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Dschungel – Masha Dimitri, CH: „Die Herzflickerin“

Masha Dimitri ist mit Puppenkind, "Die Herzflickerin"

La Cœurdonnière / Die Herzflickerin“ ist ein großartiges Soloprogramm der Schweizer Künstlerin Masha Dimitri, erfolgreiche Akrobatin, Tänzerin, Schauspielerin aus der weltweit bekannten Tessiner Famiglia Dimitri. Im Rahmen des Schweiz-Schwerpunktes im Dschungel Wien hat die Vielbeschäftigte einem gebannten Publikum am 23. September 2018 eine einmalige Kostprobe ihres hinreißenden Könnens gezeigt.

Masha Dimitri: La Cœurdonnière prüft die kranken Herzen mit der LupeGenau besehen, ist das feine Akrobatik-Theater kein Solo sondern ein Duett. Das aktive Töchterlein ist mit Schulranzen und Motorradhelm immer dabei und zeigt gleich zu Beginn ihre Unternehmungslust. Die Mutter liegt in süßem Schlummer in der Hängematte, doch die Tochter denkt nicht mehr ans Schlafen, sie zupft und zwickt und zwackt Mama so lange, bis diese aufgibt und die Augen öffnet. Schon dieses kleine Vorspiel lässt das Publikum staunen: Die Hängematte ist nur ein Seil, die winzige Tochter, die sich so behände bewegt, später so lebhaft ihre Meinung kundtut und hinaus ins gefährliche Leben trippelt, als wäre sie tatsächlich lebendig, wird von Dimitris Hand geführt. Eine hohe Kunst.

Was Masha Dimitri ohne Worte und ohne jegliche Soundunterstützung, die so oft nur eine Belästigung ist, also in gespannter Stille, zu erzählen hat, ist im Grunde der Alltag einer Mutter. Déjà-vus aus dem eigenen Mutteralltag sind vorprogrammiert. Doch diese Mutter hat auch einen Beruf, in Heimarbeit repariert, operiert, heilt sie kaputte Herzen. Die sind aus Plastik oder Glas, Stoff oder Stein. Sie müssen abgehorcht, ihr Leiden muss diagnostiziert und auf unterschiedliche Weise geheilt werden. Ein neugieriger Blick: "Hat der Zauberspruch gewirkt?"Dimitri wird zum Sprüche murmelnden Zauberer, tanzt als Schamane mitsamt Schamanen-Tochter; versucht die Herzen als Clownin zu bewegen, überwindet den Widerstand der Materie, zeigt Luftsprünge und Pirouetten, kämpft mit dem Klebeband und bäckt sich im Ofen kleine Herzen, die die anwesenden Kinder am Ende verspeisen dürfen. Jedes Mal, wenn die kleine Tochter die so praktisch mit echten Möbeln und gemalten Objekten eingerichtete Wohnung verlässt und draußen die Bremsen kreischen, erleidet Mutter Masha einen Herzstillstand. Doch alles geht gut, Töchterlein trägt die reparierten Herzen aus und bringt gleich die neuen Patienten mit.

Das gläserne Herz macht Faxen und bekommt einen Platz im grünen Korbsessel.Das alles erfreut und amüsiert plastisch, akrobatisch, leicht verständlich und – noch einmal sei‘s betont – ohne musikalischen Teppich und Wortgeklingel. Masha Dimitri, 1964 geboren und ihrem Vater, dem 2016 mit über 80 Jahren verstorbenen Schweizer Clown und Schauspieler Jakob Dimitri, wie aus dem Gesicht geschnitten, hat die Vis comica, die Kraft der Komik, mit einem Augenzwinkern, dem Verziehen des großen Mundes, einem Runzeln der Stirn, mit dem ganzen Körper und der sprechenden Mimik und leuchtenden Augen kann sie Gefühle, Gedanken, Ironie, Angst und Unwillen (wenn sich die Herzen gegen die Heilung wehren) ausdrücken. Jede der kleinen Szenen eines Tages vom Morgen bis zum Abend, wenn sich Mutter und Töchterl wieder in ihr hängendes Bett kuscheln, ist ein Erlebnis. Da ist das steinerne Herze zu Gold geworden, Flügel sind ihm gewachsen, mit denen es in den Nachthimmel entschwebt. Der Schamanen-Pas de deux will nicht so richtig wirken.

Flügel der guten Laune, der Bewunderung und des Staunens hat Masha Dimitri mit ihrer kunstvollen Darbietung auch den Herzen des Publikums verliehen.
Ohne Leerlauf, mit genauem Timing, der Liebe zum Detail und der Gabe, einen running gag mehrmals zu wiederholen und zugleich zu signalisieren, dass die Herzdoktorin genau weiß, wie langweilig das ist – nein, sein könnte –, das ist die hohe Kunst der Komik.Was tun? Das steinerne Herz ist zu schwer, es lässt sich daher nur schwer heilen. Doch der Herzdoktorin ist nichts zu schwer, ihr gelingt es, dem (den) Herzen Flügel zu verleihen. Masha Dimitri muss wieder kommen.

Mit der feinen, stillen Arbeit (das staunende Gelächter im Publikum ist Musik genug) erinnert mich Masha Dimitri an das Objekttheater des Peter Ketturkat, der zwar nicht mit seinem Körper, aber mit Genauigkeit, Liebe zum Detail und nahezu lebendigen Objekten Kinder und Erwachsene unterhält und verblüfft.
Schon im nächsten Februar präsentiert er die neue Zirkusvorstellung: „Ein kleiner Clown will hoch hinaus“, mit bunten Vögeln, wilden Tieren, Akrobaten und dem kleinen Clown.

Masha Dimitri: „La Cœurdonnière / die Herzflickerin, Gastspiel im Rahmen des Schweiz-Schwerpunktes, von und mit Masha Dimitri und der namenlosen Handpuppe. Inszenierung: Yves Dagenais. Fotos von Loredana Mutta. 23. September 2018, Dschungel Wien.
Verein zur Rettung der Dinge / Peter Ketturkat: Ein kleiner Clown will hoch hinaus“, Uraufführung am 15. Februar 2019 im Dschungel Wien.