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Tanz Linz: Andrey Kaydanovskiy sucht Shakespeare

„Shakespeare's Dream“ auf dem schräg gestellten Schachbrett.

Shakespeare zum Träumen, Shakespeare als Verwirrspiel, Shakespeare gedoppelt, gespiegelt, versteckt und wieder herbeigezaubert. Shakespeare als Zitatenschleuder, Shakespeare für alle Lebenslage, besser noch geeignet als Schiller oder Goethe. Jetzt in Linz: Shakespeares Träume, zum Tanzen gebracht von Andre Kaydanovskiy, also richtig. Kaydanovskiy’s Dreams, doch tatsächlich Shakespeare’s Dreams, ein Tanzstück von Andrey Kaydanovskiy für Tanz Linz.  Premiere war am 20.9. im Musiktheater.

Mischa Hall mimt William Shakespeare.Shakespeare’s Dream nennt der erfolgreiche Wiener Choreograf Andrey Kaydanovskiy sein neuestes Werk und lässt den Barden, der später gern Swan of Avon genannt worden ist, auf dem Schachbrett seine Figuren organisieren. Shakespeare ist ein Choreograf, Shakespeare, in dessen Gehirn der Choreograf Kaydanovskiy laut Programm schauen will, ist nur ein Pseudonym für ihn A. K. Er weiß genau, wie ein kreativer Mensch arbeitet, wie viele Zweifel ihn bremsen und wie viele Glücksmomente er erlebt. Der große Ball bei Capulets wird zum Gespenstertanz.
Shakespeare bewegt seine Figuren, Kaydanovskiy bewegt die exzellenten, vielseitigen Tänzerinnen von Tanz Linz und das Tanzstück wird zu Traumstück. Allerdings ist der Traum, an dem das Publikum teilnehmen darf, in den das Publikum einsteigen kann, faszinierend und die Gefahr, nicht mehr aufzuwachen ist groß. Wenn sich die 16 Mitglieder von Tanz Linz auf dem Schachbrett bewegen, hinter doppelten Wände verschwinden, aus offenen Türen und Fenstern auftauchen, dann verdoppeln, vervierfachen sie sich.
Eifrig kramt William-Andrey in der Figurenkiste, verzichtet jedoch auf die Figuren der Komödien. Shakespeare schaut seinen Figuren zu., Die drei Hexen prophezeien Macbeth sein Schicksal, doch er versteht die Voraussaagen falsch.Die heitere Seite des großen Dramatikers interessiert den Choreografen weniger, geträumt wird nicht in einer heißen Sommernacht, selbst wenn Puck auch in Linz seine Späße treibt, die Zeit zurück und wieder nach vordreht, das erste und auch letzte Wort hat. Geträumt wird von Mord und Totschlag. Der intrigante Waldgeist Puck ist auch ein kreativer Geist und mischt überall mit. (Mischa Hall, Katharina Illnar)
Mithilfe des Shakespeare-Kenners und Dramaturgen Andreas Erdmann – von 2012 bis 2015 am Burgtheater beschäftigt, seitdem leitender Dramaturg am Landestheater Linz – sind die Bösewichte aus der Kiste geholt worden, Könige und Prinzen, Krieger, Mörderinnen und Mörder. Lediglich das berühmte Liebespaar aus Verona, das der Autor in alten Klatschgeschichten entdeckt hat, behauptet seine Bühnenrechte und will mit einem innigen Pas de deux und auf dem großen Ball dabei sein. Angelica Matteazi im blutbefleckten Kleid als mordende Lady Macbeth.Schließlich wäre auch diese bittersüße Liebesgeschichte ohne das Hauen und Stechen nicht erzählenswert. Dass auch zu Williams Zeiten am Ende, wenn das liebend Paar tot in der Gruft liegt, die Hochrufe auf dem Boulevard erschallen, ist anzunehmen. Hier aber, in Linz auf der schrägen und mit allerlei zusätzlichen Effekten ausgestatteten Bühne, sterben nicht die Liebenden, sondern die Eifersüchtigen, die Ehrgeizigen und Machtgierigen. Wer nicht haut und sticht, stirbt im eigenen Blut. Der schöne Vorhang wird zur Blutlache.Wenn der von Kaydanovskiys bevorzugter Bühnen- und Kostümbildnerin, Karoline Hogl, ersonnene, feinst gefältelte purpurne Vorhang fällt, werden die Klingen gewetzt, Herzen durchbohrt, und Köpfe gerollt. Das Publikum eilt zum Pausenschmaus.
