-Léon), Musik: Léo Delibes. Ausstattung nach den Pariser Originalentwürfen (1870) adaptiert von Pierre Lacotte; Licht: Jacques Giovanangeli; Einstudierung: Anne Salmon. Dirigent: Lorenz C. Aichner. 8. Vorstellung am 10. März 2019. In den Hauptrollen. Alice Firenze, Jakob Feyferlik. Wiener Staatsballett in der Volksoper.
Noch drei Vorstellungen in dieser Saison: 14.3. in dieser Besetzung. 9. und 19. Juni 2019. Besetzung steht noch nicht fest.
Ab 17. März ist in der Volksoper das Ballett „Roméo et Juliette“ von Davide Bombana, Musik von Hector Berlioz (Symphonie dramatique) im Programm.