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Raw Matters #65: Tanz- und Performanceabend

Veranstalterinnen: Nanina Kotlowski, Deborah Hazler. © Raw Matters

Raw Matters „ Ein ungeschliffener Tanz- und Performanceabend", nennen die zwei künstlerischen Leiterinnen Nanina Kotlowski und Deborah Hazler ihre seit 2010 monatlich veranstalteten Abende, mit denen sie unabhängigen, aufstrebenden Performance-KünstlerInnen eine Plattform zum Ausprobieren und Veröffentlichen noch unfertiger Arbeiten, erster Entwürfe oder einfach nur von Versuchen, Rohmaterialien also, zur Verfügung stellen. Durchgeführt meist im Schikaneder in Wien 4, seltener im Arbeitsplatz Wien im 21. Bezirk, werden je (meist montags) Abend vier kürzere Performances, von zeitgenössischem Tanz über Recherchen, Performance-Kunst, Sound- und musikalisch geprägte Arbeiten bis zu Video-Installationen oder textbasierten Aufführungen auf die Bühne gebracht. Die Reihe hat sich zu einer Institution im Wiener Performance-Geschehen entwickelt, gern genutzt von KünstlerInnen und gut besucht vom interessierten, teils schon Stamm-Publikum. Am 24. September waren Chris Kraut, Maria Hera, Regina Picker und Inge Gappmaier zu Gast.

Chris Kraut zeigt eine Clownerie. © Raw Matters Der Abend im Schikaneder beginnt mit einer Clownerie („Work in Progress“) von Chris Kraut. Die Wienerin, klassisch maskiert mit roter Nase und goldlockiger Perücke, gekleidet in ein persifliertes Business-Kostüm, thematisiert den Büroalltag mit seinen absurden Situationen. Spürbar nicht zum ersten Mal mit dieser Sequenz auf die Bühne tretend, spielt sie mit ihrer Handtasche, dem Lippenstift und dem ständig klingelnden Telefon an ihrem improvisierten Schreibtisch, eigentlich mit ihrer Reiseschreibmaschine schreiben wollend. Mit ein paar Brocken italienisch fertigt sie Luigi und Mama, die sie mit ihren Anrufen permanent unterbrechen und heftige Ablehnung und andere „große Emotionen“ auslösen, ab. Physisch und mimisch gekonnt bringt Kraut die Zuschauer*innen zum Lachen. Eine sehr sympathische Arbeit, der man das Erreichen des Zieles, ein Abendfüller zu werden, von Herzen wünscht.

Den zweiten Teil gestaltet die bildende, rumänisch-stämmige und in Wien lebende Künstlerin Maria Hera mit ihrer Performance „Heart Beat 2.0“, in der sie die Auswirkungen der eigenen Körperhaltung auf ihren Herzschlag untersucht. Ausgangspunkt sind wissenschaftliche Erkenntnisse über den Einfluss der Körperhaltung auf den menschlichen Hormonhaushalt, der nach wenigen Minuten auf zum Beispiel offene Posen gesteigertes Selbstvertrauen und mehr Mut erzeugt. Schwierig sichtbar zu machen. Daher wählt Hera ein auf die Brust geschnalltes Mikrofon, über das ihre Herztöne in den Saal übertragen werden. Auch hier waren Veränderungen, provoziert durch sich sehr langsam ändernde Haltungen, hör- und spürbar. Maria Hera untersucht ihren Herzschlag. © Raw Matters Die leichten technischen Probleme am Beginn und während der Performance (das Brust-Mikrofon wollte nicht immer so, wie es sollte), waren halt live. Ein sehr interessantes und wichtiges Thema, da es die übliche Opferhaltung des Menschen, nämlich Opfer der in ihm brodelnden biochemischen Prozesse, Opfer und nicht Schöpfer seiner Gefühle zu sein, hinterfragt. Man darf  auf die Weiterentwicklung dieses wertvollen Ansatzes gespannt sein.

Danach wird „Unvollkommen Vollkommen“, ein etwa vierminütiges Video von Regina Picker, klassisch ausgebildete Musikerin (Gesang und Querflöte), Tänzerin, Performerin,Yoga-Lehrerin und Initiatorin des beliebten "Performance-Brunch" auf die Leinwand des Schikaneder-Kinosaales projiziert. Sie zeigt in Nah-Aufnahmen Risse, Brüche und Spalten in Böden und Wänden, natürlichen Strukturen, wie toten Bäumen und anderen, nicht immer identifizierbaren Objekten, begleitet von gesprochenen Textpassagen.  Inge Gappmaier: "Mirroring" © Ivan-Alexander KjutevPicker möchte damit Erfahrungen, die das menschliche Leben mit ihrer Unvorhersehbarkeit, mit ihrem Schmerz und ihren zuweilen nicht fassbaren Gründen ganz wesentlich ausmachen, versinnbildlichen. Durchaus gelungen.

Den Abschluss dieses Abends gestaltet die in Wien lebende Choreografin Inge Gappmaier mit ihrem, wie sie es nennt „ersten Exzerpt eines im Entstehen befindlichen abendfüllenden Duettes mit mir selbst“. Mit ihrer Performance "Mirroring" bannt inge Gappmaier das Publikum. © Ivan-Alexander KjutevIhre Tanz-Performance „Mirroring“ beginnt sie mit Bewegungen des Oberkörpers und der Arme und Hände, den Raum und Parallelitäten erforschend. Hochkonzentriert und die sich partiell ergebenden Spiegelungen der Hände beobachtend, beginnt sie, den kleinen Bühnenraum zu erschließen. Am Boden kauernd, die Beine über die verschränkten Unterarme zwängend, die Einschränkungen der resultierenden Situation erlebend, sich schließlich wieder befreiend, bannt sie das Publikum mit ihrem von absoluter Stille begleiteten Tanz. Das Publikum wagte nicht einmal, hörbar zu atmen. Eine faszinierende physische Reflexion über Freiheit und Selbstbeschränkung mit viel Potential für ein „Mehr“.

Raw Matters #65, mit Chris Kraut, Maria Hera, Regina Picker, Inge Gappmaier. 24.September 2018, Schikaneder.