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ImPulsTanz – Christine Gaigg / 2nd Nature

Bühnenessay über Sex von Christine Gaigg. © Karolina Miernik

War der Sex früher besser? Für Christine Gaigg schon. Da gab es etwa noch ein männliches Begehren, da stimmte das Verhalten der Männer gegenüber den Frauen noch. Es gab ein geiles Liebesleben und nicht etwas Geiles zu kaufen vom Elektrohändler Saturn. Wie und warum sich Sexualität in den letzten dreißig Jahren gewandelt hat, reflektiert die Choreographin und Theaterwissenschaftlerin in ihrem Stück „Maybe the way you made love twenty years ago ist the answer?“ an einem Abend im Odeon.

Gaigg nennt ihre Performance mit zwei Tänzerinnen (Adriana Cubides, Anna Prokopova), einem Tänzer (Petr Ochvat) und sich selbst einen „Bühnenessay“. Denn ihr Part ist es, auf einem Sessel sitzend aus einem Buch zu lesen, Gedanken in Form von Tagebuchnotizen von den 70er Jahren bis heute. Da geht es um mediale Sexismus-Debatten, wie über den Wikileaks-Gründer Julian Assange als Vergewaltiger, oder den Streit zwischen einem FDP-Politiker, der eine Journalistin mit anzüglichen Bemerkungen bedachte. Dann gibt es allgemeine Erkenntnisse wie jene, dass Sex heute immer weniger mit Trieb und Begehren zu tun habe, als mit Macht und Verkaufen. Gaigg schwelgt auch in persönlichne Erinnerungen an Orgasmen nahe der U-Bahn, und sie bekennt ihren Wunsch, von Männern sowohl geachtet als auch genommen zu werden.

Während Gaigg liest, agieren die drei Tänzer_innen hinter ihr in Form einer Menage-à-trois, leicht bekleidet, immer leichter und schließlich nackt. Sie reiben sich aneinander, machen auf Gruppensex, berühren sich, stöhnen laut und blicken sehr lasziv und wie ins sinnliche Nirvana entrückt drein. Ist es Illustration oder Untermalung? Jedenfalls ist es nicht erotisch. Denn es ist Showdance, nicht ehrlich. Wesentliche Signale sexueller Erregung fehlen, es geht nicht zur Sache, jedenfalls nicht, wie Gaigg sich das ihren verlesenenTexten gemäß wünscht. Christine Gaigg liest ihren Bühnenessay. © Karolina Miernik

Aber wozu gibt es diese Bewegungsformation dann? Sie sagt jedenfalls nichts aus. In der Nacktheit liegt keine Irritation, auch nicht am sexuellen Gebärden. Radikal ist es auch nicht, eher pseudoradikal. Die drei sehr jungen Menschen könnten auch jemand anders sein. Denn man hat nicht den Eindruck, dass sie hier ihr eigenes Ding vorführen.

So bleibt Ratlosigkeit zurück, denn zweifelsohne hat Gaigg mit vielem Recht, was sie feststellt. Unsere Gesellschaft ist tatsächlich lustfeindlich, überreguliert und unnatürlich geworden. Der Philosoph Robert Pfaller beschreibt diese Tendenzen glasklar und nachvollziehbar. Leider blendet Gaigg politische Entwicklungen und soziale Phänomene, die dazu geführt haben, in ihrer Bewertung aus. Vieles, was damals einem Befreiungsgestus entstammte, verkehrte sich später ins Gegenteil. Jetzt haben wir den Salat! Aber ein kluger Essay der Intellektuellen Gaigg hätte seinen Zweck vielleicht besser erfüllt als eine Tanzperformance, deren Medien – die Körper – nichts bewirken.

Christine Gaigg / 2nd Nature: „Maybe the way you made love twenty years ago is the answer?“, 3.8., Odeon, im Rahmen von ImPulsTanz 2015.