Diese Blutbäder, ob in Dänemark oder Schottland, in Rom oder Venedig, im Ägypten oder auf dem britischen Inselreich, gefallen den darin verwickelten Bühnenfiguren gar nicht. Sie durchbrechen die Illusion, fügen den kunstvoll geschichteten Ebenen, mit denen Andrey / William das Publikum verwirrt, eine Metaebene hinzu und planen die Revolution. auch im Tanztheater von Andrey Kaydanovskiy wird getant. Hier von Elis Lodolini und Matteo Cogliandro. Im hintergrund beäugt der Dramatiker sein Werk.  Lodolini CogliandroIllusion und Realität fließen ineinander und die Geschöpfe wenden sich gegen den Schöpfer. Er steht schon da, sie müssen sich nicht auf die Suche machen, wie es der sizilianischen Nobelpreisträger Luigi Pirandello zu Beginn des 20. Jh. auf der Bühne in Rom gezeigt hat. Shakespeares Kreationen, von Kaydanovskiy rekreiert, kennen ihren Autor. Er heißt William Shakespeare (1564–1616).
Noch ein Einschub: Der Ire Flann O’Brien (Pseudonym von Bryan O’Nolan) hat in seinem Roman At Swim-Two-Birds / In Schwimmen-Zwei-Vögel, ebenfalls die Figuren eines Autors – Achtung, Metaebene:  –, den sich ein Autor ausgedacht hat, den Aufstand proben lassen. Choreograf Andrey Kaydanovskiy, fotografiert von Philip Brunnader.Der vom erdachten Autor erdachte Autor muss klein beigeben und die Rollen anders verteilen, die Toten am Leben lassen und mit Respekt behandeln.
Mit dem Autor aus Strabane / Nordirland eint den in Moskau gebürtigen Choreografen der bisweilen skurrile Humor und die desillusionierende Ironie.  
Zu Sache jetzt wieder! Kaydanovskiy hat keine fixen Rollen verteilt, die Tänzerinnen wechseln die Charaktere, die Kostüme, das Aussehen, irren in der Vergangenheit umher, tanzen in der Gegenwart, sind Kunst und Natur zugleich. Für alle hat Karoline Hogl stilisierte, an die Zeiten des shakespeareschen Globe Theaters vage erinnernde Kostüme entworfen. Diese drei Hexen sind zu putzig, um Schaden anzurichten. Sie gehören in das Drama vom machtgieren Ehepaar Macbeth.Auch mit dem filmreifen Bühnenbild erinnert sie an das in London am Ufer der Themse wieder aufgebaute Globe.
Ebenso kunstvoll gehen die Designer, Christian Kass, Manu Mayr, mit Licht und Musik um. Von John Dowland über frühe Filmmusik bis zu elektronischen Klängen hat der Komponist Manu Mayr einen ebenso plastischen wie angenehmen Soundteppich zusammenstellt, der die unterschiedlichen Zeit- und Spielebenen hörbar macht. Der renommierte Lichtmeister Christian Kass, auch eher häufig im Team von Kaydanovskiy, Diese verhüllten Gespenster sind nicht die Willis aus de mromantischen Balett „Giselle“ sonder Erstarrte figuren aus Shakespeare-Dramen, die gleich gegen ihren Meister revoltieren werden.webt am Stoff, aus dem die Träume sind, zeigt liebevoll ausgeleuchtete Pas de deux und unheimliche Düsternis, wenn nach der Pause rebelliert wird. Wenn der Vorhang hochfährt, stehen in weiße Tücher verhüllte Statuen auf der Bühne. In der Wiener Staatsoper tanzen zeitgleich die Willis durch den Wald, einen Moment lang glaube ich mich im falschen Stück und erinnere mich, dass Andrey Kaydanovskiy, bevor er international beschäftigter Choreograf geworden ist, Tänzer im Wiener Staatsballett (davor: Ballett der Wiener Staatsoper) war.
Die Figuren, die der Meister scuf, haben ihn selbst in den Hintergrund gedrängt, sie wollen selsbt über den Hergang der Handlung bestimmen.Diese witzigen bis aberwitzigen Träume Shakespeares / Kaydanovskiys zeigen neue Seiten des Choreografen, der in Linz bereits mit seiner Version des Balletts Dornröschen zur Musik von Peter Tschaikowski das Publikum begeistert hat und sowohl an der Wiener Staatsoper wie an Deutschen Bühnen Ballette geschaffen hat. Shakespeare’s Dream ist sehr nahe am Schauspiel inszeniert, ist Tanztheater 2025. Von Wien oder Salzburg und bald auch von Graz ist man in 70 Minuten im Musiktheater von Linz.
Auf geht’s!

Shakespeare’s Dream, ein Tanzstück von Andrey Kaydanovskiy, Uraufführung 20.9.2025, Musiktheater Linz.
Choreografie und Inszenierung: Andrey Kaydanovskiy
Sounddesign: Manu Mayr; Bühne und Kostüme: Karoline Hogl; Lichtdesign: Christian Kass; Dramaturgie: Roma Janus, Andreas Erdmann; choreografische Assistenz: Yuko Harada; Sprachtraining: Eva Aicher. Tanz Linz.
Fotos: Philip Brunnader fotografierte die Hauptprobe am 13. September 2025.
Besuchte Vorstellung: 26. September  2025.