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„Next Generation“ – Ballettabend in Eisenach

Lucia Giarratana: „Paradeigma“, ein starkes Zeichen.

In Next Generation begegnen einander am Thüringer Landestheater Eisenach Bewegungen und Geschichten vierer Choreografen mit unterschiedlichen Facetten. Ein starkes Zeichen setzt Lucia Giarratana mit ihrer Choreografie Paradeigma. Sie zeigt eine emotional tiefgehende und visuell poetische Auseinandersetzung mit dem Thema der persönlichen Bestimmung.

 Lucia Giarratana: „Paradeigma“. Der Titel ist griechisch und bedeutet auf Deutsch Beispiel, Muster, Vorbild.Als eine der stärksten choreografischen Stimmen des Abends nimmt Giarratana Bezug auf James Hillmans Werk The Soul’s Code —eine psychologisch-philosophische Schrift, die davon ausgeht, dass unser Lebensweg eher von einer inneren Berufung als von äußeren Bedingungen geprägt wird. Diese abstrakte Idee übersetzt sie in eine intime, theatrale Erfahrung.
Das Stück beginnt in stiller Introspektion. Klanglandschaften aus fragmentierten Stimmen ziehen das Publikum in eine innere Welt der Fragen und der Suche nach Sinn. Was meditativ beginnt, beschleunigt sich zunehmend: Bewegungsmuster gewinnen an Dringlichkeit, musikalische Rhythmen intensivieren sich, und die Tänzer*innen scheinen von einem inneren Antrieb erfasst. „Paradigma“, eine ntime, theatrale Erfahrung.Dramaturgisch ist dieser Übergang von Kontemplation zu Erwachen klar und wirkungsvoll gestaltet. Auch visuell überzeugt Paradeigma. Die Kostüme stehen sinnbildlich für psychologische und gesellschaftliche Zwänge, die im Verlauf der Choreografie nach und nach abgelegt werden eine Transformation, die ebenso greifbar wie symbolisch ist. Das Lichtdesign unterstützt diesen Wandel und kulminiert in einem zentralen Bild: einer leuchtenden Lichtquelle, die als metaphorische „Sonne“ fungiert und den Weg zur Klarheit weist. Lucia Giarratanas choreografische Sprache ist im zeitgenössischen Ballett verankert.Giarratanas choreografische Sprache ist im zeitgenössischen Ballett verankert, vermeidet jedoch jegliche Starrheit. Ihr Fokus liegt nicht auf technischer Perfektion, sondern auf der Authentizität der Bewegung und dem Verkörpern emotionaler Wahrheiten. Besonders hervorzuheben ist die komplexe Partnerarbeit, die fluid und gleichberechtigt angelegt ist — ohne feste Geschlechterrollen verschmelzen Körper miteinander oder stützen einander.
Die emotionale Kraft des Stücks ist in Giarratanas eigener künstlerischer Offenheit verankert. Ihr persönlicher Prozess der Veränderung prägt den Ton der Arbeit, und ihre kollaborative Arbeitsweise im Studio eröffnet den Tänzer*innen die Möglichkeit, eigene innere Geschichten zu erforschen. Diese Offenheit führt zu einer Aufführung, die lebendig und ehrlich wirkt — Qualitäten, die über den Bühnenmoment hinaus nachhallen. Der Focus liegt nicht auf technischer Perfektion, sondern auf der Authentizität der Bewegung.
Im Rahmen von Next Generation war neben Paradeigma auch Ephemerus von Ana Isabel Casquilho ein weiterer Höhepunkt des Abends. Die Choreografie überzeugte durch atmosphärische Dichte, klare Struktur und starke tänzerische Leistungen.
Weniger gelungen war das Stück WORD von Adson Lipaus Zocca, das sich als technisch sehr anspruchsvoll erwies. Nur ein bis zwei Tänzer*innen schienen in der Lage, die choreografischen Anforderungen vollends umzusetzen. Trotz interessanter Ansätze und einer ästhetischen Betonung der männlichen Körperlichkeit konnte die Inszenierung in der Ausführung nicht vollständig überzeugen. „Paradeigma“: ine emotional tiefgehende und visuell poetische Auseinandersetzung mit dem Thema der persönlichen Bestimmung.
Vier Lieder von Ballettdirektor, Andris Plucis, schließlich präsentierte sich als eher schwacher Abschluss. Die vier gespielten Lieder schienen möglicherweise als Metapher für den Lauf der Zeit oder die Weitergabe an eine jüngere Generation gedacht, doch in der Umsetzung wirkte das Stück kraftlos und uninspiriert. Es entstand der Eindruck, dass der Choreograf bereit ist, den Staffelstab an den neuen Ballettdirektor Jorge Pérez-Martínez weiterzugeben, dessen künstlerische Handschrift hoffentlich frische Impulse setzen wird.

Landestheater Eisenach: Next Generation, vierteiliger Ballettabend; Premiere: 8.3. 2025
Choreografinnen: Andris Plucis / Lucia Giarratana / Ana Isabel Casquilho / Adson Lipaus Zocca
Kostüme: Danielle Jost. Fotos: © Lutz Hedelhoff
Nächste Aufführungen: 24.4., 24.5.; 8. + 22.6. 2025, Landestheater Eisenach
Ein Gastbeitrag von Adrian Wanliss ist Kulturmanager, Autor und Berater mit Wohnsitz in Deutschland. Derzeit ist er ehemalige Tänzer als Referent der Ballettdirektion in Chemnitz / Städtische Theater Chemnitz engagiert.