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ImPulsTanz: Rosas tanzt „A Love Supreme“

"A Love Supreme", getanzt von vier Tänzern. © Herman Sorgeloos

Gemeinsam mit dem Tänzer und Choreografen Salva Sanchis hat die belgische Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker 2005 das Meisterwerk des 1967 verstorbenen amerikanischen Saxophonisten John Coltrane, „A Love Supreme“, durch Tanz dekoriert. Ein Quartett macht Musik, ein anderes zeigt sie mit dem Körper. Dieses knapp einstündige Ballett, im Entstehungsjahr auch im ImPulsTanz Festival gezeigt, haben De Keersmaeker und Sanchis neu überarbeitet. Es tanzen nicht mehr zwei Paare, sondern vier Männer – voll Energie und Virtuosität, jeder für sich und alle gemeinsam. Die Aufführung im Volkstheater wurde mit Begeisterung quittiert. Ob der Jubel der Musik oder der Choreographie gilt, ist nicht festzustellen. Ganz sicher jedoch gilt er den vier Tänzern.

„A Love Supreme“ ist ein Klassiker, der auch klassisch daherkommt, mit vier Sätzen wie eine Symphonie. In nur vier Stunden haben die vier Musiker (Coltrane, Tenorsaxophon; McCoy Tyner, Piano; Jimmy Garrison, Bass; Elvin Jones, Schlagzeug) die vier Sätze – „Aknowledgement“, „Resolution“, „Persuance“, „Psalm“ – aufgenommen und konserviert. Nur 32 Minuten, sagen mir Kenner, dauert das Quartett im Original. Damit das Publikum sich nicht geprellt fühlt, wenn es nach einer halben Stunde wieder entlassen wird, ist die Choreografie wohl musikalisch etwas erweitert und auch durch eine Exposition – die Tänzer (José Paulo dos Santos, Bilal El Had, Jason Respilieux, Thomas Vantuycom) zeigen ihr Bewegungsvokabular, tanzen sich warm – ergänzt. Noch in der Stille steht ein Tänzer auf der leeren Bühne und schaut ins Publikum. Lange. Niemand hustet. Ich denke an Waslaw Nijinskijs letzten Auftritt. Die Musik setzt ein – klar und raumfüllend, ohne Kratzen und Rauschen. Ein Dank an die Technik ist fällig, – der Tanz beginnt. Ohne Hintergedanken, ohne pseudogesellschaftlich relevantes Geschwurbel, ohne trendige Nebengeräusche und Plattitüden im informativen Programmheft, wird einfach, aber keineswegs einfache, Bewegung zur Musik vollführt. Wie schön, dass wieder getanzt werden darf. Exposition: Die Tänzer wärmen sich auf.  © Anne Van Aerschot

Mutig ist es schon, so einem ikonischen Werk wie Coltranes „ A Love Supreme“ ein anderes Genre aufzubürden. Eine Ergänzung ist nicht notwendig. Zumal Coltrane auf einer spirituellen Straße gewandert ist und sich körperlos dem Himmel zu bewegt hat. Doch durch noble Zurückhaltung, vierfache Verbeugung vor der Musik kratzen Sanchez / De Keersmaeker und das Rosas-Quartett die Kurve.  Die Tänzer improvisieren, wenn die Musiker Improvisieren, für nicht einmal 15 Mnuten ist jeder ein Star, darf sich auf sich selbst konzentrieren. Die anderen drei schauen entweder vom Bühnenrand aus zu oder bewegen sich synchron im Hintergrund. So genau ist aber nicht auszumachen, wann einer vorgegebenen Choreografie gefolgt wird und wann Improvisation, womöglich am ersten Abend ganz anders als am nächsten, zu sehen ist. Und das ist gut so und im Grunde auch egal.

Improvisiert: Jeder Tänzer ist einem Instrument zugeordnet © Anne Van AerschotWeil aber Ordnung auf der Bühne sein muss, ist jedem Instrument ein Tänzer zugeordnet. Entsprechend den Grundthemen der Musik variieren die Tänzer ihre Bewegungsmuster in Schleifen und Wiederholungen. Alle vier tanzen kraftvoll, fließend, ausdrucksstark, zeichnen die musikalischen Linien mit pulsierenden Bewegungen nach und versuchen, die Schwerkraft zu überlisten. Gelingt aber nicht, gelingt nie. Ohne Schwerkraft gäbe es gar keinen Tanz. Der Himmel ist auf dem Boden. Schlußgebet: Näher zu dir oh Gott.  © Herman Sorgeloos

Erst im letzten Satz, genannt „Psalm“, womöglich ein Gebet, berühren die Tänzer einander, heben und tragen einander, werden zu einer (frommen) Gemeinschaft. Endlich sind sie auch mit den Musikern eins. Diese Musik in den Hintergrund zu drängen, als Begleitung des Tanzes zu degradieren, gelingt einfach nicht, sie bleibt als Zentrum der Darbietung im Vordergrund. Der innige, wehmütige letzte Satz macht es endlich möglich, alle sind gleich, keiner hat den Vorrang. Amen.

Salva Sanchis & Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas: „A Love Supreme“, Neubearbeitung. Musik “A Love Supreme” von John Coltrane, © Jowcol Music, Inc. (Universal Musik Publ. N. V.). 28. Juli 2017, Volkstheater im Rahmen von ImPulsTanz.