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Karin Pauer: „LOW“ – Kein Leben in der Tiefsee

in der Choreografie LOW taucht Karin Pauer in die Tiefsee.

Noch ist Leben unter dem Meeresspiegel. Zumindest auf der Bühne des brut, wo sich drei Figuren vorsichtig bewegen, als wären sie unter Wasser. Choreografin Karin Pauer und ihre Mittänzerinnen Ixchel Mendoza Hernández und Hugo Le Brigand tauchen in die Tiefsee und erzählen in der Performance von der Verschmutzung, Ausbeutung und Zerstörung der Meere. 

Das Netz trennt das Meer vom Land, ist Wasser und Luft.Wimmernde Krebse, im Todeskampf zuckende Tintenfische, der Schmerz wird verkörpert. In den Köpfen des Publikums entstehen Bilder der sterbenden Meerespopulation und auch der Menschen, die ohne Meer nicht mehr lange am Leben sein werden.
Ein grünes Netz ist über die Bühne gespannt, auf der Seite ist später eine einsame Tonne mit Wasser zu sehen. Die Performerinnen tauchen ihre Köpfe hinein, kühlen die glühende Haut, schleudern mit den nassen Haaren glitzernde Tropfen ins Licht. Das Netz ist nicht nur Dekoration, sVerkörperter Schmerz: Tiefseebohrungen zerstören das Habitat der Meerestiere und -pflanzen.ondern zugleich Meeresoberfläche oben und Meeresboden unten, oder auch viele Netze, die bald von den Tänzerinnen eingeholt werden, leer, wie die Meere längst gefischt sind, auch die Grenze zwischen Wasser und Land markiert das grüne Gespinst. 
Schon von ihren Anfängen an hat sich Karin Pauer mit der Position des Menschen auf dem Planeten, sein Verhältnis zur Natur, zu Luft und Wasser, zu Vergangenheit und Zukunft beschäftigt. Zuletzt hat sie sich in einem Solo mit den 71 Prozent der Erdoberfläche beschäftigt, das alles Leben garantiert, dem Ökosystem Meer, dem Biotop für Fische, Vögel, Vieh und Pflanzen samt den die ungezählten Mikroorganismen (Mikroben), die noch gar nicht erforscht sind.
Ein Bild,das Gemeinsamkeit ausstsrahlt: Karin Pauer tanzt mit Ixchel Mendoza Hernández.Es hat Milliarden von Jahren gedauert, bis die ersten einzelligen Organismen entstanden sind, sodass heute klar ist: Das Leben ist im Meer entstanden. Nicht jede ähnelt der schaumgeborenen Aphrodite, aber irgendwie sind wir mit Korallen, Seeschlangen und den Ringelwürmern verwandt. Und dann rücken die Gierhälse mit ihren Maschinen an und bringen den Meeresboden samt seinen Bewohnerinnen zum Erzittern. Was einst den Menschen als Nahrung gedient hat, ist zur Beute der Industrialisierung geworden, die nach den Fischen grapschen, bis keiner mehr da ist und die Schmutzfinken werfen ihren selbstgemachten Dreck in die Wellen, vergiften damit den Lebensraum und Lebensquell aller Lebewesen im Wasser, in der Luft und auf der Erde. Gefangen im Netz der Geldgier und Gewissenlosigkeit: „LOW“ von Karin Pauer.
Die Körper auf der Bühne sprechen von Unvernunft, Schmerz und Leid, lassen mich Empörung und Fassungslosigkeit im Magen spüren. Die Tanzenden sind Ursache und Wirkung zugleich. Sie stampfen wie Maschinen, rollen die Augen wie gewissenlose Ausbeuter, sind Arbeiterinnen und Wasserschildkröten, Bohrer und Ölpumpen, Krabben, Kraken oder niedliche Seepferdchen. Die auf der Bühne Tanzenden sprechen mit dem Körper, den Armen, den Füßen und den Augen. Im Wasser lässt man den Mund besser zu. Karin Pauer, Hugo Le Brigand, Ixchel Mendoza Hernández: Stampfen, Schwitzen, Rennen, die Körper erzählen.
Nicht nur die Tanzkörper haben eine Stimme, auch die Musik, live von Rozi Mákó als Reaktion und Antwort auf die Bewegungen eingespielt, spricht, seufzt und braust, donnert und rauscht, wimmert und klopft, atmet und erlahmt am Ende wie die drei Wesen im erblassenden Licht von Sweta Schwin. Wörter sind überflüssig, Bilder nicht notwendig, der Schmerz, den die Performerinnen so intensiv verkörpern, ist über die Rampe hinaus spürbar. Auch das Zusehen tut weh. Ixchel Mendoza Hernández, Hugo Le Brigand, Karin Pauer, fotografiert als würden sie einander trösten. Doch für die Vernichtung unseres Ökosystems gibt es keinen Trost
Es ist schwer, sich vom Inhalt zu befreien und lediglich eine großartige Choreografie und drei hervorragende Bühnenkünstlerinnen zu betrachten oder gar zu genießen. Es ist ein grausiger Genuss, eines schrecklichen schönen Abends. Die Choreografin schwimmt nicht auf einer der plakatierten Themenwellen, die in Tanz, Theater und Performance so gerne ausgeschlachtet und von einer imaginären Kanzel herab ins Publikum geschleudert werden.  Nicht nur die choreografische und tänzerische Karriere von Karin Pauer, auch der Kontakt mit dem Publikum in diesem wie in vorangegangenen Werken, lassen fühlen und wissen, dass sie auf der Bühne zeigt, was sie tatsächlich bewegt. Doch die Erschütterung, die die Performerinnen vermitteln, soll ein nüchternes Urteil nicht verhindern. LOW ist eine gelungene Choreografie, eine Performance, in der die bewegte Körper, der Sound, das Licht eine feine Einheit bilden. Die einleitenden und auch finalen Längen, sind leicht zu übersehen. Sie werden sich im Lauf der Aufführungen einschleifen. Die Erinnerungen an diesen Tiefseetauchgang jedoch werden noch lange in den Körpern bleiben.

Karin Pauer: LOW, Tanz / Performance, Uraufführung: 8.10., brut nordwest
Künstlerische Leitung & Choreografie: Karin Pauer;
 Kreation & Performance: Hugo Le Brigand, Ixchel Mendoza Hernández, Karin Pauer:
Live-Sound: Rozi Mákó; Space: Eva Engelbert; Lichtdesign: Sveta Schwin; Konversationspartner*innen: Aldo Giannotti, Anna Mendelssohn;
 Produktion: mollusca productions; Administration: Takelage
Fotos: © Hanna Fasching
brut nordwest, 8., 10., 11. Oktober 2025.