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Ulduz Ahmadzadeh / ATASH: „VASHT“

VASHT: Prächtige Kostüme und hinreißende Tänzerinnen.

Empfang im orientalischen Salon: Alte Teppiche bedecken die Rückwand, eine Prinzessin wiegt sich in der Mitte auf einer kostbaren Schaukel, sanfte Musik erklingt. Choreografin Ulduz Ahmadzadeh und die Mitglieder der ATASH contemporary dance company warten, bis das Publikum Platz genommen hat. Gezeigt wird im Tanzquartier VASHT, benannt nach einem altpersischen Wort für Tanz als für Transzendenz.

Ein geheimnisvolles weibliches Wesen gebiert Prinzen und Prinzessinnen. Der Teppichklopfer gibt den Rhythmus an, Staub rieselt aus bunten Wandbehängen, prächtig gekleidete Prinzessinnen und Prinzen treten, tanzen, stampfen, drehen sich im Kreis, zeigen sich energisch und kämpferisch, aber auch sanft und fröhlich. Zu orientalischen Klängen wirbeln sie über die Bühne, bis mit einem Knall die Teppiche fallen und der Dschinn, ein Zauberer, ein Geist mit Rossschweif und Bocksfüßen Unruhe in die tanzende Gruppe bringt. Galland-Handschrift, älteste erhaltene Handschrift von „Tausendundeine Nacht“ (arabisches Manuskript des 15. Jahrhunderts, Bibliothèque nationale de France)
Ich denke an Aladin und seine wunderliche Lampe, an Alibaba und seine Bande, wohl wissend, dass diese Geschichten erst im 18. Jahrhundert in die weltberühmte literarische Sammlung Tausend und eine Nacht vom französischen Orientalisten Antoine Galland (1646–1715) eingefügt worden sind. So genau ist ohnehin nicht festzustellen, woher die verschachtelten Geschichten stammen und wer sie aufgezeichnet hat. Heute steht fest, dass sie nicht nur aus dem arabischen Raum, sondern auch aus Persien oder Ägypten stammen. Eine Erstausgabe / Urschrift der Tausend und eine Nacht ist nicht vorhanden, und Galland, auf dessen Übersetzung man sich auch in England und Deutschland berufen hat, nahm es nicht allzu genau mit der Texttreue. Orientalische Tänze erzählen Märchen. Ulduz Ahmadzadeh mischt sie mit ihrer aktuellen Tanzsprache. Der Übersetzer der deutschen Ausgabe von 1865, Gustav Weil, meint: „Überhaupt gibt Gallands Übersetzung dem europäischen Leser kein treues Gemälde von der Denk und Redeweise der Araber, denn er hat mehr danach gestrebt, seine Franzosen zu unterhalten als zu belehren und darum den Stoff ganz nach damaliger französischer Mode zurechtgestutzt.“
Inzwischen hat die ATASH Company getanzt, der Dschinn hat den Dolch gezückt, ein König wird gekrönt und in Purpur gehüllt, die Krone besteht aus kleinen grinsenden Totenschädeln. Eine Prinzessin bekämpft sich selbst mit  Dolchen, fällt um und steht zu unser aller Glück wieder auf, tanzt weiter. Manchmal allein oft in der Gruppe, Volkstänze aus aller Tänzerinnen Länder. Geschmeidig und leichtfüssig bewegen sich die Tänzerinnen.Eine nur halb bekleidete Maia wird auf einem Boot über den Fluss gezogen, danach gebiert sie die Tänzerinnen aufs neue, umnach getaner Arbeit ihre Wolfsmaske wieder abzulegen und sich sittlich zu bekleiden. Auch ein Fluggerät, ein fremdartiges Objekt, dreiflügelig und golden, findet Verwendung. Als Dekoration im Hintergrund, wo der Dschinn auf dem abgelegten Krönungshut 40 (bedeutet im Orient „viele“) Kerzen angezündet hat, oder als Heiligenschein, den sich die Prinzen und Prinzessinnen wechselweise umschnallen, um mit ihm und in ihm zu tanzen, was einer perfekten Körperspannung und großer Kunst bedarf.

Der Dschinn im Hintergrund kann die Menschen verzaubern.Damit muss ich aus meinem Märchenbuch aussteigen und endlich sagen, worum es Ulduz Ahmadzadeh tatsächlich geht in ihrem wundersamen Tanzstück. Wie schon mit ihren Balletten TARAB und ZĀĀR und nahezu sämtlichen anderen Kreationen, zeigt Ahmadzadeh auch in VASHT keine Märchenstunde. Es ist eine nahezu wissenschaftliche Arbeit mit eingehender Recherche, worauf der Tanz beruht und woraus er entstanden ist. Das Ziel ihrer Arbeit definiert sie so: „Die zeitgenössische Tanzsprache mit einem nahöstlichen Tanzvokabular zu erweitern, die Hegemonie der westlich dominierten Ästhetik aufzubrechen und speziell soziopolitische Fragen und kulturelle Hierarchien anzusprechen.“ Mit Pouya Ehsaeis mythischer Klanglandschaft, der Szenografie von Till Jasper Krappmann und den ausgezeichneten, verwirrenden und verführerischen Tänzerinnen gelingt das auch.

Ulduz Ahmadzadeh / ATASH contemporary dance company: VASHT, 28., 29.3. 2025, Tanzquartier
Künstlerische Co-Leitung, Choreografie: Ulduz Ahmadzadeh,  Künstlerische Co-Leitung, Szenografie:
Tanz, Co-Kreation:  Desi Bonato, Naline Ferraz, Andrei Nistor, Adela Maharani, Abdennacer Leblalta  + der Dschinn
Komposition, Sounddesign: Pouya Ehsaei, Lichtdesign: Benjamin Maier, Künstlerische Assistenz: Deborah Manavi, Kollaboration Kostümbild: Rebecca Kopp, Produktion: partner in crime, Julia Neuwirth.
Fotos: © Maximilian Pramatarov
Eine Koproduktion von ATASH عطش contemporary dance company, Tanzquartier Wien und Kaaitheater, Brüssel.