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Lisa Hinterreithner: „and and“, Tanzquartier

Hinterreithner mit Linda Samaraweerová. © Eva Würdinger

Im Rahmen des Schwerpunktes „Material World“ des Tanzquartier Wien gastierte Anfang Februar – nach einer Lecture der österreichischen Choreografin und Tanztheoretikerin Martina Ruhsam (Justus-Liebig-Universität Gießen) über „Moving Matter(s)“ und die Beziehung „nicht humaner Körper in zeitgenössischen Choreografien“ – die in Salzburg und Wien lebende Choreografin und Tänzerin Lisa Hinterreithner mit ihrer neuen Arbeit „and and“.

Auf Boden und Wänden der so definierten „Bühne“ des TQW-Studios kleben hunderte kleiner bunter Gafferstreifen, „Punkte“, nennt sie Hinterreithner in einem begleitenden Kurzvideo zur Arbeit, die die Körper der beiden Performerinnen Linda Samaraweerová und Hinterreithner selbst im Laufe der Performance erweitern, verändern und in ihren Aktionen beeinflussen.

Lisa Hinterreithner, Choreografie und Performance. © Alle Bilder von Eva WürdingerDie Beziehung nicht humaner „Wesen“ und Menschen steht seit einigen Jahren im Fokus zahlreicher internationaler Projekte im Bereich zeitgenössischer Tanz und Performance. Dabei wird das – sowohl während der Entwicklungs- und Probephasen wie auch dann bei den (öffentlichen) Performances entstehende „intime Nebeneinander dinglicher und menschlicher Anwesenheiten“ (Ruhsam) – zum choreografischen und inhaltlichen Zentrum. Dinge beeinflussen als neu entdeckte eigenständige „Aktanten“ die Aktionen der Performer*innen. Sie sind nicht mehr nur Teil einer „Bühne“, „Möbel“, reines „Requisit“ und damit leblose Materie beziehungsweise werden nicht mehr als solche wahrgenommen und „benutzt“. Ihre „Benutzung“ durch den Menschen – und ihr Einfluss auf den Menschen werden zum zentralen Thema in einer auch gesellschaftspolitisch notwendig gewordenen Auseinandersetzung um die Emanzipation von Dingen gegenüber Macht- und Zerstörungsmechanismen menschlicher Einflussnahme. Inwieweit kann dies auch als „Emanzipation der Objekte im Kontext einer digitalisierten Gesellschaft verstanden werden, in der Wertschöpfung eher mit Entdinglichung als mit Verdinglichung zu tun hat?“, fragt Ruhsam und stellt fest: „Die Dinge haben sich vom Menschen emanzipiert.“ Ihr Einfluss auf die Performer*innen (die ihrerseits wiederum menschlich wie nichtmenschlich sein können) zeugt von der Verantwortung, die wir ihnen gegenüber – als posthumane subjektwerdende Partner*innen – tragen. Hunderte Punkte begleiten die Performance von Hinterreithner und Samaraweerová

Der Frage „wie Formen, Farben, Materialien miteinander kommunizieren und wie diese Suche nach einer Beziehung zwischen Subjekt und Objekt/en auf die Bühne gebracht werden kann“, widmet sich auch Hinterreithner in ihrer neuen Arbeit „and and“.

Themen wie Verantwortung, Einflussnahme, Missbrauch und Entgegnung, Gestaltung und Entzug, Stigmatisierung und Loyalität verhandeln auch Hinterreithner und Samaraweerová, wenn sie sich die Gafferbandschnipsel an den eigenen und anderen Körper, dann wieder zwischen die anderen Punkte, Streifen, Formen und entstehenden Objektlandschaften haften. Auch wenn in diesem Fall die knapp zwei x drei cm großen Klebestreifen aktiv von den Performer*innen bewegt werden müssen, um deren Beeinflussung auf den (eigenen) Körper und dessen Tun zu verdeutlichen – etwa, wenn sich die „beklebten“ Tänzer*innen für kurze Momente in der Klebepunktlandschaft aufzulösen scheinen und damit aus der „Subjektlandschaft“ in die „Dinglandschaft“ übergehen –, so wird doch der in Ruhsams vorangehendem Vortrag erläuterte Gestus der „Intraaktion“ (Karen Barad) zwischen Subjekt/en und Objekt/en nachvollziehbar.
Performanceduo: Samaraweerová / Hintherreithner.Die spezifischen (Material-)Beziehungen eine fortlaufenden Veränderung der Welt sind eben nicht nur dem Menschen und seinem Einfluss auf die Dinge „unterworfen“. Es „funktioniert“ auch in anderer, umgekehrter Richtung, so man es zulässt, und rückt, so eine These Ruhsams, auch zeitgenössische performative Praktiken in den Kontext „intraaktiver Kunstformen“, bei denen es zunächst um das „Experimentieren von Emergenzen“ geht. Das wird auch in „and and“ deutlich sichtbar, wenn aus den vorerst „rein räumlichen“ bzw. dem (Bühnen-)Raum zugeordneten, diesen auch strukturierenden „Schnipseln“ in deren Aneignung durch die Tänzer*innen neue Körper-Raum-Landschaften werden, aber auch geschriebene Worte und Phrasen entstehen, die ihrerseits wiederum zu verbalen Reflexionen über Geschlecht, Macht, Teilhabe und Feminismus führen.

So einfach der Ablauf des Aufgreifens, Beklebens, Bewegens und erneutem Ablegens ist, so stark sind die so entstehenden choreografisch-reflexiven Bilder. Und so wenig überzeugend letztlich die gesprochenen Worte als verbale Ausformulierungen, die den Interpretationsraum wieder schließen. „Ich bin eine Feministin“, „ich auch“, „ich bin eine jungfräuliche Feministin“, „fuck off“ ... Wenn Hinterreithner und Samaraweerová zu sprechen beginnen, rückt die Subjekt-Objekt-Landschaft in den Hintergrund. "and and": Choreografisch reflexive Bilder.Das (weibliche) „Ich“ spricht über sich und „die anderen“, denen so immer die Macht der Formgebung übertragen wird, und wird erneut Teil eines primär sprachlichen Aneignungsprozesses, dessen „Potenzial für Beweglichkeit“ (Hinterreithner) eben nicht jene der Intraaktion erreicht. Wenn gesprochen wird, wird wohl nicht mehr „intraagiert“. Was dann bleibt, sind wieder die „klassischen“ Themen von „Mann“-Macht-„Frau“: „Ich bin eine Hure“ ... Die „Dinge“ rücken wieder in den Hintergrund. Der Sound wird lauter. Die „Feministin“ verschwindet. Punkthaufen stehen am Ende der Performance und markieren das Sich-Verlieren im Diskurs. „I am so tired of this.“

Lisa Hinterreithner: „and and“, Konzept, Choreografie, Performance Lisa Hinterreithner Choreografie, Performance Linda Samaraweerová, Komposition, Livemusik Elise Mory, Organisation Ela Piplits., 1. und 2. Februar 2019, Tanzquartier Wien.