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Tanz*Hotel: „Wilde*Welten“, Dschungel Wien

Die wilden Kerle auf ihrer Insel.

Wo die wilden Kerle wohnen“ / „Where The Wild Things Are“, das Kultbuch für Vierjährige von Maurice Sendak (1928–2012), hat es dem Choreografen Bert Gstettner angetan. Nach „Wild*Things“ (Dschungel 2015) greift er das Thema des Kinderklassikers mit „Wilde*Welten“ wieder auf und zeigt neuerlich ein Tanztheater im Dschungel Wien. Aus der Hauptfigur, Max, ist eine Maxie geworden, die mit einem Ensemble von weiteren sechs Kindern tanzt, turnt und singt und von der Sehnsucht nach Freiheit, Freundschaft und Geborgenheit, aber auch von Angst und Schrecken und Machtfantasien erzählt.

Die wilden Kerle haben die Gewohnheit, ihren König zu fressen. Die Eltern findet Maxie unerträglich, die Mutter erscheint ihr als Hexe, der Vater als Tier mit Hörndeln. Sie haben aber auch ihre liebe Not mit dem wilden Kind, das nur Unfug im Kopf hat, und schicken Maxie ohne Essen ins Bett. Das wird zum Segelboot, mit dem Maxie davonsegelt: „Tag und Nacht und wochenlang und fast ein ganzes Jahr bis zu dem Ort, wo die wilden Kerle wohnen.“ (Buchtext)

Mit der Fahrt über das Meer ,untermalt vom leisen Gesang der Kinder („Sailing“ nach Rod Stewart mit deutschem Text), ist Gstettner ein wunderbar magischer Moment gelungen. Leider der einzige.

Aufgewärmter Kohl ist nicht gerade ein Festessen, und Gstettner hat, mit einer neuen, gut trainierten und großartig agierenden Kindergruppe im Volksschulalter, die erste Produktion nach Sendak, „Wild*Things“ nicht übertreffen können. Die Poesie, die Sendaks großflächig illustriertes Buch mit den einfachen, knappen, von Claudia Schmölders perfekt übersetzen, Sätzen so liebenswert macht, geht teilweise in Klamauk unter, die hinzugefügten Texte sind nicht wirklich notwendig und die Akrobatik der Eltern (Arno Uhl, Verena Schneider), während das Kind Maxie untätig auf dem Boden sitzt, hat mit der Handlung wenig zu tun. Wild sein, tanzen, springen, turnen, begeistert als Ouvertüre das Publikum.

So halte ich mich an die jungen Akrobat*innen / Tänzer*innen, die mit Spielfreude agieren und hinter ihren Masken (für „Wild*Things“ von Devi Saha gestaltet) echt wilde Kerle sind, die Maxie anfangs „zum Fressen“ gern haben. Schließlich ist Kohl nicht ihre Leibspeise, sie sind Fleischfresser. Aber Maxie zähmt sie mit ihren eigenen Tricks und wird schließlich zur Königin gekrönt. Doch das gefällt ihr gar nicht, sie will in der Gemeinschaft leben, Anschafferinnen, Diktatoren, Behaupter*innen, die die Freiheit einschränken, gibt es schon genug. Sie sehnt sich nach Wärme und Geborgenheit, und die gibt es doch eigentlich vor allem zu Hause, in der Familie. Hunger hat sie auch. Etwas abrupt landet sie wieder im Kinderzimmer, wo das Essen auf sie wartet. Der so lakonsiche, tröstliche letzte Satz aus dem Buch – „… und es war noch warm.“ – geht unter Blechgeklapper und dem Gehampel der Eltern unter.

Maxie unter Feinden, die bald Freunde werden.Mit Live-Musik, wild und ein wenig zum Fürchten, wie bei „Wild*Things“ von Igor Gross, als Ziegenbock maskiert, komponiert und gespielt und dem Kinderensemble, das mit Ernst und Einsatzfreude bei der Sache ist, hat Gstettner eine bunte Show choreografiert, die vergnüglich anzusehen ist, mich jedoch völlig kalt lässt. Theater und Tanz sollen Emotionen wecken, das Publikum, ob jung oder alt, betreffen und dadurch zu Erkenntnissen führen. Auf der rein kognitiven Ebene kommt ein Bühnenstück zu trocken über die Rampe. Etwas mehr dramaturgische Stringenz und der Mut zum Kürzen könnten die benachteiligte emotionale Ebene verstärken und zu jener Magie führen, die auch die Achtjährigen, für die Gstettners Tanztheater empfohlen wird, fesselt.

Tanz*Hotel: „Wilder*Welten“. Regie, Choreografie, Bühne: Bert Gstettner. Performance: Das T*H Kinderensemble Marie Elisa Bicu, Lena Edinger, Vanessa Fülöp, Adam Heis, Lilli Horner, Julian Voglmayr Leo Wacha; Verena Schneider, Arno Uhl. Livemusik, Performance: Igor Gross; Kostüm: Hanna Adlanoui-Mayerl; Masken: Devi Saha aus „Wild*Things“; Bühnenbilderaushang: Daniel Angermayr aus „Wild*Things“. Tanztheaterfassung nach Maurice Sendaks „Wo die wilden Kerle wohnen“: Bert Gstettner. Produktion: Tanz*Hotel / Art*Act Kunstverein. Bild © Franzi Kreis, Heinz Zwazl.
Premiere: 8.Februar 2019, Dschungel Wien.
Weitere Vorstellungen: 9.–13. Februar und 3.–6. Juni 2019.